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Versuch, als Dichter zu lebe

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In einer Zeit, die sich vom Normativen der Kunst abwendet und die Dreiheit von Ordnung, Verwandlung und Lösung nicht mehr gelten lassen will, lenkt Felix Braun mit seinem gesamten Werk das Augenmerk auf jenes strenge Maß zurück, das alles künstlerische Schaffen bedingt. Wie wenige andere Dichter in Österreich ist der heuer 79jährige der Repräsentant eines musischen Lebensgefühls, gleichwertig als Epiker, Lyriker und Dramatiker. Für Felix Braun steht die Kunst in einer Linie mit Religion und Moral. Die ethischen Grundzüge, nicht nur die ästhetischen Vorzüge machen sein Lebenswerk wichtig. Letzte und höchste Einsicht: daß es Bindungen und Gesetze des Schicksals gibt, die nicht zulassen, was nicht mit ihnen übereinstimmt. Aufgabe des Dichters ist es, selbst das scheinbar Unbedeutende liebend zu deuten.

Die früheste Deutung gelang dem Lyriker Felix Braun. Er malte in zarten, bestrickenden Farben, sang in verzaubernden Rhythmen, die der leisen, durch die unseligen Zeitereignisse erschütterten Seele des Dichters gemäß sind, Die Autwahl Sammlung <eus der in vielen Bänden vorgelegten Lyrikfdie Ernte' Otts“ fünj'Jahrzehnten, heißt „Viola d'amore“ (1953). Auch der Dramatiker Felix Braun schreibt in gebundener Sprache. Er ist damit einer der letzten Vertreter des großen klassischen Versdramas. Gestalten des deutschen Mittelalters und der Renaissance, des indischen, russischen, antiken Kulturkreises, der österreichischen Geschichte und des Christentums — sie alle beschäftigten Braun schon von frühauf. Die schönsten Tragödien umfassen die beiden Bände „Ausgewählte Dramen“ (1955/1960), in deren Mitte „Tantalos“, „Kaiser Karl V.“, „Beatrice Cenci“ und „Orpheus“ wohl am reinsten den Typus des Braunschen Dramas offenbaren: es ist stets mehr Passion als Aktion, der Schluß meist eine entsühnende Verklärung. Hinter den Szenen der dramatischen Entwicklung steht transparent die Einsicht, daß es die größte Schuld des Menschen ist, sein Leben zu versäumen. Einen engen Zusammenhang mit den Dramen hat bei Braun die Kunstform des Dialoges. Die verschiedenen Sichten eines Problems werden mehreren Partnern in den Mund gelegt. Aus Widerspruch oder Zustimmung ergibt sich ein weiterer Aspekt. In der Sammlung „Imaginäre Gespräche“ (1960) ist jeder Satz vom Dichterischen her und zum Dichterischen hin orientiert, obwohl das Kraftfeld der Poesie nirgends auf ein nur spezielles Gebiet eingeengt bleibt.

Als Erzähler ist Felix Braun in gleicher Weise der breiten Entfaltung im großen Roman, wie der Kunst der knappen Novelle mächtig. Auf der einen Seite stehen „Agnes Altkirchner“ (1927) — in der veränderten Neuauflage „Herbst des Reiches“ (1957) — ein Prosaepos des österreichischen Lebens vor und nach dem ersten Weltkrieg, die Romane „Der unsichtbare Gast“ (1924), „Die Taten des Herakles“ (1921/48), „Der Stachel in der Seele“ (1948) mit dem Epilog „Der Liebeshimmel“ (1959) — auf der anderen Seite stehen die ausgewählten Novellen und Legenden in dem Band „Laterna Magica“ (1932/57), in dem sich der farbige Reichtum der Erlebniswelt des Dichters auf jeweils engem Raum entwickelt. Ins Metaphysische geleiten die „Briefe in das Jenseits“ (1952); der Dichter spricht darin zu geliebten Toten, er legt sein inneres Verhältnis zu ihnen vom Standpunkt des gläubigen Christen dar. Die autobiographische Grundlage der Dichtungen Brauns wird klar, wenn man einzelne Abschnitte seiner Bücher mit dem Erlebnisbuch „Das Licht der Welt“ (1949/63) vergleicht, in dem er die erste Hälfte seines Lebens darstellt: rückhaltlos offen, mit Herzenswärme, vornehmer Menschlichkeit, reich an kulturhistorischen und zeitpolitischen Details. Braun nennt dieses Buch im Untertitel Geschichte eines Versuches, als Dichter zu leben. Er charakterisiert damit Wagnis und Auftrag seines Daseins. Das Leben ist nicht nur Stoff der Dichtung, sondern auch die Dichtung Stoff des Lebens. Dies erhellen im besonderen die essayistischen Sammlungen Brauns „Deutsche Geister“ (1923), „Das musische Land“ (1953), „Die Eisblume“ (1955), denen jüngst die Dichterporträts „Zeitgefährten“ (1963) folgten. In persönlichen und geistigen Begegnungen hat Felix Braun Wesen und Gestalt unserer großen Künstler umrissen, er hat die Atmosphäre Österreichs, aber auch Italiens, das ihm lange die Heimat ersetzen mußte und es doch nicht konnte, seelisch zu erfassen verstanden. Alle diese Aufsätze sind in ihrer Gesamtheit eine gute geistige Schau und nicht mehr wegzudenken aus dem literarischen Profil unserer Zeit.

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