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Die Oxford - Vereinigung

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Der religionsgeschichtlich interessierte Leser mag angesichts des Titels an die O x f o r d-Bewegu ng denken, die von der berühmten englischen Universitätsstadt zur Zeit Newmans ausging. Ganz abgesehen von der liturgischen Bewegung innerhalb des Angli-can-Catholic-Flügels der Staatskirche darf man wohl mit Recht behaupten, ohne Oxford Movement gäbe es heute keinen Katholizitätsgedanken in der englischen Staatskirche, keine Lombethkonf erenzen usw.

Die Bewegung, von der hier die Rede ist, — die der Oxford-Group — hat mit dem Oxford Movement keinen direkten Zusammenhang, wenn wir einen solchen nicht darin sehen wollen, daß beide typisch anglikanisch sind und sie ihre Erfolge letzten Endes mit Erfolg und Geschick übernommenen Versuchen verdanken, uraltes katholisches Gedankengut wieder zu erwecken und der Glaubensübung dienstbar zu machen. Die Erfolge der „Oxford-Vereinigung“ sind bereits solche, daß sie und ihre Arbeitsweise weit über das anglikanische Gebiet herausgegriffen hat und auch in anderen protestantischen Ländern wirksam wurde. Der Gründer der Oxford-Group ist ein in USA gebürtiger anglikanischer Geistlicher Frank B u c h m a n. Ein durchaus aktivistisch veranlagter Mensch, von unermüdlicher Arbeitskraft, voll Energie, aber auch mit echt amerikanischem Humor begabt, vermochte er auf seine Anhänger einen außerordentlichen Einfluß auszuüben. Als junger Geistlicher leitet er mit großem Erfolg einen Jungmännerverein, aber seine allzu großzügigen Ausgaben werden von dem Kuratorium des Vereines mißbilligt. In seinem Ehrgeize und Stolze gekränkt, verläßt er seinen Posten, obwohl man ihn zu versöhnen versucht, und geht auf Reisen. In England hört er eine Laien-predigerin über den Gekreuzigten sprechen und auf einmal durchzuckt ihn die Erkenntnis, daß sein gekränkter Stolz ihn von Christus trenne und daß es gälte, ein neues Leben zu beginnen, wenn es ihm mit der Nachfolge Christi ernst sei. Der Gedanke läßt ihn nicht mehr locker, er müsse so, wie Christus es lehre, sich selbst erniedrigen und öffentlich seine Sünden bekennen. Obwohl er sich früher durchaus unschuldig fühlte, bittet er nun in einem offenen Briefe das Kuratorium des Vereines um Verzeihung. Fortan fühlt er sich nach dieser Entäußerung eitlen Stolzes in einer Weise, die er früher nicht für möglich gehalten hatte, befreit und beglückt in einem Gottesfrieden; er hatte damit die Hauptgedanken der Oxford-Vereinigung an sich selbst erlebt.

In den folgenden Jahren war Buchman in China, Afrika und Amerika als Missionar tätig und kam 1921 auch vorübergehend nach Oxford. Hier war der Eindruck, den er und seine Ansichten machten, so stark, daß Oxford alsbald das Zentrum der neuen Richtung wurde und nach dieser Stadt auch den Namen erhielt. Im übrigen ist es schwer für die im Anfang scharf kritisierte und verspottete Oxford-Group eine zutreffende Bezeichnung zu finden. Sie lehnt es ab, eine neue Lehre oder Sekte zu sein, sie trachtet vielmehr innerhalb des Rahmens der schon bestehenden kirchlichen Verbände zu wirken, mit der Aufgabe, den Weg zur Vertiefung des geistlichen Lebens zu zeigen. Entsprechend dem Erlebnis, das die Umkehr in Frank Buchmans Leben bedeutete, ist das erste in dieser Bewegung die Erkenntnis, daß das einzige Hindernis auf unserem Wege zu Glück und Seelenfrieden die Sünde sei. Bezeichnend dabei ist, daß man Neophyten, die Gotteszweifel haben, in der Oxford-Vereinigung nicht mit Beweisen und Argumenten überzeugt, sondern auffordert, ein religiöseres und sozialeres Leben zu führen, dann würden sie Gott schon fühlen. Der Neugewonnene bekräftigt dann seine Erkenntnis Gottes durch ein öffentliches Bekenntnis seiner Sünden. Zugleich fordert aber auch die Oxford-Group von ihren Anhängern, daß sie ihre neue Stellung vor Gott dadurch erhalten und bekräftigen, daß sie nun selbst neue Bekenner gewinnen und für notleidende Mitmenschen sorgen. Den Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft bildet das Sharing, das heißt die Versammlung der Mitglieder. Da ja die Oxford-Group keine neue religiöse Gemeinschaft sein will, legt sie daher auch keinen Wert auf Liturgie, sondern überläßt diese der Kirche, der ihre Anhänger angehören. Charakteristisch für diese Erneuerungsbewegung ist die grundsätzliche Pflege der „quiet time“, die nichts anderes als eine Betrachtungsstunde ist, und dann das Einhalten des gegenseitigen Sündenbekenntnisses. Die quiet time soll immer wieder die ethischen Ziele der Oxford-Vereinigung bei ihren Anhängern vertiefen, vor allem die absolute Hingabe an den Willen Gottes, ein reines Leben, Nächstenliebe und Überwindung seiner Selbst in der Nachfolge Christi. Von der Schwungkraft der Oxford-Group zeugen aber auch ihre Erfolge. Die ungewohnten und zuweilen an Übertreibungen streifenden Methoden der neuen Bewegung weckten ihr anfänglich viele Gegner und riefen vor allem Spötter auf den Plan. Sie überwand die Schwierigkeiten und wuchs zu mitreißender Kraft. Heute hat sich die Oxford-Group über das ganze Britische Empire und die Vereinigten Staaten, und auch über die Schweiz, Skandinavien, China, Indien verbreitet und ganze protestantische Bezirke mit neuem Leben erfüllt. Die neue Strömung erfaßte alle Klassen, bemerkenswert ist, daß ihre Ausbreitung in Unternehmerkreisen sich in einer aktiven sozialen Gesinnung zu äußern beginnt. Der Primas der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, rühmt der Oxford-Group nach, vor allem lehre sie ihren Schülern im Nächsten wahrhaftig den Bruder zu sehen. Staatsmänner haben ihr ähnliche Lobsprüche gewidmet. Aus den vielen interessanten Urteilen über eine Bewegung, die trotz aller Übertreibungen wegen ihres an die Urzeit des Christentums erinnernden Enthusiasmus imponierend ist, sei noch des Urteils gedacht, das Professor Brook, der Leiter des staatlichen Instituts für Rassenforschung und Rassenversöhnung der Commonwealth von Südafrika, schon 1934 auf dem internationalen Friedenskongreß in Brüssel aussprach. In Südafrika waren die Gegensätze zwischen Engländern und Buren und andererseits zwischen den Weißen und den Zulukaffern von unheimlicher Hitze. Daß sie fast ganz überbrückt werden konnten, schrieb Brooks zum guten Teil der Oxford-Vereinigung zu. Nach seinem Zeugnis habe sie sich als eine moralische und religiöse Kraft ersten Ranges erwiesen, da sie aus der Erfüllung des Gebotes der Nächstenliebe aus religiöser Gesinnung ernst mache.

Es ist vielsagend, daß es Elemente der katholischen Glaubensübung sind — Betrachtung und das Sündenbekenntnis —, die hier in protestantischen Lebenskreisen ein angewandtes Christentum, vor allem die praktische Übung der Nächstenliebe, aufblühen ließen.

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