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Geistes -Schicksal des Schriftstellers

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DER SCHRIFTSTELLER IM KREUZFEUER DER IDEOLOGIEN. Von Eugen G ü r 11 e r. Verlag Anton Pustet, München, 1962. 93 Seiten. Preis 5.80 DM.

Die Haupt- und Doktorfrage unserer Zeit ist und bleibt die nach dem Grade ihrer eigenen Wirklichkeit. Welche gewundenen Wege geht das Irreale, um schließlich als konkrete Tatsache in die Welt springen zu können, sie immer mehr mit solchen unleugbaren Fakten ausreichend, die, zusammengebacken, zuletzt den Koprolithen des totalen Staates ergeben?

Eugen Gürster, wesentlich ein dramatischer Autor — zu Hitlers Zeiten spielte ihn das Ausland unter Namen Hermann Steinhausen, im verwichenen Frühwinter brachte das Burgtheater seine Calderon-Nachdichtung — untersucht unsere Frage am Geistes-Schicksal mehrerer Schriftsteller, wobei dieser Begriff sehr weit gefaßt wird. Denn unter den Behandelten sind nur Sartre, Benn und Brecht eigentliche Künstler. Die der Gestaltung fähigen Geister aber zeigen stets ein anderes Verhalten in diesen Sachen als die nur reflektierenden. Erleiden sie eine ideologische Infektion, so sind sie unter Umständen sogar der Selbst-hcilung fähig, ja, vielleicht nur sie allein. Benn hat es erwiesen, und Brecht hätte es vielleicht bei längerem Leben gleichfalls noch demonstriert.

Eingehend beschäftigt sich Eugen Gürster mit einer besonderen Art sekundärer Autoren, mit solchen nämlich, die aus der ostdeutschen Zone nach Westen geflohen sind, ihre äußeren Lebensverhältnisse — die offenbar kritisch geworden waren — entschärfend und kurierend, nicht aber sich selbst: hier fehlt die Fähigkeit zur Selbstheilung. Die bedeutendsten Gestalten unter ihnen sind Alfred Kantorowicz und Ernst Bloch. Es besteht kein Grund, sie nicht für repräsentativ zu nehmen. Gürster zeigt eindringlich die ungeheure Paradoxie dieser Lage. Daß Persönlichkeiten von solcher Art ihren Kommunismus vor den Kommunisten in Sicherheit bringen mußten, und zwar im Westen, um ihn hier gewissermaßen aufs Eis zu legen — bis zum Ende der „Übergangszeit“ —, das ist eine Groteske der Tatsachenblindheit und Apperzeptionsverweigerung, wie sie in diesem Ausmaß noch nicht da war. Hier fehlt bereits jeder Rest eines Gespürs für die reale Dialektik des Lebens und die UnStreitigkeit des „facta loquuntur“. Und auf diesem Wege müßte in Konsequenz unsere Welt sozusagen aus der Stereometrie' fallen und bis zur zweidimensionalen Plattheit ausgewalzt werden, vas^u

Auf diese Tatsachenblindheit legt Gürster in der vorliegenden Schrift einen scharfen Akzent (pag. 35 f.). Er hat sie an ganz anderer Stelle einmal gestaltet, weit bseits vom Thema des Ideologischen, und

wahrscheinlich ohne an dieses auch nur zu denken, sondern in der naiven Freude am Erzählen. Wir meinen seine Geschichte vom Jongleur (Rastelli?), die man vorlängst da oder dort hat lesen können. Ihre völlige gedankliche Unbeschwertheit kriegt den Gegenstand auf stupende Weise in den Griff. Ein Jahr lang arbeitet der Jongleur heimlich und hart, um von sieben auf acht Kugeln zu kommen. Endlich, beim Auftritt mit acht Kugeln, wird's ein großer Erfolg; aber es ist der gewohnte. Niemand hat bemerkt, daß jetzt schon mit acht Kugeln jongliert wurde; nicht einmal die eigene Frau.

So dicht ist die abschirmende Wand vor unseren gehaltenen Augen. Aber dies ist kein Ungenügen nur, keine physiologische, psychologische, pathologische Tatsache, sondern eine fatale, eine vom Schicksal gewollte, die nicht vom Pathologen, sondern nur vom Fatologen gedeutet werden kann.

Gürster sieht in der Tatsachenblindheit das Symptom der vollzogenen Überwältigung eines Schriftstellers durch irgendeine Ideologie, also das Ende des Prozesses. Den Anfang demonstriert er an Sartre. Aber jeder Schriftsteller überhaupt ist heute, nach Gürster, in hohem Grade anfällig. Die

Entmachtung und Isolierung des Intellektuellen in der heutigen Gesellschaft, sein Wunsch, zu wirken (mehr oder weniger getrübt vom Geltungsdrangc), seine Scheu, allein in einem Vacuum zu stehen: das alles drückt ihn dorthin, wo sich Wirkung und Mitarbeit an einer, wie es scheint, so unerläßlichen Wandlung unserer Welt anbieten. Der Preis aber, den der Schriftsteller für die Flucht aus seiner Kategorie bezahlt, ist ein furchtbarer: Verlust der Wirklichkeit. Das Übel überrennt ihn, und von ihm geht es wieder aus. Gürster läßt keinen Zweifel an der, trotz allem, bestehenden gefährlichen Importanz des Schreibenden in unserer Zeit

Ein Ausblick in die Anschaulichkeit — man könnte auch sagen: in die Welt des reinen Künstlers — schließt dieses im eigentlichsten Sinne spannende und aufregende Buch. Das Ende der ideologischen Epoche wird hier für möglich gehalten:

„Es ändert sich gar nichts an der Menschheit, wenn man an ihr verzweifelt; der konkrete Mensch mit seinem realen Leiden und seinen immer etwas chimärischen Freuden bleibt immer erreichbar für den, der ihn erreichen will.“

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