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Gott braucht die Menschen

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Ist es ratsam, von Jean Delannoys Film „Gott braucht Menschen“, der eines der größten filmischen Meisterwerke und einer der erschütterndsten religiösen Filme genannt wird, zurückzugreifen zu seiner literarischen Vorlage, dem Roman von Henri Queffelec? Kann die Erzählung, die allein den Worten vertraut, jemals die Erlebnisstärke des Films erreichen, der hier mit einer fast ungekann-ten Kraft von Bild und Ton die Tore zur im Menschen immer wieder verschlossenen religiösen Existenz aufbricht? Ja es ist ratsam; denn der Roman spielt so gut auf der Tastatur der ihm eigenen Möglichkeiten, daß es sich lohnt, ihn — vor oder nach dem gedrängten Erlebnis des Films — besinnlich zu lesen.

Es ist eine dreifache Geschichte, die hier erzählt wird: die Geschichte von Fischern, die auf der zwei Kilometer langen und einige hundert Meter breiten bretonischen Insel Sein leben und im Nebenberuf Piraten sind; die wegen ihrer Störrigkeit und ihrer Untaten dem Priester den Aufenthalt verleiden, so daß er zurück aufs Festland zieht i die auf der nackten, sturmumtobten Insel zu sehr auf der Kante des Unterganges, in Einsamkeit und Bedrohung, gleichsam in unmittelbarer Begegnung mit Himmel und Hölle leben, als daß das Verlangen nach Gott und seinem Vermittler auch nur einige Wochen lang in ihren Seelen schlafen könnte: so ungetarnt das Böse aus ihnen hervorbricht (wie ungetarnt die ganze Insel ist), so sind sie doch überzeugt, daß sie ohne Gott nicht leben können, daß „die Insel erst wieder richtig existieren würde, wenn sie einen Priester hätte“. — Dann ist es die Geschichte des Mesners Thomas Gourvennec, den die Springflut der Religiosität seines Dorfes, die auch seine eigene ist, vom Predigtstuhl über die fest-erprobte Absolution der Beichte zur versuchten Konsekration des heiligen Opfers trägt und der doch immer spürt und weiß, daß er nur ein Surrogat, vielleicht ein gut gelernter, intelligenter Handwerker, aber niemals ein wirklicher Priester ist, daß alles hohl und leer bleibt, was er zum Trost der Leute tut) und der schließlich doch — in einer für uns heute unglaubwürdigen Weise — das sakramentale Priestertum erreicht. — Und es ist die Geschichte — wenn auch nur angedeutet, so doch das Geschehen begleitend — der Priester, die für das Seelenheil der Insel verantwortlich sind, die einsehen müssen, daß es „etwas anderes ist, Monsieur de Meaux' .Kleines Fastenbuch' im Seminar zu lesen, beim Schein einer Kerze, die nur der eigene Atem bewegt — und das gleiche Buch hier auf der Insel zur Hand nehmen, in einer Gewitternacht“, und die einsehen müssen, daß es Mittlern zwischen Gott und Menschen nie gestattet ist, die Hoffnung aufzugeben und andere schwerer als sich selber anzuklagen. — Und diese dreifache, ineinandergeschlungene Geschichte ist heimlich umschlossen von der Geschichte des menschgewordenen Gottes, der, ohne aus seiner Unsichtbarkeit hervorzutreten, über

die kahle Insel gehen und in Erbarmen den irren Herzen begegnen will, und eben dafür, weil er sich — freiwillig und unbegreiflich — an das sakramentale Priestertum gewiesen hat, sichtbare Vermittler, Menschen braucht, auch wenn sie unwürdig, ja menschlich unannehmbar sind. —

Queffdlec erzählt diese Geschichte, bald sparsam die Worte wählend wie in einem Tagebuch, bald malend in epischer Versonnenheit, bald jagend in der Knappheit eines modernen Drehbuches, immer aber in unmittelbarer, plastischer Sprache voll starker Poesie, in der die mystische Atmosphäre der Bretagne atmet und die herbe, salzige Luft des Atlantik weht.

