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Prozeß Jesu im Theater?

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Die Josefstadt hat in ihr Abendprogramm ein Stück aufgenommen, das ursprünglich ihrem Studio vorbehalten war: den „Prozeß Jesu“ von Diego F a b b r i. Der Autor ist ein Laie, im zweifachen Sinn des Wortes, ein Laie im Sinne der Theologie und des Theaters, ein italienischer Rechtsanwalt, der in missionarischem Drange dieses Stück geschrieben hat, um für Christus auf der Bühne zu werben. — Alle Schwierigkeiten „christlicher“ Theaterstücke werden hier, teilweise grausam genug, sichtbar. Autoren, die solche Stücke schreiben, erliegen leider immer wieder der Versuchung, direkt

aussagen zu wollen, was nur indirekt glaubwürdig sagbar wird: die Wirklichkeit des Glaubens. So entstehen Predigten auf der. Bühne, die der Ungläubige uninteressiert besieht, da er den geistlichen Sinn nicht zu hören vermag, und der Gläubige sitzt verlegen da und sieht um sich und denkt: mein Gott, wenn es so einfach wäre, Christus und das Reich Gottes in einigen gut gemeinten .Reden, mit einigen sentimentalen und sehr „menschlichen“ Argunienten zu bezeugen .... — Diesem Stück fehlen, wie den meisten „christlichen“ Theaterstücken, jene beiden Elemente, die allein glaubwürdig, überzeugungs-

mächtig die Wirklichkeit der inneren Dimension, In der die ersten und letzten Entscheidungen fallen, ansagen können: zum einen das Dichterische, das echt Poetische, zum anderen das Spirituelle. So seltsam es auf den ersten Blick scheinen mag: ein „ungläubiger“ Dichter vermag, wenn er eben ein Dichter ist und nicht bloß ein Literat, religiös ergreifend zu wirken, genau so wie ein zeitgenössischer Künstler, der kein Konfessionschrist ist, weil er in seinem Schaffen an jene tiefste und innerste Dimension des Menschen rührt, in der das Heile und Unheile, das Schöpferische beheimatet sind. Von dort her, aus den Brunnen der Tiefe, holt er Quellwasser und vermag dergestalt, selbst unbewußt und ungewollt, in anderen Menschen den Funken zu entzünden, der Begeisterung weckt. Noch schwieriger steht es mit dem Spirituellen: das Wehen des Pneuma, des Heiligen Geistes, der große Atem der großen Liebe — ganz selten gelingt es auch christlichen Dichtern, seine Wirksamkeit zu bezeugen. Man kann tausende Seiten der spanischen christlichen Dramatiker und auch eines Claudel lesen und durchblättern und wird ganz selten Szenen finden, in denen wir sofort wissen: hier weht der Wind, der weht, wo er will; hier ist Pfingstgeist, hier ist ein Ort, an dem Geburt stattfinden kann, Geburt Gottes im Menschen, Menschwerdung des Wortes. — Es bedarf also eines starken Maßes von Naivität und, objektiv gesehen, Unverfrorenheit, die Frohe Botschaft auf die Bühne zu stellen. Und es besteht immer die Gefahr, daß die vielen Menschen, die nun die Frohe Botschaft auf der Bühne sehen, ohne zuvor von ihr ergriffen zu sein, nicht unbefriedigt das Theater verlassen, scheinbar bestätigt in ihrer inneren Abwehr: da sieht man es, wir haben es ja immer gewußt: diese Sache ist so unglaubwürdig wie wir es immer gedacht haben.

Der Autor des „Prozeß Jesu“ hätte nun eine Chance gehabt, ein gutes Bühnenstück, das sogar erregend wirken könnte, auf die Bretter (die eben nicht die Welt bedeuten) zu stellen, wenn er den Vorwurf seiner Rahmenhandlung als Hauptstück behandelt hätte. Da ist es ein deutscher jüdischer Universitätsprofessor, der mit seiner Familie testweise, in einer Art Gruppenexperiment, wie es die neuere Psychologie kennt, den „Prozeß Jesu“ mit verteilten Rollen rekapituliert, um sich über den Sinn des schweren Weges seines Volkes durch die Geschichte klar zu werden, in einer apokalyptischen Gegenwart, in der soeben der Nationalsozialismus sich anschickt, die Juden auszurotten. In der Situation seiner Familie, im Liebes- und Eifersuchtsdrama um seine Tochter Sarah, werden Motive sichtbar, die auch im Kreis der Jünger, zwischen Johannes und Judas, mitgespielt haben können. Wenn Fabbri es gewagt hätte, dieses Thema als Hauptstoff durchzuführen, wäre vielleicht ein starkes Zeitstück entstanden, das die Gewissen unserer fragwürdigen Zeitgenossen hätte ansprechen können, zu heftigen, echten Reaktionen geführt und dergestalt das Theater als erzieherische, moralische Anstalt erwiesen hätte. Der Autor verdrängt jedoch dieses Thema in die Rahmenhandlung, um breit den „Prozeß Jesu“ vor dem jüdischen Synedrion zu rekapitulieren, wobei er unter anderem Maria, Pontius Pilatus, Kaiphas und Maria Magdalena, die Apostel Petrus, Johannes und Thomas, als Zeugen auftreten läßt im papierenen ersten Teil seines Stücks. Im zweiten Teil wagt er es, die Thematik sozusagen ins Publikum zu verlegen und, mit im Publikum verteilten Schauspielern, die Debatte über Jesus Christus zu eröffnen. Formal ist das ein alter Trick, inhaltlich wirkt es hier peinlich; es liegt nicht nur an den schwachen Argumenten, mit denen da Menschen unserer Zeit ihren Glauben und Unglauben an den Erlöser demonstrieren; es liegt an der Unmöglichkeit, ein Kammertheater plötzlich, für zwei Stunden, in eine Kirche, einen Beichtstuhl, in einen Atommeiler, in dem Herz und Nieren des heutigen Menschen geprüft werden, zu verwandeln. — Also verläßt das unverwandelte Publikum mit gemischten Gefühlen das unverwandelte Theater. — Die Josef Stadt hat sich, unter der Regie des jungen, begabten Dr. Kutscher, um die Aufführung dieses schwielenreichen Stückes sehr bemüht. Fast das ganze mitwirkende Ensemble wäre zu nennen, an der Spitze Helene Thimig als Gast.

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