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HAROLD MACMILLAN / GESPRÄCHE IM KREML

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Bei den Trägem der obersten Verantwortung ist, wie Lord Robert Cecil einmal gesagt hat, Charakter wichtiger als Intelligenz. Die Intellektuellen machen darum in England keineswegs ipso facto eine Elite aus. Blendende Gescheitheit ist oft dem gesunden Menschenverstand abhold, Genies sind verdächtig. Den Nachwuchs für die Führerstellen liefern darum seit eh und \e die Colleges in Oxford und Cambridge, weil man dort auf Charakterbildung mehr Wert legt als auf das Anhäufen von bloßem Wissen. Premierminister Harold Macmillan ist darum ein rares Phänomen in der englischen Politik: er gilt ah konservativer Intellektueller, als „Highbrow”, dem seine Gegner intellektuellen Hochmut vorwerfen, aber von dem auch ein bissiger Parlamentskollege 1955 bemerkt ‘ hatte: „Er ist der ideale Außenminister, er sieht wie ein Marquis des 19. Jahrhunderts aus, der mit der kühlen Nonchalance des 18. Jahrhunderts an die Probleme des 20. Jahrhunderts herangeht.” Darum nannte er seinen Moskaubesuch „eine Entdeckungs- und Erkundungsfahrt”.

Was im „Who’s Who” über ihn steht, kann allein nicht viel helfen. Erst seit einigen Jahren gibt dieses periodische Werk den 10. Februar 1894 als seinen Geburtstag an. Daß er im exklusiven Eton zur Schule ging, sein Studium in Oxford mit einem ausgezeichneten Examen abschloß und profunde Kenntnisse des Lateinischen und Griechischen besitzt, den ersten Weltkrieg als aktiver Gardeoffizier mitmachte, seit Ende 1920 mit Lady Dorothy Evelyn Cavendish, einer Tochter des neunten Herzogs von Devonshire, dessen Adjutant er gewesen, verheiratet ist, einen Sohn, drei Töchter und acht Enkelkinder hat — all das vermittelt nur das Bild eines Engländers aus der alten Oberschicht.

Aufschlußreicher ist schon, daß seine Mutter Amerikanerin war und die französische Kultur bewunderte. Der Sohn spricht darum seit seiner Kindheit fließend französisch. Der Großvater, ein schottischer Farmer, gründete den gerühmten Macmillan-Verlag, dessen Alleininhaber heute noch Macmillan und sein Bruder sind. Dieses Millionenunternehmen, da überall in den Vereinigten Staaten und im Commonwealth Niederlassungen hat, gilt als eine Burg literarischer Respektabilität und gesunder Finanzgebarung.

Die englisch-amerikanische Mischung, die Winston Churchill so starke amerikanische Züge verliehen hatte, ergab in Macmillan einen Engländer reinster Prägung. Er, der sich se_lbst rühmend einen „Churchill-Mann” nannte, stimmte für ihn schon zu einer Zeit, als dessen Meinung in der Konservativen Partei höchst unpopulär war. Zu den Voraussetzungen für die politische Laufbahn, die er 1924 als konservativer Abgeordneter begann, waren Herkunft, Bildung und Vermögen, die Heirat mit einer Hocharistokratin gewiß von Einfluß, aber es kamen noch die Gaben des Geistes und des Chatakters hinzu: das starke Ranggefühl einer eingeborenen Berufung, analytischer Verstand, umfassendes Wissen und eine eiserne Physis, die ihm die drei schweren Verwundungen in Flandern überleben half. 1936 trat er aus Protest gegen die „Appeasement-Politik” gegenüber Hitler und Mussolini aus der Parlamentsfraktion der Konservativen Partei aus. Eden und Duff- Cooper folgten aus dem gleichen Grunde. Damals stand die Sonne der Diktatoren im Zenit, und es gehörte ein unabhängiger Charakter und moralischer Mut zu einem solchen demonstrativen Schritt. Im zweiten Weltkrieg stand er in schwierigen Missionen, nach der Wiederwahl Churchills ins Wohnbauministerium berufen, feierte er einen / Triumph, blieb aber auch weiterhin persönlich unpopulär. Er ist eben „kein Grüßet”, hält es aber mit jenem Weisen, der sagte, daß man große Reiche lenken müsse „sachte, wie man kleine F’sche brät”.

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