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Ein filmisches Naturereignis

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Wenn derzeit auch der Film eine unerquickliche Periode der Aggresi- ität mit Sex und Brutalität durchmacht, darf man als hoffnungsloser Optimist doch nicht den Glauben aufgeben, daß der Film mehr kann und sein könnte als er im Augenblick zeigt. Wie ein Blitz die lange Dunkelheit der Nacht plötzlich auf- hellt, Bäume, Berge, Landschaft und Wolken jäh erkennen läßt, so zeigt auch die Kinoleinwand zuweilen solche Blitze von echter Faszination und macht wenigstens vorübergehend wieder gut, was viele andere konsequent verderben.

Des jungen jugoslawischen Regisseurs Alexander Petrovic zu Recht vielfach preisgekrönter Film „Ich traf sogar glückliche Zigeuner“ ist ein solches filmisches Naturereignis. Petrovic kommt vom Dokumentarfilm und versteht es vortrefflich, Milieu und Atmosphäre bestürzend echt einzufangen. Die Welt der Zigeuner irgendwo am Rande der Ebenen, die sich dem Balkan zuwenden, ist sein einzigartiges Thema. Es sind nicht die Zigeuner einer kitschigen Operettenromantik, es ist die Wirklichkeit dieses ewigen Nomadenvolkes geheimnisvollen Ursprungs, die sich in jeder Umgebung ein starkes Maß an Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit bewahrt haben, die sich zwar rasch anpassen an Landschaft und Menschenumwelt, aber nie aufgehen und untergehen, sondern immer bleiben, als was sie geboren, nämlich Zigeuner, wild und leidenschaftlich, voll balladesker Ursprünglichkeit. Nur drei Berufsschauspieler wirken mit, doch man merkt keinen Unterschied zwischen Laiendarsteller und ihnen und das allein schon ist eine erstaunliche Regieleitung.

Der Film, in wunderschönen, faszinierenden Farben von bestürzender Echtheit und Poesie zugleich, behandelt eine bittersüße Liebesge- i schichte ohne billige Konzessionen 1 und folkloristische Kolportageele- mente. Bild, Handlung und die dem Zigeunerleben entsprechenden Cha- j raktere sind zu einer überwältigen- 1 den Komposition zusammengefaßt. 1 Den Darstellern gelingt es, mensch- , liehe Größe, Leidenschaft und Schwäche glaubhaft transparent zu machen. Ihr Spiel ist nie gespielt, sondern von ungeschminkter Echtheit. Besonders Bekirn Fehmiu, aber auch Olivera Vuko und Bata Zivojinovic — Namen die hier niemand kennt — und die dennoch viel mehr schauspielerische Kraft besitzen als viele landläufige Stars und „Größen“ unserer Breiten. Ihnen zur Seite stehen die echten Zigeuner, Gesichter, in denen alles Leid und alles Schicksal dieses Volkes eingegraben ist, aus deren Augen uns eine fremde Welt anblickt, unbegreiflich für unsere zivilisierte und genormte Gesellschaft.

Man redet viel und vergeblich und auch sinnlos vom Kampf gegen den verderblichen Film. Diesen Film anzusehen wäre eine sinnvolle Aktion für den guten, für den großartigen Film.

• Die Neufassung von Darius Milhauds Oper „Christoph Colombe“ auf einen Text Paul Claudels findet am 21. Juni im Grazer Opernhaus statt. Regie führt Adolf Rott, es dirigiert Berislav Klobucar. Der Komponist hat sein Erscheinen zugesagt. Darnach soll die Neufassung auch in San Francisco und in Wuppertal jespielt werden.

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