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Leben wie ein Hund in der Sonne

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Kann ein vollkommen abgesichertes Leben noch menschlich sein? Dazu ein Gespräch mit dem Grazer Ethik-Professor Leopold Neuhold.

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Kann ein vollkommen abgesichertes Leben noch menschlich sein? Dazu ein Gespräch mit dem Grazer Ethik-Professor Leopold Neuhold.

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OIKFukchK: Wolier kommt das Bedürfiiis nach Sicherheit? Professor Leopold Neuhoi.d: Das Bedürfnis nach Sicherheit ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. In der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow folgen die Sicherheitsbedürfnisse unmittelbar auf die physiologischen Bedürfnisse.

Etymologisch läßt sich der Begriff Sicherheit aus dem Lateinischen „se-curitas”, Sorglosigkeit, ohne Sorgen herleiten. Ein Übermaß an Sorgen, an Ungesichertheit kann menschliche Entwicklungsmöglichkeit einschränken. Dabei ist zu bedenken, daß gänzliche Sorglosigkeit ein in der Wirklichkeit nicht zu erreichender Zustand ist - und letztlich auch der menschlichen Natur widersprechend. Das Versprechen von solcher Sicherheit und Sorglosigkeit hat Erhart Kästner mit dem Bild des „Hundes in der Sonne” angeprangert, wenn er schreibt: „Es gibt einen wunderbaren Satz von Seneca: Calamitosus animus futuri anxius. (Tief unglücklich die Seele, die sorgend die Zukunft bedenkt.) Wohl wahr. Wer die Zukunft bedenkt, ist nicht glücklich. Aber sorgend die Zukunft bedenken ist menschlich. Es ist eine Wahrheit ersten Ranges, mit der gelebt werden muß: erst durch den Blick in das Ungewisse, die ängstliche Sorge, die Angst vor der Zukunft, erst da beginnt, was den Menschen auszeichnet. Ohne Bedenken der Zukunft, das ist der Hund,in der Sonne.” Dieser Hund in der Sonne ist in vielen Belangen zum Leitbild der Politik geworden. So fährt Kästner auch fort: „Kein Zweifel, der Hund in der Sonne ist in der Neuzeit zu unerwarteten Ehren gekommen, er wurde zum großen Versprechen. So lange haben die Führer den Völkern, gequälten und ungequälten, den Hund in der Sonne versprochen, in einigen Ländern ist er dann schon zum Typus geworden. Allmählich wird deutlich, was dem zugrunde lag. Eine unbändige Menschenverachtung.”

DIEFURCHE: Wer gab früher das Gefühl von Sicherheit? neuhold: Das Eingebettetsein in, wenn oft auch beengende, so doch auch haltende Gemeinschaften wie besonders die Familie, konnte ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Im Bereich der Werte war es das Phänomen der Selbstverständlichkeit der Werte, das Sicherheit bieten konnte. Das Gefühl der Sicherheit war dabei aber mitunter erkauft mit einem Verlust von Entwicklungsmöglichkeiten. Natürlich war es auch die Religion, die als „heiliger Schild” ein grundsätzliches Eingebettetsein vermittelte und dann, wenn die Sicherheitsnetze der Welt brachen, einen letzten Halt vermitteln konnte.

DIEFURCHE: Warum kann die Religion dieses Gefühl heute nicht mehr vermitteln? neu) 1q1.d: Mit dem Prozeß der Säkularisierung wurde in vielen Teilen der Bevölkerung diese Einbettung in ein haltendes religiöses System gelockert. Vor allem bewirkt auch die Tatsache, daß die Beligion nicht die Abstützung durch die anderen in der Gesellschaft erfährt, sicherheitsmindernd.

Auf der anderen Seite tauchen verschiedene Formen von Religiosität beziehungsweise Pseudoreligiosität vor allem magischen Zuschnitts auf, etwa Horoskop, Astrologie, Geheimkulte, die Sicherheit herzustellen versprechen. Nur sind diese Formen der Religiosität oft nur auf einzelne Handlungen beschränkt und vermitteln nicht das ganze Leben auf einen Sicherheit bietenden Halt hin.

DIEFURCHE: Wofinden Menschen heute noch Sicherheit?

Nkuholu: Die verlorene innere Sicherheit wird oft durch Versicherungen von außen abzudecken versucht. Der Boom von Versicherungen weist in diese Bichtung. In einer Konsum-kultur wie der unsrigen ist natürlich auch Sicherheit ein Konsumgut geworden. Andererseits finden Menschen bei anderen Halt, erfahren zugleich aber auch die Zerbrechlichkeit solcher zwischenmenschlicher Bindungen.

DIEFURCHE: Hat Unsicherheit mit Ziellosigkeit zu tun?

Neu'hoi ,d: Prinzipiell muß einmal gesagt werden, daß es in erster Linie nicht immer die realen Unsicher-heitsfaktoren sein müssen, die Unsicherheit schaffen, sondern entscheidend sind auch das Gefühl in bezug auf Gefährdung und die Bereitschaft, Gefährdung als akzeptabel zu betrachten. So scheint die Sensibilität in bezug auf Gefährdungen heute größer zu sein als in manchen vergangenen Epochen. Dazu kommt noch eine Orientierungslosigkeit, die aus Weltunsicherheit entsteht. Dem „Anything goes” folgt nur zu schnell ein „Nothing comes”. Von Karl Valentin erzählt man sich, daß er durch München gegangen sei und verschiedene Leute gefragt habe: „Entschuldigen, wissen Sie, wo ich hin will?” Diese Frage stellen sich heute viele Menschen selbst und finden keine Antwort. Ziellosigkeit bedeutet ein Einmünden in Unsicherheit. Dies wirkt besonders verunsichernd auf Jugendliche, die oft in eine Welt des „Sieh zu, wie du zurechtkommst” geworfen werden.

DIEFURCHE: Mit welchen Unsicherheiten muß man leben lernen* neuhol]): Leben ist immer lebensgefährlich, ein vollkommen gesichertes Leben wäre ein „unmenschliches” Leben. Es ist aber immer notwendig, aus partieller Gesichertheit heraus Unsicherheiten bekämpfen zu können. Vor allem scheint mir eine Verbindung zu Mitmenschen und zu Gott, die das Gefühl des Gehaltenseins, auch wenn man fällt, vermitteln kann, wichtig zu sein. Aus dem Letzten heraus das Vorletzte gestalten zu können und daraus Halt zu gewinnen, scheint mir ein wichtiger Aspekt der Gnade zu sein.

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