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Digital In Arbeit

Ein Druck auf den Knopf

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Stellen wir uns einmal vor, wir kommen abends nach Hause: Ein Druck auf einen Knopi und der Fahrstuhl kommt ins Parterre, ein Druck auf einen anderen Knopf und wir gleiten in den 5. Stock; ein Griff nach einem Schalter und das Licht von Hunderten von Kerzen flammt auf. Wir drehen einen Hahn auf und der Warmwasserspeicher schaltet sich ein, wir drücken einen Hebel und die Espressomaschinc tritt in Tätigkeit; ein paar Knöpfe werden gedreht und Radio und Fernsehen bringen uns mit den entferntesten Punkten der Welt in Verbindung.

Wir sind umgeben von einer Unzahl von Schaltern, Hebeln und Knöpfen. Die „Push- button”-Zivilisation ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Meistens nehmen wir gar nicht zur Kenntnis, welche ungeheuren Energien durch einen einzigen kleinen Handgriff von uns ausgelöst werden. Wir werden uns dessen erst bewußt, wenn eine Maschine versagt — oder wenn der Mensch versagt. Die meisten Menschen sind sich wohl über die Wirkung technischer Vorrichtungen im klaren, aber nicht darüber, wie diese zustande kommen. Ein Beispiel dafür ist der Autofahrer, der dem Problem einer gelockerten Schraube hilflos gegenübersteht. Wie oft wird aber ein Versagen der Maschinen durch unrichtige Bedienung der technischen Hilfsmittel verursacht: Man drückt den falschen Knopf und die Maschine verweigert den Dienst.

Hier wird die Gestaltung dieser Knöpfe und Hebel, die den Kontakt des Menschen mit der Maschine halten, auf die die Maschine für den Bedienenden faktisch reduziert ist, zum brennenden Problem. Wenn schon im täglichen Leben ein Irrtum chaotische Verwirrung hervor- tüfen kann, um wieviel entscheidender müssen sich dann solche Fehler in der Industrie auswirken, wo durch unrichtige Bedienung größter materieller Schaden an Werkzeug und Produkten entstehen kann.

Die Gestaltung von Kontrollen ist nicht die eigentliche Aufgabe des Maschinenbauers, der nach rein technischen Gesichtspunkten arbeitet, sondern des Industrieentwerfers, der die psychologischen Momente mit einbezieht: Er wahrt das Interesse des Menschen gegenüber der Maschine. Er sorgt dafür, daß der Mensch in dem aufregenden Wettlauf mit der Technik die Oberhand behält, indem er die Maschine an die menschlichen Fähigkeiten anpaßt. Das Problem ist nicht mehr, immer vollkommenere Maschinen zu bauen, sondern sie so zu bauen, daß sie der Mensch noch in seiner Gewalt hat und daß eine Bedienung ohne Fehler und Verluste an Zeit und Energie möglich ist.

Während des zweiten Weltkrieges wurden besonders in den USA eingehende Untersuchungen begonnen, um die wichtigsten Richtlinien für eine entsprechende Formgebung von Kontrollen in diesem Sinn zu erhalten. Man ging von den häufigsten Fehlern, die bei der Bedienung komplizierter technischer Vorrichtungen — vor allem in der Flugzeugtechnik — auftraten, aus, und stellte fest, daß die Instrumente, die eine Information vermitteln, also alle Arten von Skalen und Meßgeräten sowie die Kontrollvorrichtungen, wie Hebel, Schalter und Knöpfe, eine besondere Rolle spielen. Die mit Hilfe modernster Methoden der angewandten Psychologie gewonnenen genauen ziffernmäßigen Angaben geben dem Industrieentwerfer das Rüstzeug für seine Arbeit.

