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Ein deutscher Traum

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Wenn etwas Wahres an dem Worte ist, daß Kunst der Ausdruck einer inneren Wandlung ist, so eröffnet ein Blick auf den neuen Berliner Film hoffnungsreiche Ausblicke auf den kommenden Ablauf des bewegten deutschen Schicksalsdramas. Als der erste Film einer in aller Welt vielbemerkten Reihe, „Die Mörder sind unter uns“, erschien, konnte man bei aller Reife des Werkes allenfalls noch vermuten, daß sich mit ihm aus Not und Tod ein glücklicher Einzelfall ohne Voraussetzung und Nachfolge abgelöst habe. Nun sehen wir den zweiten Film dieser Reihe, „R a z z i a“, und wissen im Augenblick, daß wir einem völlig neuen seelischen Zustand, einem ausgeprägten neuen deutschen Kunststil von „poetischer Sachlichkeit“ gegenüberstehen. An dieses Phänomen knüpft sich eine große Hoffnung, ein Traum, schöner als alle deutschen Träume von Glanz und Gloria gefährlich schimmernder Kyff-häuserherrlichkeit.

„Razzia“ schließt zeitlich und thematisch unmittelbar an die „Mörder unter uns“ an. 'Dieselben unheimlichen Häuserruinen der zerschlagenen Metropole werfen ihre Schatten auf das Geschehen. Aber das Leben hat inzwischen einen weiten Schritt vorwärts getan. Den Mördern unter uns, hier den jungen und alten Taugenichtsen und Schlurfen, ewigen Irrlichtern der Hungerzeit, steht bereits eine gewachsene, geschlossene Zivilfront der Anständigkeit gegenüber, hier* ein Korps von klugen, couragierten Kriminalbeamten, Men-schen mit Haltung, die mit dem harten Blick auf das Ziel arbeiten, kämpfen und fallen. Die Gesinnung, die Haltung ist es, die von diesem hinreißenden Film so starke Wirkung, Schönheit und Wärme ausstrahlt. Ausschnitte wie' die Heimkehr des Jungen des Kriminalbeamten, die Auffindung des ermordeten Vaters durch eine zwischen zerschossenen Panzern spielende Kinderschar, oder die vom Humor des Dichters erwärmte Ironie der Schlußszene, da der Kriminalkommissär und unerbittliche Bekämpfer des dunklen Handels der Frau des gemordeten Kollegen mit einem Strauß von l/umen — vom Schwarzen Markt gegenübertritA, sind Dokumente einer poetischen Wahrheit und Wirklichkeit, wie sie noch kein Film der Nachkriegszeit gezeigt hat.

Die Welt als Bühne, auf der göttliche Mächte die Geschicke lenken — dieser uralte Gedanke, den man bis auf Piaton zurückführen kann: in der dramatischen Weltschau C a 1 d e r o n s ist er verwirklicht worden wie nie vorher noch nachher. Und all diese Menschengeschicke sind nun außerdem verWoben mit dem Kreisen der Sterne, mit den Giften und Heilkräften der Natur, mit der Bewegung der elf himmlischen Sphären. Magische und kosmische Kräfte walten in dieser Welt; höllischer Zauber sprüht auf — und doch ist alles zuletzt beherrscht von der Fügung göttlicher Gnade und Weisheit.

E. H. Cuitlus über Caldeion

Die Siegerstaaten konnten solches Geschenk nicht geben. Denn aus der Not nur wächst die letzte seelische Größe. Aber auch wir in Österreich, die wir heute noch von der flachen Ebene einer sehr mittleren und ehrgeizlosen heimischen Filmproduktion Ausschau halten, schließen angesichts .solcher fernen Firne geblendet die Augen. Ergriffen und bewundernd. Und ein wenig schmerzlich berührt, *

Einige Jahre zurück. Zu der Hauptkampflinie des zweiten Weltkrieges trat, in so bestimmendem Einfluß wohl zum erstenmal in der Geschichte des Krieges, eine Nebenfront von gleicher Erbittertheit, der Partisanenkrieg. Seine Erfolge gegen den deutschen Einbruch in Polen und Frankreich, in Skandinavien und am Balkan, besonders aber in den unergründlichen Sümpfen und Steppen der Riesenfalle Rußland, durch die Schädigung der rückwärtigen Armeedienste und die Bindung der Sicherungstruppe waren mitbestimmend am Zusammenbruch der deutschen Angriffsstrategie. Wie tief dieses nationale, militärische und psychologische Problem in die Zeit eingriff, Gemeinschaft und Individuum bewegte, geht aus den heftigen Wellen hervor, die es noch heute in die Kunst unserer Tage hereinschlägt. Wir sahen vor einiger Zeit den französischen Film „Die Schienenschlacht“ und erst vor kurzem den Versuch einer Vertiefung des Konflikts auf der Bühne, Csokors „Verlorenen Sohn“,

Nun vermittelte dieser Tage eine österreichisch-russische Kulturfreundschaf tsgeselischaft in einer Sondervorführung die Bekanntschaft mit einem russischen Film von der polnischen Partisanenbewegung, „Sigmund Koloso w s k i ]“. In zugeständnisloser Schwarzweißtechnik stellt der Film einen Vorkämpfer der polnischen Befreiungsbewegung und seine Getreuen den deutschen Eroberern und einem (leider sehr flächig charakterisierten) Verräter der eigenen Sache gegenüber. Es ist bei aller tadellosen Beherrschung der Mittel, wie Darstellung, Photographie, Schnitt, Musik, nicht ein Kunstwerk im eigentlichen Sinn — dazu müßte die Gegenseite viel konturierter, problematischer erscheinen, etwa wie in Ver-cors' mutigem „Schweigen“ —, aber ein ehrlicher, überzeugender, massiver Zweckfilm. In seiner dramaturgischen Schwäche, der irrealen Überfälle abenteuerlicher Verwandlungen und glücklichster Erfolge des Helden, liegt ein Gutteil der starken Wirkung des Films, sein Reiz, seine Volkstümlichkeit, seine explosive Dynamik.

Die Zuschauer, die in ihrer bestimmten Zusammensetzung eine Art politisches Seminar darstellten, gaben ihrer Bewegtheit nach der Vorführung in einer fruchtbaren Wechselrede Ausdruck, die ein Sprecher der Gesellschaft taktisch klug an manchen Leerläufen und anderen Gefahren vorbeisteuerte.

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