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Hubert von Goisern hat sich mit knapp 60 noch einmal neu erfunden. In der FURCHE erzählt er vom Gefühl, nicht zu wissen wie‘s weitergeht, seinem Ideenkatalog und vom Jodeln in Grönland.

In der österreichischen Musiklandschaft ist Hubert von Goisern seit Jahrzehnten eine Fixgröße. Doch erst letzen Herbst landete er mit "Brenna tuat’s guat“ einen Nummer-eins-Hit. Seitdem tourt er unermüdlich durch den deutschsprachigen Raum. Für ein Gespräch mit der FURCHE fand er trotzdem Zeit.

Die Furche: Vor Ostern haben Sie eine Tourpause eingelegt und eine Woche in Grönland verbracht. Warum?

Hubert von Goisern: In Ostgrönland gibt es einen Südtiroler, Robert Peroni. Er führt dort ein Gästehaus, das gleichzeitig eine Auffangstation für Jugendliche ist, denen die Perspektive fehlt. Und das sind viele dort. Das Leben ihrer Väter als Jäger geht sich für sie nicht mehr aus, etwas Neues gibt es nicht. Die Jugendlichen werden mehr und mehr entwurzelt und die Selbstmordrate ist sehr hoch. Als mir vorgeschlagen wurde, dort ein musikalisches Projekt zu machen, war ich zuerst skeptisch. Ich bin ja kein Sozialarbeiter. Aber wenn dich jemand bittet, über so etwas Gedanken zu machen, kann ich das nicht ausschlagen. Deshalb war ich im letzten September und vor Ostern wieder dort.

Die Furche: Um mit Kindern zu musizieren?

HvG: Ja, und wir haben viel Musik gehört miteinander. Ich habe eine große Sammlung an grönländischer Musik, die habe ich mitgenommen, zusammen mit traditioneller Musik aus allen möglichen Kulturkreisen. Es gibt in Grönland praktisch keine traditionelle Musik mehr. Nur dänische und angloamerikanische Popmusik und ein paar Kirchenlieder, die zwar in ostgrönländischer Sprache gesungen werden, aber nicht dort gewachsen sind. Als ich jungen Erwachsenen dann Lieder vorgespielt habe, die ihre Großeltern gesungen habe, konnte man sehen, wie ihnen die Musik einfährt. Sie haben sich dazu bewegt, teilweise gewusst, wessen Vorfahre aus welchem Ort das Lied singt, obwohl sie es noch nie gehört haben. Eigentlich bringe ich ihnen ihre eigene Musik nahe. Und denjenigen, die selber kreativ Musik machen möchten, biete ich meine Erfahrung. Man muss beim Komponieren ja immer aus irgendetwas schöpfen, man erfindet ja nicht bei jedem Lied den tiefen Teller neu. Man braucht Quellen aus der man schöpft, alles kommt aus einer Tradition heraus. Es ist eine Frage der Auswahl.

Die Furche: Sie haben die Quelle freigelegt?

HvG: Der Beitrag, den ich leisten kann, ist, dass sie sich damit auseinandersetzen. Ich habe Musikunterricht gegeben und Singstunden, in denen ich mit den Kindern einen Jodler erarbeitet habe, als Beispiel aus unserer Tradition.

Die Furche: Ist Ihnen das gelungen?

HvG: Es war auch eine Lektion für mich! Ich wurde daran erinnert, dass Musik für jeden etwas anderes ist. Als ich ein F anstimmte und sie aufforderte diesen Ton nachzusingen, hörte ich so gut wie jede Frequenz, die im Bereich einer Kinderstimme liegt. F war trotzdem keines dabei. Eigentlich wollte ich ihnen in dem Moment am liebsten sagen, vergessen wir’s, das wird nichts. Aber Angesichts ihrer strahlenden Augen, brachte ich es nicht übers Herz. Es kostete mich viel Kraft und fast ebensoviel Glaube. Vielleicht half auch die Anrufung der heiligen Rita, das Unmögliche möglich zu machen. Am Ende konnte man jedenfalls, mit etwas Fantasie, die Melodie durchhören. Als ich ihnen zum Abschluss noch das Hiatamadl spielte, sangen sie bei den Jodlerpassagen schon ganz wunderbar und intuitiv mit. Im Jänner möchte ich wieder hinfahren. Ich bin gespannt, was bis dahin hängen geblieben ist.

Die Furche: Reisen ist eines Ihrer großen Lebensthemen. Was fasziniert Sie so daran?

