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KULTURPESSIMISMUS ALS POLITISCHE GEFAHR. Eine Analyse nationaler Ideologie In Deutschland. Von Fritz S t e r n. Titel des Originals „The politics ot cultural despair“. Übersetzung von Allred P. Zeller. Alfred-Scherz-Verlag Bern, 1963. 420 Selten. Preis 20.50 DM.

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KULTURPESSIMISMUS ALS POLITISCHE GEFAHR. Eine Analyse nationaler Ideologie In Deutschland. Von Fritz S t e r n. Titel des Originals „The politics ot cultural despair“. Übersetzung von Allred P. Zeller. Alfred-Scherz-Verlag Bern, 1963. 420 Selten. Preis 20.50 DM.

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Es gibt mancherlei Versuche, den Nationalsozialismus zu erklären. Am einfachsten ist es natürlich, ihn als Verschwörung darzustellen: etwa als Verschwörung der Junker oder „der reaktionärsten Elemente der Bourgeoisie“. Dies entspricht nicht nur dem Bedürfnis nach Simplifizierung und Dramatisierung, welches den Kommunismus als Racheakt des Ka- hals am russischen Kaisertum für die Pogrome auffaßt; eg entspricht überdies einer Denknqtwendigkeit des Fortschrittsglaubens, Denn da die denkende Menschheit immer besser wird, kann es im 20. Jahrhundert nicht etwas geben, dessen Scheußlichkeit dem 19. völlig unvorstellbar wäre; und weil „nicht sein kann, was nicht sein darf“, so kann es den Nationalsozialismus allenfalls als rohe Wirklichkeit, niemals aber

als geistige Bewegung gegeben haben.

Es gibt eine zweite Erklärung, die zur Zeit der „Umerziehung“ verbreitet war: wohl hat der Nationalsozialismus geistige Wurzeln, und zwar in der ganzen deutschen Vergangenheit; und eben darum ist das ganze deutsche Volk unrichtig und muß physisch oder geistig entwurzelt werden. Seit der Zeit ist einiges Wasser die Oder und Neiße her- untergeflossen, vor allem aber hat Rauschning Leser gefunden mit seiner Erklärung, warum auch und ge

rade anständige Deutsche mit dem Nationalsozialismus anfangs mitgingen.

Nun war Rauschning selbst dabei gewesen; er war und blieb politisch rechts. Stern dagegen bekennt sich zur Tradition der demokratischen Revolutionen, kritisiert also — wenn man so sagen darf — von außen. Seine Arbeit zeugt von bemerkenswerter geistiger Redlichkeit. Er analysiert drei Autoren, die zum Gedankengut des Nationalsozialismus beigetragen haben: Lagarde, Lang- behn und Moeller van den Bruck. Dabei hebt er mit aller Deutlichkeit hervor, daß der Nationalsozialismus die Ideen dieser Autoren — und die Nietzsches, mit dem viel Gemeinsames besteht — eben nicht vollends übernahm, noch übernehmen wollte, noch zu übernehmen behauptete. Mit einer Deutlichkeit, die man allen einschlägigen Autoren wünschen würde, zeichnet er den Trennungsstrich zwischen deutschem Konservatismus und Nationalsozialismus. Auch dem Unterschied zwischen dem revolutionären Nationalismus dieser drei und der echten Reaktion wird er durchaus gerecht.

Dennoch meinen wir, daß sein Werk noch Anlaß zu vieler Debatte geben muß. Strittig scheint uns vor allem dessen Grundthese von der Schädlichkeit des Kulturpessimismus. Gewiß: auch wir lehnen romantische Vernunftfeindlichkeit ab — wozu hätten wir sonst das „Dumme neunzehnte Jahrhundert“ von Daudet gelesen? Aber Stern sagt ja selbst, daß die liberal-kapitalistische Epoche triftigen Anlaß zu mißvergnügter Stimmung gab. Und das Schlußwort zur Frage des Pessimismus hat doch wohl Chesterton gesprochen: „Ein guter Sohn gibt nicht gerne zu, daß seine Mutter auf den Tod krank ist; doch ebensowenig versichert er frischfröhlich, daß ihr gar nichts fehlt!“

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