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Nach der großen Flut

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Die Hochwasserwelle, die über das norddeutsche Küstengebiet und vor allem über Hamburg hinwegspülte, ist wieder verebbt. Eine Woche nach der größten Flutkatastrophe, die die Hansestadt in ihrer neueren Geschichte erlebte, hat sich das Leben wieder weitgehend normalisiert. Das ununterbrochene Gebrumm der Hubschrauber, die Verpflegung, Wasser und Medikamente zu den 20.000 eingeschlossenen Einwohnern flogen, ist nahezu verstummt. Strom, Gas, Wasser und Telephon sind in den unversehrten Gebieten praktisch in vollem Umfang in Funktion und werden lediglich partiell noch, wo es im Überflutungsgebiet notwendig ist, abgeschaltet. Aus den Kellern der Innenstadt sind, soweit sie voll Wasser standen, die unbrauch-

baren Gegenstände herausgeschafft und bereits von der Müllabfuhr eingesammelt worden. Vielen Ladengeschäften, die Wasserschaden hatten, sieht man dies schon nl'ht mehr an, und man wird nur durch einen leichten Modergeruch daran erinnert, daß sich hier vor wenigen Tager noch ein verheerendes Bild bot.

Erschütternd ist allerdings noch :mmer der Gang in die Hauptschadensgebiete. Hier stand das Wasser meterhoch in den Straßen und trieb, durch den Orkan gepeitscht, was nicht niet-und nagelfest war, vor sich her. Autos wurden wie Spielzeug an Bäumen und

Wänden zertrümmert, Holzhäuser von der Flut weggerissen und Straßendecken fortgespült. Noch immer ragen in weiten Distrikten die Häuserzeilen aus dem Wasser, dem sich keine Ablaufmöglichkeit bietet. Hier gibt es keine andere Möglichkeit, als mit Pumpen in mühevoller Arbeit das Land wieder trockenzulegen. Räumkommandos beseitigen, im Wasser stehend, die gröbsten Hindernisse und transportieren die zahlreichen Tierkadaver ab. Froschmänner untersuchen die noch überfluteten Keller nach noch immer vermißten Menschen. Die Rettung der Eingeschlossenen hatte in den ersten drei Tagen sämtliche verantwortlichen Stellen voll und ganz in Anspruch genommen und füllte den Raum der Hamburger Zeitungen von

der ersten bis zur letzten Seite. Durch die Weltpresse gingen die erschütternden Aufnahmen von Menschen, die in der Winterkälte, zum Teil Tag und Nacht in durchweichten Kleidern, im eisigen Orkan in Bäumen hängend oder auf Dächern kauernd, auf ihre Rettung warteten. Sie sind inzwischen alle in Sicherheit geborgen beziehungsweise gehen in Krankenhäusern ihrer Genesung entgegen. Viele Personen werden aber noch immer vermißt, und täglich entdecken die Suchkommandos weitere Tote. Auf einer Eisbahn im Park von „Planten und Blomen“ hat man inzwischen die Leichen gesammelt, de-

ren Bestattung im Rahmen eines öffentlichen Traucraktes erfolgte.

Die Deichgrafen waren gerüstet

Im Hinblick auf die hohe Zahl der Opfer fragt man sich in Hamburg in zunehmendem Maße, ob eine Katastrophe solchen Ausmaßes nicht verhindert werden konnte. Zwar wird es keine „Suche nach dem Hauptschuldigen“ geben, doch sollen Fehler aufgedeckt werden, wo solche zu finden sind, um daraus zu lernen und um neues Unheil zu verhüten. Mit Recht weist man- zunächst auf wichtige Umstände hin, die den Kardinalfehler der Hamburger zeigen, nämlich den der Sorglosigkeit. Die an der Küste gelegenen Gebiete, die Inseln und Halligen Schleswig-Holsteins, bei denen Orkan und Springflut in noch größerer Urgewalt tobten, hatten kaum Todesopfer und verhältnismäßig wenig Sachschaden zu beklagen. Selbst das ebenso landeinwärts gelegene Bremen kam noch recht glimpflich davqn. Fast unberührt von dem Naturereignis blieb die Hochseeschiffahrt. Hier ist man es gewohnt, Stunde um Stunde die Wetterkarte zu verfolgen und aus der sich bietenden Lage die Konsequenzen zu ziehen. Der Orkan hatte bereits wenige Tage vor der Katastrophe gewütet und näherte sich am 16. Februar wiederum mit höchster Windgeschwindigkeit der Küste. Die Schiffe liefen

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