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Stücke, die man spielen sollte

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Was die Theater spielen und was sie nicht spielen — darüber wird sich der Kenner der Weltliteratur immer wieder (vergeblich) den Kopf zerbrechen. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf ein Werk des polnischen Dramatikers Ludwig Hieronymus M o r s t i n lenken. Es heißt „Xanthippes Ehrenrettung“, welches das Mittelstück einer antiken Frauen-trilogie ist, die er mit „P e n e 1 o p e“ als Schutzengel der ehelichen Treue beginnen und mit der in diesem Belang völlig andersgearteten „K1 e o p a t r a“ schließen läßt. Seine drei-aktige Apologie der Xanthippe besitzt den Vorzug einer großartigen Abschußstelle: so möchte ich die spannungsträchtige Grundsituation bezeichnen, von der ausgelöst sich das Stück ganz selbstverständlich aus seinen Bauelementen entwickelt; während jenes Vorganges steht der Autor scheinbar nur als Kontrollor neben seiner Schöpfung und steuert ihren Ablauf, der seine Beschleunigung aus der Brisanz des zur Explosion getriebenen Problems erhält.

Jenes Problem „Sokrates“ ist nun hier als Erlebnis seiner Gattin Xanthippe gestaltet, die für ihn und beider Kinder den armseligen Haushalt führen muß, während er sich mit seinen Jüngern, die sie nicht ohne Unrecht für snobistische Müßiggänger und intellektuelle Halbstarke einschätzt, am Bache Kidron ergeht. In Person tritt Sokrates erst am Ende des ersten Aktes auf, und obendrein, ohne ein Wort zu reden, aber vorher ist er uns unsichtbar schon in allen Szenen gegenwärtig, vor allem in der köstlichen Usurpierung seiner Dialektik durch seinen spitzbübischen Haussklaven Tyrrhaeus, der damit nicht nur Xanthippe erbost, sondern auch alle, die seinen Weg kreuzen, zu seinem Vorteil zu beschwätzen versteht, darin sehr verschieden von seinem Herrn, der aus seiner peri-patetischen Lehrweise kein Geschäft zu münzen weiß. Und da ist noch ein anderer Jünger des Philosophen, der geschmeidige Charmides, der dem von ihm hochverehrten Meister die Gattin Xanthippe abspenstig zu machen trachtet, und Xanthippes leichtfertige Freundin Myrrhinna, die die zögernde Frau des Weisen gerne verkuppeln möchte — freilich nicht an Charmides, den sie selbst an sich zu fesseln wünscht.

Diese Xanthippe Morstins ist allerdings keineswegs die sprichwörtlich gewordene geifernde Megäre, sondern ein gerader, blutvoller und seelisch sauberer Mensch, der auch auf die Umgebung als Frau bestrickend wirken könnte, fände sie nur Zeit, mehr für sich statt ausschließlich für ihren Sokrates auf der Welt zu sein. Daß Xanthippe dies aber trotz eines vergeblichen Fluchtversuches und trotz eines leidenschaftlichen Ausbruches, mit dem sie ihn vor aller Welt bloßstellen will, nicht vermag, weil ihr eine Ahnung von dem über das Alltägliche hinausreichenden Wesen ihres Gatten dämmert, das ist in dieser Komödie so witzig und zugleich so tragisch dargetan, daß keine Szene in diesem Stück — trotz seines vorwiegend dialektischen Charakters — ohne erregende und mitreißende Strömung bleibt. Meisterhaft zeigt sich das in den drei sich steigernden Aktschlüssen, die, wie drei stets blendendere Raketenbündel aus den Vorgängen aufsteigend, in hellen Kaskaden versprühen — ganz besonders am Ende des letzten Aktes, der im Morgengrauen nach dem unsterblichen „Gastmahl“. Piatos „Symposion“, im Hause des Agathon spielt. *

Ludwig Hieronymus Morstin, dessen Vor-

fähren, die Grafen Morstein, vor vielen Jahrhunderten in das Krakau der Jagellonen einwanderten, Zeitgenosse Hofmannsthals, dessen „Turm“ er ins Polnische übersetzte und darüber einen lebhaften Briefwechsel führte, der nur noch in polnischer Sprache vorliegt, weil der Krieg die Originale vernichtete, schrieb seine Apologie der Xanthippe vor fast dreißig Jahren. Die Warschauer Uraufführung zu Beginn des Jahres 193 8 — also vor genau zwanzig Jahren! — brachte ihm einen beispiellosen Erfolg. Eine englische und eine französische Uebersetzung wurden vorbereitet, doch der Ausbruch des zweiten Weltkrieges vereitelte

die in New York und in Athen geplant gewesenen Premieren.

Für das Wiener Burgtheater wäre „Xan-thippes Ehrenrettung“ das gegebene Stück, denn es hätte allein für die Xanthippe zwei Darstellerinnen, die dafür geschaffen scheinen, und einen Sokrates, wie er besser nicht gedacht werden könnte .. . Nun, ich hüte mich, hier Namen zu nennen, und ich wünsche vorderhand nur, das Burgtheater möge an diesem Stück nicht vorbeigehen, von dem ich gewiß bin, daß sein Wiener Erfolg nicht dem seiner Warschauer Uraufführung, der hunderte Wiederholungen folgten, nachstehen würde.

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