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Der konigliche Salut von Karachi

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Am Freitag, den 15. August 1947, eine Minute nach Mitternacht, ging in Neu-Delhi die Plagge des Dominiums „Indische Union“ am Fahnenmast hoch und zur gleichen Zeit wurde in Karachi die Fahne des Dominium „Pakistan“ gehißt, äußere Zeichen dafür, daß die Herrschaft Englands in Indien zu Ende sei und die neuen Einheiten des bisherigen Kaiserreiches gleichberechtigt an die Seite des Mutterlandes und der übrigen Teile des britischen Imperiums treten, mit denen es nur mehr durch die Person des Herrschers verbunden ist. Ein Salut von 121 Kanonenschüssen — der königliche Salut — hallte durch die nächtlichen Straßen der beiden Hauptstädte und begrüßte in den neuen Generalgouverneuren den König des „United Kingdom of Great-Britain and Ireland and of the D o m i n i e n s beyond the Sea“.

Viermal im Laufe der englischen Geschichte hatte sich ein ähnlicher Vorgang abgespielt, hatten Länder, die direkt der englischen Krone unterstanden, den Rang eines Dominiums erhalten. Zuerst Neuseeland, dann Australien, Kanada und schließlich Südafrika. Insofern wäre die Verleihung des Dominiumstatuts an Indien kein Novum in der englischen Geschichte. Dennoch verbirgt sich hinter dem königlichen Salut von Neu-Delhi und Karachi, die die Selbständigkeit Indiens einleiteten, ein historischer Akt von einmaliger Bedeutung: durch die Schaffung der beiden indischen Dominien steigen zum erstenmal innerhalb des britischen Imperiums nichtweiße Völker zur politischen Selbständigkeit und Gleichberechtigung empor. Wer die Geschichte Englands in seinen überseeischen Besitzungen kennt, weiß, welche Bedeutung die Unterscheidung in Weiße und Nichtweiße für das britische Denken durch all die Jahrhunderte besaß. Es wäre für Engländer undenkbar gewesen, in ihren überseeischen Besitzungen die Regierungsgewalt in Händen von Nichtweißen zu legen. In den bisherigen vier Eominien wird die politische Macht ausschließlich von Weißen ausgeübt.

Der königliche Salut von Karachi, der Ali Jinnah als Generalgouverneur von „Pakistan“ begrüßte, ist ein Symbol für das Mündigwerden der nichtweißen Völker innerhalb de britischen Empires, aber auch ein Zeugnis für die Weisheit britischer Staatskunst, die dieses Mündigwerden erkannt hat und aller Tradition zum Trost bereit war, dieser Tatsache Rechnung zu tragen.

Und dennoch folgt weltliche Autorität spät dem Beispiel der kirchlichen. Längst sind in den hohen Rängen des Kirchenregiments, unter den Bischöfen und Erzbisehöfen, Farbige keine seltenen Erscheinungen mehr. Noch deutlicher ist dieses Beispiel geworden, seit, berufen durch Papst Pius XII., im höchsten Kollegium der katholischen Weltkirche der Chinese Thomas Tien, Apostolischer Vikar in Tsingtao, bekleidet mit dem Purpur, sich niedergelassen hat.

Vor kurzem hat das, trotz seines wenige Jahrzehnte alten Bestandes, zu Weltruf gelangte Londoner College „Osterley“ eine 'eigenartige Feier begangen. Sie erinnerte eindringlich daran, was begeisterte Hingabe an' ein edles Werk trotz Armut aus kleinsten Anfängen zu schaffen vermag, daß man davon Kenntnis nehmen muß, zumal in unserer Zeit, die tapferer Beispiele bedarf. Uber Osterley und seine Geschichte berichtet der bekannte britische Sdiriftsteller Douglas Newton im Londoner „Universe“. Vor 28 Jahren gründete der dem Jesuitenorden angehörende Geistliche E d-mund Lester in England eine neue Art College. Sein Ziel war, Menschen, die schon im Berufsleben stehen, jedoch die Berufung zum Priesterstande in sich spüren, auch noch in vorgeschrittenem Alter die Erfüllung ihres Wunsches zu ermöglichen. Es sollte ihnen zunächst durch einen elementaren Unterricht in Latein und anderen Fächern die erste Voraussetzung für den Eintritt in ein Seminar vermittelt werden. Lester begann mit neun Schülern, ehemaligen Soldaten des ersten Weltkrieges, in einem sehr bescheidenen Lon^donerVorstadthäuschen. Ein ehemaliger Stall mußte als Lehrzimmer hergerichtet werden. Jetzt hat dieses College unter dem Protektorat Kardinal Griffins, des Erzbisehofs von Westm nster, das Erstlingsopfer seines 500. zum Priester gewordenen Zöglings gefeiert.