So ist etwa die Form und Größe einer Skala von Bedeutung, wie auch die Art der Beschriftung, ob diese durch Striche oder Ziffern erfolgt, sowie der Abstand der Markierungen voneinander. Das rasche Tempo vieler technischer Vorgänge läßt die Geschwindigkeit des Ablesens von Skalen und die Verkürzung der Reaktionszeit sehr wichtig werden. Auch die Anordnung von Skalen muß überlegt sein. Gegenläufige Zeigerbewegungen ermüden. Besonders hat sich die Gruppierung einer Reihe von Skalen in der Art bewährt, daß — ohne Rücksicht auf die Bedeutung der einzelnen Marken — im Normalfall alle Zeiger dieselbe Stellung einnehmen. Ein einziger Blick genügt also zur Kontrolle und nur bei Abweichungen ist eine genauere Beobachtung nötig.

Auf Grund der durch solche Ablesungen gewonnenen Information werden Schlüsse gezogen (dies geschieht außer bei völliger Automation durch den Menschen) und in eine entsprechende Betätigung der Kontrollen übertragen. Die Art der Kontrolle, ob also Räder, Knüppel, Hebel, Schalter oder Knöpfe angebracht werden, richtet sich nach dem Verwendungszweck. Es ist entscheidend, daß man bei der Bedienung einer Kontrolle das „Gefühl” einer Aktion hat, daß diese der eigenen Kraft also einen Widerstand entgegensetzt — denken wir wieder an das Gaspedal —, der dieser Kraft angepaßt ist.

Häufig entsteht eine Irritierung dadurch, daß die Bewegungsrichtung von Kontrollen nicht sinnfällig ist: Soll eine Last etwa aufwärtsbewegt werden, muß auch der entsprechende Hebel aufwärts zu schieben sein. Kontrollen, die genau entgegengesetzte Vorgänge auslösen, sollten leicht unterscheidbar sein und womöglich nicht nebeneinander angeordnet werden: Wie häufig tritt jemand auf das Gaspedal statt auf die Bremse — und das kann immerhin eine Frage von Leben oder Tod sein. Seht oft wird auch die richtige Abfolge von Bewegungen verwechselt. Man versucht das durch eine Reihenschaltung oder durch Einbau entsprechender Sperrvorrichtungen zu verhindern.

Eine Entlastung des Bedienungspersonals wird auch durch die Standardisierung der Kontrollen an gleichartigen Maschinen erreicht, die das zeitraubende Umlernen beim Wechsel von einem Apparat zum anderen — etwa bei Piloten, die verschiedene Typen fliegen — vermeiden hilft.

Naturgemäß dominieren die Augen bei der Beobachtung von Kontrollen. Immerhin könnte eine entsprechende Verteilung auf den gesamten sensorischen Apparat des Menschen die einseitige Ueberbeanspruchung ausschalten. Ein Pilot, der 60 Kontrollgeräte zu bedienen hat, bedient 53 davon durch die Augen, 12 durch das Gehör und nur 8 durch Tastwahrnehmungen. (Die Unstimmigkeit in der Zahl ist dadurch bedingt, daß manche Kontrollen mehrere Sinne beanspruchen.)

So selbstverständlich die aufgezählten Grundsätze erscheinen mögen, werden sie doch in der Praxis erstaunlich wenig beachtet. Man ist es anders gewöhnt und man bleibt dabei, obwohl dem Unternehmer in der Industrie mit vielleicht geringfügigen Aenderungen große Verluste durch Ausschuß oder Unfälle erspart werden könnten.

Die kleinen Knöpfe und Schalter, von denen soviel abhängt, sind nur ein Teilgebiet des großen Problems, dem sich der Mensch in der Welt der Mechanisierung gegenübersieht. Es ist aber heute schon abzusehen, daß die fortschreitende Automatisierung nicht, wie früher oft behauptet wurde, den Menschen zu einem Teil der Maschine degradiert. Im Gegenteil, der menschliche Faktor wird immer wichtiger. Gerade der „Druck auf einen Knopf” beweist, wie sehr es auf ihn ankommt. Voraussetzung ist allerdings, daß die Maschinen und Geräte, mit denen der Mensch arbeitet, so gestaltet sind, daß er sich ihrer überlegen und zu seinem Nutzen bedienen kann.

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