Einfach cool bleiben

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Die Tragödie beim Snowboard-Event am Bergisel hat wieder Interesse an der Jugend geweckt. Hoffentlich mehr als nur flüchtig.

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Die Tragödie beim Snowboard-Event am Bergisel hat wieder Interesse an der Jugend geweckt. Hoffentlich mehr als nur flüchtig.

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Wenn sie auffallen, dann meist negativ. Entweder werden sie als undiszipliniert gebrandmarkt, weil sie in den Schulen keine Autoritäten mehr akzeptieren. Dann wieder gelten sie als rücksichtslos und rebellisch, weil ihnen die Regelungen und Maßstäbe der Eltern einfach egal sind. Oder sie werden als betrunkene, herzlose Rowdies präsentiert, die sich auch angesichts von fünf Toten bei einem Snowboard-Event "nicht den Spaß verderben lassen wollen" (Furche 49/99) und ungerührt weiterfeiern. Was ist los mit unserer Jugend?

Sie gilt oft als oberflächliche, gleichgültig-distanzierte Generation, die den Individualismus liebt, viel Zeit damit verbringt, "sich zu finden", die etablierten Organisationen und Institutionen uncool findet und sich genußvoll auslebt. Sie will zwar auch die Anerkennung der Erwachsenen - aber nur für ihre eigenen Lebensentwürfe. Statt sich politisch zu engagieren, organisiert sie ihre eigenen bunten Events und schrille Paraden, die signalisieren: Seht her! Wir sind so, wie wir wollen!

Was will sie, diese Jugend? Aus dem Leben nur das Beste für sich selbst machen? Es gibt diese Tendenz, den Sinn des Daseins auf die Annehmlichkeiten des eigenen Erlebens zu reduzieren - verbunden mit dem Recht, diese Annehmlichkeiten ständig zu erweitern. Die Werbewirtschaft weiß das auch, lockt und verspricht, betont gekonnt den Eigenwert der Jugendlichen: Ja, du bist wichtig! Die Art und Weise, wie du dir die Welt vorstellst, ist wichtig! Wir haben für dich und deine Vorstellungen auch das entsprechende out-fit, die Fitneß-Geräte, die High-tech-Ausstattung, die Events ...

Diese Jugend lebt in einer Welt, in der materiell alles vorhanden ist. Und sie lebt in einer offenen Situation, in der sie sich frei bewegen kann, herausgelöst aus allen Zwängen und Normen. Die neuen Freiheiten haben das Leben für die jungen Menschen allerdings nicht einfacher gemacht. Im Gegenteil: Die Erstarkung des Ich ist mit Mühen verbunden. Es kann nerven und ermüden, immer das tun zu müssen, was man will. Die Jugendlichen sind dabei ständig auf sich selbst zurückgeworfen, denn im Gegensatz zu früher gibt es keine vorgefertigten Lebensmuster mehr.

Die früheren Generationen konnten mit ein paar Schlüssel die Alltagswelt aufsperren. Heute muß man sich seine Schlüssel selbst herrichten, und dabei gibt es dann nicht einmal ein vorgefertigtes Schloß. Über Jahrzehnte hinweg waren bestimmte Stile des Verhaltens - vom Essen angefangen bis zur Art der Vergnügungen - einfach da und wurden weitergegeben. Aufgabe war es, vorgegebene Lebensläufe zu erfüllen: Die Frauen bereiteten sich darauf vor, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Die berufliche Laufbahn der Männer war absehbar, wenn die ersten Weichen einmal gestellt waren.

Die Einbindung in die alten Institutionen mit einer vorgegebenen Rangordnung von Werten hatte auch eine große Entlastungsfunktion für die Gestaltung des Lebens - vom Sozialverhalten angefangen bis zum Sexualleben. Den Heranwachsenden wurde die Entscheidung abgenommen, wie sie sich in dieser oder jener Situation verhalten sollten.

