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Vom Desinteresse zur Freundschaft

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Als Österreich im Jahre 1782 vertragliche Beziehungen mit den USA anknüpfen wollte, erklärte der amerikanische Botschafter in Paris, Jefferson, der Handel mit der Donaumonarchie sei „nq object“. Das Desinteressement beruhte auf Gegenseitigkeit: Als einige Zeit später der österreichische Botschafter in den USA einen diesbezüglichen Vertrag vorschlug, stellte Kaiser Franz in einer Aktennotiz die Frage, wofür der Handel „mit den Amerikanern denn gut sein solle“.

Auf solch steinigem Boden des völligen Nichtverstehens vermochte eine österreichisch-amerikanische Freundschaft nicht einmal als ein zartes Pflänzchen zu gedeihen; um so üppiger wucherte dafür das Unkraut der nationalistischen Agitation. Tschechen, Polen, Ungarn und alle übrigen nach Amerika gekommenen Minoritäten aus der Monarchie hatten es dabei leicht; sie mußten nur ausschmücken, was der Österreicher Karl Postl alias Charles Sealsfield in seinem Buche „Austria as it is“ über den habsburgischen „Völkerkerker“ geschrieben hatte.

So war das Verhältnis zwischen der großen nationalen Republik und der großen multinationalen Monarchie bis zum Jahre 1918 schwersten Belastungen ausgesetzt. Die große Wirtschaftskrise der zwanziger und dreißiger Jahre, die von Amerika ausging und die Österreich zuerst am schwersten traf, hat dann paradoxerweise den ersten unlöslichen Konnex zwischen den beiden Ländern hergestellt. Es ist keine vereinfachende Geschichtsklitterung, wenn man feststellt, daß von dieser Weltwirtschaftskrise der Weg zu Hitler und damit zum Anschluß, zur Massenemigration des Jahres 1938, zum zweiten Weltkrieg und schließlich zur amerikanischen Besatzung der Jahre 1945 bis 1955 führte, aus der — und auch das ist ein wenig paradox — schließlich eine echte Freundschaft zwischen den beiden Ländern erwuchs.

Von den 23 Kapiteln des Buches sind die ersten acht dem historischen Rückblick gewidmet. Die restlichen 15 Kapitel befassen sich mit dem Phänomen, daß die Einwanderer aus dem kleinen Österreich im amerikanischen „Who is who“ an vierter Stelle hinter den Engländern, Russen und Deutschen stehen; im „Who is who of american women“ stehen die Österreicherinnen sogar an dritter Stelle hinter den Deutschen und den Kanadierinnen. In diesem Abschnitt des Buches bietet Spaulding eine geradezu verwirrende Fülle von Namen dar. Es gibt kein Gebiet des amerikanischen Lebens, auf dem nicht Österreicher bedeutende, wenn auch meist unbekannt gebliebene Leistungen vollbracht hätten. Einige Beispiele seien nachstehend, der Kapiteleinteilung des Buches entsprechend, angeführt.

Musik: Rudolf Bing ist nicht der erste Österreicher an der Spitze der New Yorker Metropolitan Oper; bis 1907 wurde das Haus von dem aus Brünn stammenden Maurice Grau geleitet, dessen Nachfolger der Österreicher Heinrich Conried war, der Felix Mottl nach New York holte. Selbst dort, wo Amerika seine ureigenste künstlerische Ausdrucksform gefunden hat, nämlich im „Musical“, ist der österreichische Einfluß vorhanden: Der Komponist des erfolgreichsten Musicals aller Zeiten, „My Fair Lady“, ist der gebürtige Wiener Frederic Loewe.

Journalismus: Joseph Pulitzer, dessen Namen der berühmteste aller Journalistenpreise trägt, war „k. u. k.“ im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Vater stammte aus Ungarn, seine Mutter aus Österreich. Aus Bad Ischl kam Raoul H. Fleischmann, der zusammen mit Harold Roß das bekannteste aller amerikanischen Magazine, den „New Yorker“, gründete.

Wirtschaftsleben: Der Vorarlberger Franz Martin Drexel war einer der Mitbegründer des Bankhauses Morgan, das ursprünglich „Drexel, Morgan & Co.“ hieß. Ebenfalls aus Vorarlberg stammt die Familie Kohler, die in Wisconsin ein industrielles Imperium errichtete, die „Kohler Town“ gründete und dem Staate Wisconsin zwei Gouverneure schenkte. Jedes Kind kennt die weltweite Firma „Hertz Rent a car“, doch die wenigsten wissen, daß der im Jahre 1961 gestorbene Gründer des Unternehmens, John David Hertz, ein „Altösterreicher“ ist, der im Jahre 1897 in Ruttha, in der heutigen Tschechoslowakei, geboren wurde. Hattie Carnegie schließlich, die „Modekönigin“ Amerikas, ist eine gebürtige Henriette Kanengei-ser aus Wien. Schwerer noch als diese Praktiker wiegen die Theoretiker des Wirtschaftslebens, die in Amerika eine zweite Heimat fanden: Schumpeter, Mises, Machlup, Hayek, Haberler...

Ein originelles Kapitel widmet Spaulding den „praktischen Österreichern“. Darunter versteht er Leute, wie den kaiserlichen Hofgärtner Ignaz Anton Pilat aus St. Agatha in Oberösterreich, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts, zusammen mit dem amerikanischen Architekten Frederick Law Olmstead, New Yorks Central Park' anlegte. Oder jenen Anthony Francis Lucas, der aus Dal-matien stammte und in der Nähe von Beaumont die größte Erdölquelle von Texas erschloß. Originell ist auch Spauldings Bericht über die Anfänge des Skisports in den USA. Demnach lernte Averell Harriman in der Zwischenkriegszeit auf einem Skiurlaub in Österreich den Grafen Felix Schaaffgotsch kennen und bewog ihn, in den USA ein Skizentrum aufzubauen. So entstand auf einem Gelände der Union-Pacific-Railway, deren Präsident Harriman war, Sun Valley: die erste und größte Skischule der USA, die allein bis zum Jahre 1961 100.000 Schüler zu verzeichnen hatte.

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