Lester war einer der Unentwegten dieser Welt. Er besaß nicht mehr als 1C0 Pfund für seine Gründung, aber er machte eifrig Propaganda für seine „jungen Priester“. Zwischen den Unterrichtsstunden und den verwaltungstechnischen Arbeiten schrieb er unzählige Artikel für die Presse, durch die er ebenso wie durch persönliche Aussprachen Interesse für seinen Plan gewann. Aus ganz Großbritannien und auch aus dem Ausland kamen die Studenten zu ihm. Die verschiedensten Berufe waren vertreten — Installateure und Staatsbeamte, Schauspieler und Munitionsarbeiter, Elektriker, Handelsangestellte und vor allem ehemalige Soldaten aus dpn verschiedensten Waffen-sattungen und Rangstufen.

Bald konnte das Häuschen die Studenten sieht mehr fassen und der tapfere College-gründef erstand nun in einem äußeren Bezirk Londons, Campion House „Osterley“. Als er 1934 starb, übernahm sein Ordensbruder Clement Tigar sein Erbe; er mußte bald ein weiteres Gebäude dazu erwerben, St. Thomas More's House, um für den großen Zustrom an Schülern Raum zu schaffen, der nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte. Unter den 90 Osterley-Priestern, die kürzlich der Feier der 500. Priesterweihe beiwohnten, befandenv sich fünf von den ersten neun Studenten. Die Absolventen des Colleges sind trotz der kurzen Zeit seines Bestandes schon über die ganze Welt verstreut. Von den 500 Priestern sind 261 in verschiedene Orden eingetreten,212 sind Weltgeistliche, die im Pfarrdienst oder in den Missionen tätig sind. 42 dienten als Militärgeistliche im Kriege.

Wie Osterley seine Aufgabe, die Lücke zwischen der weltlichen Ausbildung und dem geistlichen Studium auszufüllen, meistert, demonstriert der Fall eines englischen Boxers, eines Weltmeisters im Leichtgewicht. Er mußte von vorn anfangen und gestand, daß ihm Latein so große Schwierigkeiten bereitete, daß er vor seinem Lateinprofessor größere Angst empfand als vor seinem stärksten Gegner im Ring. Aber die verständnisvolle Unterrichtsmethode in Osterley ermöglichte es ihm, nun als Pater Con O'Kelly Kurat in Nottingham zu wirken.

Zweifellos hat das große, überall heute sich meldende Bedürfnis, überlieferte Schemen abzuwerfen und dem wirklichen Leben näherzukommen, diese Gründung bestimmt. Ihr Erfolg spricht für die Richtigkeit der Idee, stärkere Betonung auf die innere Berufung als auf die methodische Erziehung zu legen. Man kann sich vorstellen, daß Menschen, die aus der Welt zum Priesterstande kommen, getrieben von einer seelischen Nötigung, frei von der abfälligen Automatik äußerer Umstände, manchen psychologischen und sozialen Problemen des modernen Menschen rascher und leiditer entsprechen werden, als derjenige, der sich seine Erfahrung erst aus harten Tatsachen erkämpfen muß. Das Beispiel von Osterley beansprucht vielleicht besondere Bedeutung im Hinblick auf die gerade aus der Arbeiterschaft lautwerdenden Stimmen nach einer Begegnung mit dem Christentum auf neuen Wegen.

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