Heute ist das anders. Heiraten? Kinder? Ein Beruf, in dem man auch bleiben kann? Wann und wie? Es ist für die meisten Jungen überhaupt nicht mehr klar, was wann im Leben passiert, und ob überhaupt. Als Rückstoß dieser Entwicklungen sehen wir heute eine über alle Maßen verunsicherte Jugend, die sich manchmal förmlich aus den Angeln gehoben fühlt. Aber - sie läßt es sich nicht anmerken. Bleib cool ist das Motto dieser Generation.

Wie kann sie aber Vertrauen in sich selbst und die Zukunft haben, wenn alles so unübersichtlich ist? Wer bietet den Jungen Entlastung an, wenn die alten Institutionen unglaubwürdig geworden sind? Es gibt sie, diese Entlastung, wenn auch in einer anderen Form als bisher. Gekommen ist ein neuer Anpassungszwang, der allerdings nur in ganz äußerliche Lebensmuster eingepaßt ist. Er läßt sich schon an den Schulen beobachten: Du mußt diese oder jene Jeans-Marke tragen. Du mußt diesen oder jenen Pop-Star kennen, sonst bist du nicht "in", gehörst nicht "dazu". Dahinter steht die Welt der Werbung, die sich an das Konsumstreben wendet: Die Steuerung der Jugend haben jetzt zum Großteil die Kräfte des Marktes übernommen.

Anpassung siegt Was sie anbieten, sind allerdings in Wirklichkeit nur Pseudo-Entlastungen, bloße Attrappen von Lebenssinn und Lebensinhalt. Aber wie die Fische auf die Angel schwimmen die jungen Menschen hurtig darauf zu. Sie streifen durch die Konsumwelten nicht nur, weil es dabei Unterhaltung, Erlebnis und Abwechslung gibt. Konsumwelten sind auch ein Heilmittel gegen das Chaos, die Regellosigkeit und Unübersichtlichkeit unserer Zeit. Die "Spiritualität des Konsums" verspricht den orientierungslosen Jugendlichen also nicht nur Faszination, sondern auch das ersehnte Gefühl: Ja, was du machst, ist richtig!

Diese zunehmende Außengelenktheit ist aber gefährlich, weil sie kaum das anspricht und kultiviert, was man früher "die Kraft und die Logik des Herzens" nannte.

Die alten Institutionen waren als solche so einleuchtend, daß sie verinnerlicht wurden. Es gab kein Hin- und Herschwimmen in einem ozeanischen Lebensgefühl wie heute, ohne Anbindung an Werte und Normen. Für die Manager des Marktes und der Werbung wären stabile Einstellungen, die den eigenen Entscheidungen Grenzen setzen oder bestimmte Schwerpunkte geben, natürlich hinderlich. Aber was bedeutet es für die Jugend?

Für sie ist das Ich die Welt, in der sie sich selbst findet. Die Frage ist nur, wie kommt sie zu ihrem Ich? Mit oder ohne (selbst auferlegte) moralische Standards, die helfen, die Lebensprobleme zu bewältigen? Und wer hilft dabei?

Zu einem sinnerfüllten Leben gehört es, sich selbst etwas zu gewähren. Aber es gehört auch dazu, imstande zu sein, sich zurückzustufen und zu sagen: Achtung, jetzt ist es genug! Das ist schwierig. Aber es zeigt sich ja nicht einmal das Bemühen der maßgeblichen Kräfte - von der Kirche angefangen über die Politik bis hin zu Pädagogen und Eltern -, die Jugendlichen ernst zu nehmen und ihnen dabei auch einiges abzuverlangen.

Derzeit scheint es, als ob die Kräfte der Anpassung siegen. Es gibt kaum Vorbilder aus der Welt der Erwachsenen, die sich massiv gegen die negativen Auswirkungen dieses überzogenen Konsumismus sperren. Daher kennen die Jugendlichen wenig Alternativen.

Es liegt auch an uns, was aus der jungen Generation werden wird. Nur zu jammern, daß wir einander nicht mehr verstehen, ist zuwenig.

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