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Polemik oder Hilfe?

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Die Welternährungslage beherrscht die Schlagzeilen der Presse auf beiden Hemisphären des Globus. Fast über Nacht ist die Erde' in eine Ernährungskrise hineingetrieben worden, die in ihrer Ausdehnung jede bis jetzt dagewesene Lebensmittelknappheit bei weitem übertrifft. Der Tod greift mit knochiger Hand über die neugezogenen Grenzen, um ohne Untierschied und unter Mißachtung aller geführten Konferenzen sich am der schon im Kriege schwer angeschlagenen Bevölkerung Opfer zu holen. Der Bericht des Präsidenten Hoover von seiner 40.000-Meilen-Reise durch die Hungergebiete der Weh gibt ein erschütterndes Bild von hundert Millionen Kindern, die bedroht sind, wenn nicht sofort Abhilfe geschaffen werden kann.

Im europäischen Zentrum dieser hungernden Welt, umgeben von Staaten, die selbst mit Hunger und Darbnis zu kämpfen haben, liegt nun das kleine, besetzte Österreich. Der noch nicht eingespielte Austauschverkehr mit den reicheren Nachbarländern, die Zoneneinteilung und die Zerstörungen im eigenen Lande lassen vorläufig noch keine Ernährungspolitik auf weite Sicht zu. Die Planung ist vorhanden, aber vorderhand muß mit allen Tücken eines durch den Krieg aus den Geleisen geratenen verkehrstechnischen Mechanismus und um jede Ladung gekämpft werden, die die UNRRA von anderen Gebieten abzieht, um Österreich wieder über einen Monat hinwegzuhelfen. Unter diesen in Europa vielleicht schwierigsten Umständen ist es naheliegend, daß die für die Ernährung verantwortlichen Männer mit einer ständigen Kritik zu rechnen haben, die am Platze ist, soweit sie richtig und sadi-dienlich ist. Aber es stellt uns Österreichern kein gutes Zeugnis für unseren Gemeinsinn aus, wenn diese Kritik zu parteipolitischer Ranküne ausgenützt wird, weil es eben leicht ist, die Unruhe und Verbitterung eines notleidenden Volkes aufzurühren. Der mit der tatsächlichen Lage nicht vertraute Leser könnte zuweilen annehmen, daß die Verantwortung der österreichischen Regierung bis über den Ozean in die Verpackungsräume der in Übersee fertiggestellten Lebensmittelkisten reicht, daß im Hafen von Triest die österreichische Meinung und die österrei-■ chischen Sicherungsvorkehrungen maßgeblich sind und daß zu guter Letzt die österreichische Regierung bei der Verteilung der Lebensmittel ohne jede Kontrolle, sei es des Alliierten Rates oder der UNRRA-Mission, schalten und walten kann. Es geschehen Fehler, die vermieden werden könnten. Aber ein Blick auf das übrige Europa und in Staaten, die nur von einer Macht oder überhaupt von fremden Truppen nicht besetzt sind und in denen nicht jede Besprechung in vier Sprachen geführt werden muß, überzeugt, daß dort die Nahrungslage weder gesicherter als bei uns erscheint, noch vielleicht der Schwarzhandel vollkommen abgestellt werden konnte. In einem Land, in dem die Zentralgewalt sehr eingeschränkt ist, das als Durch-zugsland einer neuen europäischen Völkerwanderung auf Befehl und aus reiner Menschlichkeit die Ernährung von hundert-tausenden ausgesiedelter Menschen angelastet bekommt und von dem die große Welt noch nicht entschieden hat, ob es Feindstaat ist oder nicht, liegen die Verhältnisse noch bedeutend schwieriger als anderwärts. Die Steine in den UNRRA-Kisten und die eingestürzte Gaillitzbrücke in Kärnten, die eine zeitraubende Umleitung der für Wien bestimmten Verpflegung notwendig machte, gehen ebensowenig auf das Konto der für die Ernährung hier im Lande Verantwortlichen wie etwa die angeblich am Schwarzen Markt gefundenen UNRRA-Waren oder die Gangsterbanden der Schleichhändler.

Die alliierten Mächte, allen voran Amerika, die UNRRA und die Hilfsaktionen aus vielen Ländern zeigen, daß man draußen die besonderen Schwierigkeiten der in Österreich gegebenen harten Aufgabe wohl einzuschätzen weiß. Wir sollten nicht weniger einsichtig sein und uns hüten, unserem Volke, das an den Nahrungssorgen ohnehin schwer genug trägt, durch einen ätzenden Kritizismus das Leben noch schwerer zu machen — nur deshalb, weil es dabei so schöne Gelegenheiten gibt, dem politischen Gegner eins auszuwischen.

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