Es ist das Paradoxon dieser im Kern zeitlosen Erzählung, daß sie, ob der äußeren und inneren Preisgegebenheit, in der sie spielt, gerade für unsere Zeit eine Botschaft ist. Das mag, neben der verlockenden Dramatik des Romans, mit dazu beigetragen haben, daß man daran dachte, sie in die Sprache des Films zu übersetzen, und daß diesem ein so ermutigender Erfolg beschieden ist.

Dem Verlag aber, der dieses Buch, als dessen ausgezeichnete Übersetzerin Hermen von Kleeborn zu rühmen ist, deutsch herausbrachte, gebührt für seine hervorragende Leistung hohe Anerkennung und Dank.

Die Dame mit den Nelken. Roman von A. J. C r o n i n. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 239 Seiten.

Es liegt ein eigener Reiz darin, dem Werk eines Schriftstellers näherzutreten, in dem dieser für seine Le6er ungewohnte Wege einschlägt — dies besonders dann, wenn es sich um einen Autor von so starker und eigenartiger Profilierung handelt, wie e6 Cronin ist. So geht es dem Leser bei der Lektüre dieses Buches, das eine unter ungewöhnlichen, aber keineswegs dramatischen Umständen aufkeimende Neigung bis zu ihrer glücklichen Erfüllung schildert. An manchen Punkten könnte es scheinen, als werde nun der Faden des Ablaufs 6tch verschlingen, als stünden größere Spannungen, weitere Bezüge, tiefere seelische Hintergründe gleichsam vor der Türe. Aber Cronin will diesmal nicht mehr und nicht weniger als eine fesselnde, aber nicht im Ubermaß bewegte Lebensepi6ode dreier Menschen erzählen. Und wer nicht den Cronin aufrüttelnder sozialer oder psychologischer Konflikte darin sucht, dem wird dieses liebenswürdige Buch, 6eine gepflegte und geschmackvolle Sprache unbeschwerten Genuß bieten. Carl Peez

Vier philosophische Erzählungen. Von Paolo Agostino Sebastiani. A. Francke, Ber.i 1950. 165 Seiten.

Sebastiani ist ein christlicher Dichter, der sich durch eine betont mittelmeerisch-patri-stische Atmosphäre gegenüber dem ostkirchlichen Schaper und Bergengruen sowie der ökumenischen Le Fort eigene Physiognomie wahrtj ein Dichter des Primats des Logos, des Wortes, gegenüber der Tat. „Es war schwer festzustellen, ob einer Tat jemals etwas für den Menschen Gutes und Wesentliches entsprossen war“ (163). Inspirierender Genius dieses logischen Primats ist dem Autor Sokra-tes, den er, ähnlich wie Hölderlin, nahe an den Erlöser heranrückt. Magna mater und virgo werden wiederholt grundsätzlich entgegengestellt und bekennerhaft für die Welt des Logos, einbrechend in die Mutterwelt, eine Lanze gebrochen. Wie alle Dichter aus christlichem Geist lehrt auch Sebastiani den Vorrang des Seins vor dem Werden. Das „unvergängliche Sein“ drückt sich aus im Streben nach „Wahrheit“. Das Dasein ist nur ein „gigantisch und sinnlos wogender Strom“. Erst das ewige Licht des Seins erleuchtet die Welt des Daseins. Höchst fesselnd ist die dritte der Erzählungen mit dem Titel „Visionen“, den Aufbruch und Ausbruch ältester philosophischer, mythischer und religiöser Elemente in einer Seele unserer Zeit malend. Ein sokratisches und darüber hinaus christliches Buch von sehr hohen geistigen Ansprüchen, dessen darstellerische Qualitäten gegenüber der philosophisch - weltanschaulichen Haltung zurücktreten. Ein bedeutender Baustein christlicher Dichtung unserer Tage.

Dr. Robert Mühlher

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