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Die Metamorphose der Jugendbewegung

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Mit der Liquidation der Bedingungen, denen die „Freideutsche Jugend“,oder wie immer sich die Bündische Jugend nannte, ihr Entstehen ver- • dankte, änderte sich auch die Jugendbewegung, und so wurde sie \ schließlich auf die Kerngruppen jener reduziert, die auch ohne Umweltbedingungen einfach aus ihrer persönlichen Eigenart heraus ein Leben ( in einer Weise führen wollen und können wie die Formel, die auf dem Hohen Meissner gefunden werden konnte, andeutet. Die Metamorphose ,der Jugendbewegung, merkbar auch ,in den Etappen einer freiwilligen bis zur erzwungenen Verpolitisierung und eindeutig angezeigt nach 1945,ist das Ergebnis vieler Prozesse, die <

wir heute je für sich kaum mehr isolieren können. Vor allem fehlt das repräsentative Schrifttum der Bewegung. Jedes literarische Zeugnis, das aus der Mitte der Bünde kommt, ist persönliches Zeugnis. Dazu kommt noch, daß viele, die ehedem dabei gewesen waren, nun auch der Schicht der „Alten“ angehören und auch alt sein wollen. Die Groteske der „Alt-Jungenschaft“ ist das Ergebnis, eine Vermengung von alten“ und von „jungen“ Jungen. )ie Schreibenden sind aber meist ie Alten, für die eben die Bewegung ine von gestern ist und sein muß. Jäher kann das Schrifttum wohl tussage über die Jugendbewegung eben wie sie war, aber kaum mehr, /ie sie ist und sein soll.

Vor allem aber fehlt es am belebenden Widerstand der Väter und der Obrigkeit. Im Gegenteil. An die Stelle der Versuche, die Jugend über eine „Jugendpflege“ zu disziplinieren, ist das Bemühen von Alten getreten, die Jungen zu imitieren. Einer Bewegung jedoch, die am Widerstand gewachsen ist, kann kaum Ärgeres zustoßen als ein Zurückweichen des Gegners, an dessen Widerstand man sich finden und sich selbst interpretieren konnte. Was bleibt einer Jugend, die sich dem Prinzip fast anarchischer Freiheit verschrieben hatte, wenn ihr nun Freiheit nach allen Seiten geboten wird, so daß sie sich wieder nach Bindung, und sei es auch nur in den Bereichen des Konsums, sehnt?

Was ist nun geblieben, wenn wir davon absehen, daß es auch heute noch die Bünde „Jugendbewegter“ gibt? Hat die klassische Jugendbewegung Spuren hinterlassen, fünfzig Jahre nach dem Meissner-Manifest, nach einem turbulenten Aufbruch aus den markierten Gehegen der Gesellschaft? Was blieb, ist erheblich: Vor allem die Erkenntnis für die Pädagogen, daß die Jugend nicht nur ein Durchgang zwischen Kindheit und einem Erwachsensein ist, sondern ein durchaus Eigenes, in Stil, im Denken, in den Gesellungsformen. Wir dürfen nicht die „krausen Philosophemen“, in denen sich junge Menschen zu manifestieren suchen, als absolut ansehen, sondern sie unter Bedachtnahme auf die Situation des Uberganges, in der sich die Jugend befindet, klassifizieren. Das gilt auch für die scheinbar „alogischen“ Seelenhaltungen. Die Jugend soll auch in angemessenen Grenzen ihre Eigenmacht haben und da, wo sie sachverständig ist, einer Selbstführung überlassen werden, an Stelle ständiger Disziplinierungsversuche. Von den Lamentationen wollen wir ganz absehen („Zu meiner Zeit...“).

Geblieben sind auch einige — und leider allzu wenige — Schulversuche, in deren Ablauf sich erwiesen hat, daß es auch so etwas wie ein Miteinanderleben von Schülern und Lehrern geben, und daß der Unterricht in der Mitte dieses Zusammenlebens stehen kann und nicht nur „erteilt“ werden muß, wie die Beamtenpädagogen aller Zeiten meinen.

Was uns von des Jugendbewegung und nur von ihr geschenkt wurde, das ist die Pflege des Volksliedes und des Volkstanzes, die bis dahin nur oder überwiegend durch die in ihnen angelegte Chance gerechtfertigt wurden, der „Geselligkeit“ zu dienen. Es wäre eine Art von Uberrepräsentation, wollte man davon ausgehen, die Jugendbewegung habe sich im Dargebot von Volkslied und Volkstanz erschöpft, im zeremoniellen „Speere werfen und die Götter ehren“. Wer das glaubt, der reduziert die Jugendbewegung auf Spielgruppen. Gerade für die katholischen Gruppen in der Bündischen Jugend kann man dies nicht behaupten, wohl aber für die Liberalen und die Atheisten, deren Sprecher in den beiden obgenannten Werken vor allem zu Wort kommen. Da sie das „ kirchlich-konfessionelle Gewand“ meiden, müssen sie das Lied und den Tanz auf die kultische Ebene heben, um schließlich ohne geistigen Eigenstand dazustehen und sich in einem nichtssagenden Humanismus zu erschöpfen, der auch für den Diktator noch eine Rechtfertigung findet.

Geblieben ist aber auch die Erfahrung, daß die Bündische Jugend ein Einmaliges ist. Die Zeugnisse, die uns Kindt vorlegt, beweisen es. Daher gibt es auch keine „alte Jugendbewegung“, abgesehen vom sprachlichen Unsinn des Wortes. Man davl wohl Hans Joachim Schoeps zustimmen, wenn er meint, daß die klassischen Meissner-Fahrer (deren Epigonen sich heute oft mit ihrem Mercedes bis zum Thingplatz „begeben“) durch Nachfolge geehrt werden müßten, durch Auslese der noch gültigen Aussagen der Zeit vor 1913, und nicht durch Übernahme von Zeremonien. Die beiden eingangs zitierten Bücher aber, so ungleich der Wert der einzelnen Beiträge auch sein mag, sind Dokumente, an denen die Soziologen und die Pädagogen nicht vorübergehen dürften, wenn sie die Jugendbewegung nicht als ausschließlich historische Erscheinung disqualifizieren wollten.

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