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Die Tugend gibt den Ton an

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Nach einer anderen Auffassung (H. Schelsky) vermag sich die Jugend nicht als Gruppe zu vergegenständlichen, sondern präsentiert sich in alters-schicht-typischen Verhaltens- und Reaktionsweisen.

Die Eigen-Art der modernen Jugend der westlichen und im Ansatz auch bereits der sogenannten östlichen Kulturen ist vor allem durch die besondere Form der Sozialisierung bestimmt, worunter man die Übertragung der Kultur seitens der Erwachsenen auf die nachfolgende Generation versteht. Die Transporteinrichtungen für diese Übertragungen, die Art der Kon-taktnahme, sie mögen sich des Instrumentariums der Sprache, des Tones oder des Bildes bedienen, sind jeweils zeitkonform. Wenn daher etwa von einer Geschichte der Jugend gesprochen werden kann, so ist diese in der stetig steigenden Ausgliederung der Jugend aus den „altersheterogenen Gruppen“ ausgewiesen. In der einfachen Gesellschaft ist der Transport der Jungen in die Gesellschaft, die förmlich eine solche der Erwachsenen darstellt, ein Nebenprodukt der gesellschaftlichen Prozesse gewesen.

In der komplexen Gesellschaft der Gegenwart vollzieht sich dagegen die Sozialisierung durch das Setzen zweckhafter Transportschritte, die von verschiedenen Institutionen und Gruppen organisiert werden (Pflicht- und berufsbildende Höhere Schulen, allgemeinbildende Höhere Schulen, Erwerbsbetriebe).

Familie und Nachbarschaft (Gemeinde) als Primärgruppen werden dagegen vor allem in den großen Städten an den Rand jener Transportstrecke verwiesen, auf der Kultur an die Jugend herangebracht wird, wenn auch die Familie unverkennbar wieder zu einem bestimmenden Element der Sozialisierung wird.

Mit Nachdruck und durch dekla-' rierte Konsumfreiheit begünstigt, übernehmen dagegen in der Gegenwart (vorläufig nur im Westen) völlig kommerzialisierte, vom Gewinn her gesteuerte Einrichtungen den Transport der Jugend in die Welt der Erwachsenen. Die Jugend wird durch dichte Faszinationsbemühungen emei „J u g e n d i n d u s t r i e“ zu lenkbaren Nachfragegruppen integrier! und den Anboten gegenüber gefügig gemacht. Durch den weitgehender Fortfall der Einflußmacht der Familie deren Senioren keine Konsumkenntnisse haben, und durch die bedenkliche Absenz der Mehrzahl der Pädagoger in der Freizeitwelt können die Jugendindustriellen ihre Güter, deren Konsun oft erzieherisch (meist negativ) rele vant ist, verhältnismäßig leicht absetzen. Das „Marketing“ der Jugendindu strie wird außerdem dadurch erleich tert, daß die Jugendlichen meist nocl keinen Personenkern haben, der siel Manipulationen gegenüber unzugäng lieh erweisen könnte.

Zu allem kommt, daß die jungen Menschen in der westlichen Welt erheblich länger als früher im Erlebniszustand der Jugend bleiben. Die Akzeleration, die Beschleunigung im Aufwuchs der jungen Menschen, ist im allgemeinen auf die physischen Komponenten beschränkt, reflektiert sich jedoch anderseits in Verzögerungen im Rahmen der seelisch-geistigen Reifung. Begünstigt durch den verminderten Zwang zur wirtschaftlichen Selbsterhaltung, die zur Bildung eines Erwachsenen-Denkens führt, zeigt daher die Mehrheit der jungen Menschen über das 20. Lebensjahr hinaus jugendliche Denk- und Verhaltensweisen.