HvG: Der Bruch. Wenn du wo hin reist, wo du noch nie warst, musst du ganz wach sein. Du kannst nichts selbstverständlich nehmen. Das mag ich.

Die Furche: Dabei verlässt man komplett seine Komfortzone. Manchen macht das Angst.

HvG: Es ist auch für mich manchmal sehr anstrengend. Dann frag ich mich schon: Warum machst du das jetzt? Dann sehne ich mich nach Geborgenheit und einer Tür die ich hinter mir zumachen kann, oder nach einem Wasserkocher, um mir eine Tasse Tee zu brühen. Aber es geht auch ohne das. Und du musst Geduld haben und schauen, was passiert. Ich suche das. Wenn es etwas gibt, wovor ich Angst habe, ist es Routine.

Die Furche: Trotzdem sind Sie immer wieder aus dem Ausland zurückgekommen…

HvG: …bevor dort die Routine einreißt.

Die Furche: Ist Ihnen Heimat, dieser eine Ort "Zu Hause“ wichtig?

HvG: Ja. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder auf Reisen gehen kann. Weil es diesen Ort gibt, an den ich mich hinträumen kann, wenn’s mir nicht gut geht.

Die Furche: Und Tradition?

HvG: Tradition schafft ein Zugehörigkeitsgefühl, aber sie schließt auch andere aus. Wenn ich zu den Tuareg komme, oder zu den Samen, oder zu den Goiserern, und die ziehen sich auf ein "Mir san mir, und das war schon immer so“ zurück, dann ist mir das zu wenig. Der Spagat zwischen Tradition und Offenheit ist eine gymnastische Übung, sie hält den Geist gelenkig. Ich mag keine Manifeste, keine Mauern. Ich suche die Fenster und mache sie auf. Ich schau, wo die Mauer brüchig ist, und mach das Loch größer, damit’s durchzieht.

Die Furche: Wäre ein "normales“ Leben mit Bürojob, Hund und Reihenhaus je für Sie infrage gekommen?

HvG: Ich habe versucht, einen normalen Beruf auszuüben, ich habe Chemielaborant gelernt, aber ich bin hoffnungslos darin. In meiner Lehrzeit habe ich das Labor zwei Mal angezündet und ein Mal unter Wasser gesetzt, ich war ein Desaster. Dann hab ich zur Kenntnis genommen, dass das nicht das Richtige ist. Ich bin froh, dass ich die Musik gefunden habe, weil das ein Beruf, eine Berufung ist, die ich nicht als Arbeit empfinde.

Die Furche: Aber das Anecken ist geblieben.

HvG: Das ist eine Erwartungshaltung und etwas, das ich abbauen möchte. Dieses Rebellionsgefühl gehört eher zu den jungen Jahren. Bis zu einem gewissen Grad sollte man sich das erhalten, aber es muss mit dem Alter auch ein bisschen Weisheit und Gelassenheit dazukommen. Und ein Verständnis und Mitgefühl für die Leute, die’s gut meinen, aber nicht gut machen. Meine Erfahrung ist, dass es nur ganz wenige Leute gibt, die a priori böse sind. Die meisten wissen einfach nicht, was sie tun.

Die Furche: Diese Achtsamkeit und Solidarität, die Sie auch immer wieder besingen, kann man das lernen?

HvG: Ich glaube schon. Ich musste mich erst in diese Ausgesetztheit begeben, nicht zu wissen, wie’s weitergeht. Wenn man nicht weiß wie man die Miete nächsten Monat zahlen soll, keine Erfolge vorweisen kann, wird man ganz dünnhäutig. Dann bekommt man eine Wahrnehmung und ein Verständnis für Dinge, die über das Materielle hinausgehen.

Die Furche: Jetzt können Sie Erfolge vorweisen: zwei Amadeus Awards, Doppel-Platin fürs neue Album, eine ausverkaufte Tour…

HvG: Erfolg ist für mich, wenn es gelingt, eine Idee zur Tat werden zu lassen. Ideen fliegen einem ja immer zu. Man muss nur sensibel genug sein, um sie wahrzunehmen. Sie umzusetzen ist dann noch einmal etwas anderes. Das kann dann auch anstrengend werden. Wenn’s aufgeht und funktioniert, ist das ein großes Geschenk.

Die Furche: Hatten Sie denn viele Ideen, die nicht aufgegangen sind?

HvG: Eigentlich nicht. Aber ich habe ein paar Ideen in meinem Katalog, die ich noch nicht umgesetzt habe.

Entwederundoder

Von Hubert von Goisern

Audio CD - 2011: e 14,99

MP3 Album: e 9,48

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