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Paul Lendvai: Ich bin ein „Neuösterreicher“ (II)

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Zweiter Teil des persönlichen Berichts über Österreich als neue Heimat - und die Folgen des Falls Borodajkewycz.

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Zweiter Teil des persönlichen Berichts über Österreich als neue Heimat - und die Folgen des Falls Borodajkewycz.

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Die Jubiläumsfeierlichkeiten, die großen und würdigen Reden des Wiener Erzbischofs und des Bundeskanzlers, des Nationalratspräsidenten und des Vizekanzlers haben die Proportionen richtiggestellt, aber die Wurzeln des Übels freilich nicht beseitigen können. Doch würde ich die in ihrer Leidenschaft und im Weitblick so bewegende Rede des Wiener Erzbischofs und jene des Nationalratspräsidenten als Pflichtlektüre für alle Manager und Mitgestalter der Massenmedien empfehlen, vor allem für jene, die mit geradezu selbstmörderischem Eifer, schillernden Formulierungen und mit den Vorstellungen einer Welt von Gestern zum Selbstmord der Demokratie aufrufen. Etwas stimmt nicht in diesem Staat, wenn die sich „FPÖ“ nennende Gruppe bei den Wahlen nur 7 Prozent der abgegebenen Stimmen (in der letzten sogar weniger) erobert hat, aber gleichzeitig auf den Ring Freiheitlicher Studenten mehr als ein Drittel der Stimmen bei den Hochschulwahlen entfällt.

Gewiß: beide großen Parteien tragen mit ihrem politischen Opportunismus einen sehr schwer abschätzbaren Teil der Verantwortung für diese Zustände. Während in den kommunistischen Nachbarstaaten die Jugend in einer ungleich schwierigeren und komplizierteren Situation als Motor des Fortschrittes (und nicht nur im Sinne des Twists und Cha-Cha-Cha!), als Avantgarde des Neuen, Zukunftsträchtigen und Wahren gilt, scheint es hier Studenten zu geben, die einen anderen, unglücklichen Weg einschlagen. Daran tragen, glaube ich, nicht die Koalitionsparteien, sondern vor allem jene die Verantwortung, die den Tod eines Menschen („Wäre er nicht hingegangen“, „War nur ein Kommunist“ — für den zweiten Chefredakteur) auf einen „Betriebsunfall“ reduzieren und die Vorfälle mit hypokritischen Appellen zur Ruhe und Besinnung bagatellisieren wollen, aber auch jene, die jahrelang ungestört als „neudrapierte Gespenster“ der Vergangenheit die Jugend verführt haben.

Sieben tödliche Trugschlüsse

„Warum sprechen Sie aber nicht über die Bedrohung von links, von der linkstotalitären Gefahr“, höre ich bereits den Einwand von jenen, die nur über die Schlagworte „Vivat Academia — vivant professores“ berichten, solche von mir persönlich gehörte Parolen aber wie „Weg mit der Judenpresse“, „Nieder mit den Proleten“ und „Hoch Auschwitz“ taktvoll verschwiegen haben. Nun, diesen „Virtuosen des falschen Spiels“ kann man sehr treffend mit Arthur Koestler antworten. Im März 1948 hielt der Exkommunist und lange Zeit zu unrecht als Kalter Krieger Nr. 1 geltende bekannte Schriftsteller einen wenig bekannten Extempore-Vortrag in der Carnegie Hall in New York. Da zerlegte Koestler mit einer brillanten Argumentation die „sieben tödlichen Trugschlüsse“ jener Linksliberalen und Demokraten, die zögerten, gegen den Stalinismus offen aufzutreten. Da sagte er unter anderem:

„Wenn wir uns trotz unseres Willens in einem Lager mit der Hearst-Presse und Senator McCarthy finden, bedeutet dies nicht, daß wir uns mit ihren Ideen und Methoden identifizieren. Diese Angst, sich in einer schlechten Gesellschaft zu finden, ist kein Ausdruck der politischen Reinheit, sie ist der Ausdruck des Mangels an Selbstvertrauen. Wenn du deiner selbst sicher bist — politisch und ideologisch — dann wirst du keine Angst haben, zu sagen, zwei mal zwei sei vier, auch wenn Oberst McCormick dasselbe sagt.“

Der Verfasser des folgenden Aufsatzes ist Wiener Korrespondent der „Financial Times“ (London) und der „Tat“ (Bern).

Lesen Sie hier den ersten Teil dieses Essays, der eine Woche zuvor in der FURCHE erschien.

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