„Hula-Hopp“ und die Ursachen

Als Folge ihrer relativen Größe in der Altersschichtung der Gesellschaft und weil die Freizeitkulte im Wesen auf ihre Natur abgestimmt sind, ist die Jugend heute zu der die Gesellschaft repräsentierenden, wenn auch nicht zu ihrer bestimmenden Schichte geworden. Die Gesellschaft reflektiert diesen Tatbestand, indem sie sich in einem außerordentlichen und ostentativen Puerilismus präsentiert. Wie wäre es sonst möglich, daß puerile Primitivkulte im Fernsehen, in der Literatur (in dem, was sich als solche bezeichnet) und im Tanz im Vordergrund des gesellschaftlichen Verhaltens stehen und auch von den Erwachsenen mit Hingebung ausgeübt werden. Denken wir an die Groteske der Hula-Reifen, die Anlaß zu einer zwar kurzfristigen, aber drastischen Neurose waren. ■>c ;Ei»' markantes; 'Beispiel •• fw • «fee Mode: Früher war es Erziehungsziel, das Kind, so rasch es nur möglich war, in seine Erwachsenenrolle einzuführen. Der Transportweg der Sozialisierung war kurz. Das zeigte sich in der Kleidung der Kinder und vor allem der Jugendlichen, die im allgemeinen nur eine abgewandelte Form von Erwachsenenkleidung war. Heute jedoch werden die Erwachsenen von den Jugendlichen auch in der Kleidung als nicht mehr nachahmenswert disqualifiziert. Im Gegenteil. Die Erwachsenen tragen nun oft in einer aufdrinelichen Weise eine Kleidung, die nach Schnitt und Dessin jungen Menschen vorbehalten bleiben müßten. Großmütter geben sich in ihrer Kleidung wie Mäderln, und ältere Herren finden nichts daran, über eine „sportliche Note“ die Kleidung junger Männer vorzuführen. Die Jugend wird als „fertig“ angesehen. Der Erwachsene identifiziert sich nach unten; er glaubt, laufend in seinem Wert vermindet zu werden und will die von der Gesellschaft (vor allem der Jungen] vorgenommene „Abschreibung“ durch einen „jugendlich“ markierenden Konsum kompensieren. Die Jugend ist in der Gesellschaft des Westens heute die förmlich vorherrschende r e s i d e n-tielle Gruppe, wenn die tatsächliche Führung auch bei den „Jugend-industriellen“ liegt, welche im Interesse der Maximierung ihrer Gewinne die Verhaltens- (Konsum-) Formen dei Jugend manipulieren und sich dabei ttraktiver Paradejugendlicher bedielen.

Die Soziologie, welche die Gesell-chaft und die sozialen Prozesse zum jegenstand ihrer Forschung gemacht tat, ist seit Jahren bemüht, auch die ugend in ihrer gesellschaftlichen Stel-ung und Funktion zu untersuchen. Je nehr Bedeutung die Jugend im Ver->and der modernen Gesellschaft hat, 11m so mehr gewinnt die Jugendsoziologie an Gewicht: für die Soziologie als janzes, für die Gesellschaftspolitik, lie ohne Kenntnis von Form und Struktur der Gesellschaft nur unzu-•eichend vollzogen werden kann, für lie Kultur und für die Pädagogik.

Vor allem für die Pädagogik, die sich immer mehr an Realitäten adaptiert und in unserem Land durch die Errichtung Pädagogischer Akademien sinen neuen, gehobenen Rang gewonnen hat.

Aufwertung der Jugendsoziologie

Bisher war die Pädagogik weitgehend auf den einzelnen „Schüler“ und auf die Kleingruppe der „Klassen“ fixiert gewesen^ jWeniger , auf J^foy&jwljF-Schon gär nicht auf die Jugenä als soziales Phänomen. Die Folge waren wachsende Reafitätsverluste' der theoretischen Pädagogik, die mit Typen arbeitete, die bestenfalls historische Qualität hatten.

Durch die Verlängerung der AüS-bildungs- und Lehrzeiten und durch die Erhöhung der Dotationen an die Schulen, aber auch durch den nunmehr von den Pädagogen erkannter Zwang auf einem, jenseits der Schule errichteten Erziehungsmarkt gegenüber den in ihrem Verhalten durch keine Erziehungsnormen gebundener

Jugendindustriellen bestehen zu müssen, ist die Schule neuerlich zu einem bedeutsamen Transportfaktor im Rahmen der Sozialisierung der Jugend geworden. Neben Elternhaus und Kirche. Die Schulgesetze, vor allem die Reorganisation der Schule, sind Anzeiger für diese Erkenntnis.

Wie kann aber das Objekt der Erziehung bildungsmäßig und, so weit noch manipulierbar, auch charakterlich aufgebaut werden. Wenn es, so wie es tatsächlich ist, nur unzureichend erkennbar gemacht wird. Die Jugend richtet sich nicht allein nach dem normativen Thesenkatalog der Pädagogik („Lehrziel“, „Lehrstoff“), man kann als Pädagoge nicht davon ausgehen, daß nicht ist, was nicht sein soll. Die Pädagogik muß sich auch nach dem Objekt ihrer Bemühungen richten, nach dem, was Jugend in einer Epoche nun einmal typisch ist. Die pädagogischen Maßnahmen können sich nur an Real- und nicht an Idealtypen orientieren, beispielsweise nicht mehr am Typ des „Jünglings“. Die so oft gezeigte Resignation von Pädagogen, die von einer Ohnmacht gegenüber den Giganten der Freizeitindustrie ausgehen, ist im Wesen nicht begründet. Die Jugendindustriellen eignen sich meist jene Regionen an (und machen sie zu Märkten), die von den originären Pädagogen (Eltern und Kirche wie Nachbarschaft) und auch von den beamteten Pädagogen, den Lehrern, verlassen wurden.

Die Jugend ist nicht so weitgehend von Massenmedien zu manipulieren, wie man dies annimmt. Vorgesellschaftlich ist die Jugend jedenfalls von ihrer Veranlagung bestimmt. Sie erweist sich aber weitgehend auch dem zweckhaften Milieueinflüssen der Schule gegenüber offen, wenn die Erziehung jugendkonform vollzogen und in einem pädagogischen Eros dokumentiert wird.

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