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Versuchung der Macht

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Die Werke Werner Bergengruens sind ihren österreichischen Freunden seit einer Reihe von Jahren nur sehr schwer zugänglich gewesen. Das Oeuvre des Dichters wird vom Verlag der Arche in Zürich betreut, und Schweizer Bücher finden leider bis heute nur in Einzelfällen den Weg über unsere Grenze. Man muß daher dem Verlag der Arche Dank wissen dafür, daß er sich entschlossen hat, das Schaffen Bergengruens durch den Verlag Stiasny Ges. m. b. H. in Graz den österreichischen Lesern direkt zugänglich zu machen. Unter den drei bisher vorliegenden Bänden dieser inländischen Ausgabe ragt als Hauptstück der spannungsgeladene, psychologisch tiet fundierte Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ hervor. 1936 erstmals erschienen, kreist er um das Problem seiner Erscheinungszeit — und wohl auch noch der Gegenwart —, die Versuchung des Mächtigen durch die Macht. („E6 ist in diesem Buche zu berichten von den Versuchungen der Mächtigen und von der Leichtverführbarkeit der Unmächtigen und Bedrohten“ 6agt Bergengruen in der „Präambel“.) Es bringt ein zeitloses Problem in historischer Hülle: Keiner der Bürger von „Cassano“ ist des Mordes schuldig, der in unmittelbarer Nähe des Herrschers der Stadt begangen worden war. Das sich steigernde Drängen des Tyrannen, den Täter zu finden, zieht — obwohl sie alle gleich unschuldig sind — „Unmächtige und Bedrohte“, Angstvolle und Liebende, Hilfsbereite und Machtbessene in eine peinvolle, dem Chaos zutreibende Verflechtung. Bis sich durch das Opfer eines der Machtangst nicht unterliegenden „Eiferers“ das Gewebe löst. Der Großtyrann selbst bekennt sich als Täter. Der Versucher, der über die Versuchten zu Gericht sitzen wollte, ist der Kraft eines reinen Herzens unterlegen. Uber der Macht steht das Rechte, das Recht — die Gerechtigkeit, die nicht von dieser Welt ist.

Von Johann Joachim Winckelmanns letzter, iinheilbriigeiider Italienreise, seiner Ermordung in Triest, erzählt das Bändchen „D i e letzte Reise*. Anregend ist hier ein Vergleich mit Richard Friedenthals Novelle „Arcangeli“, die fast zu gleicher Zeit neu aufgelegt wurde und densslben Stoff behandelt. Dort wird die ästhetische. Faszination durch Arcangeli dem großen Kunstkenner zum Verhängnis. Für Bereengmen waltet über Winckelmann das Fatum, das Schicksal selbst, das in Winckelmanns mit großer Feinheit ausgeführter seelischen Disposition Unterstützung findet. Höchst reizvoll ist das letzterschienene Werk Werner Bergengruens, die kleine Erzählung „Das Tempelchen“. Eine Episode aus dem polnischen Aufstand — de Jahres 1863? — gegen Rußland, Jugenderinnerungen einer alten Frau an die Rettung eines flüchtigen Insurgenten. Hier (wie etwa auch im .Teufel im Winterpalais“) wird Bergengruens Gabe zur seelischen und genrehaften Feinmalerei und im Vergleich mit dem „Großtyrann“ die große Spannweite des Dichters sichtbar.

Die Sultansrose und andere Erzählungen.

Sammlung Klosterberg. Europäische Reihe. Verlag Benno Schwabe &. Co., Basel. 173 Seit.

In dem bedeutenden dichterischen Gesamtwerk Berner Bergengruens nimmt die Erzählung und ganz besonders die Novelle einen hervorragenden Platz ein. Die meisten Leser von heute sind steh nicht mehr darüber im klaren, daß die Novelle eine besonderen Gesetzen gehorchende Form der erzählenden Prosa ist. Bergengruen hat mit einigen anderen deutschen Dichtem der Gegenwart das große Verdienst, die Eigenart der Novelle, in Anknüpfung an große Vorbilder der Weltliteratur durch eine Reihe beispielhafter Werke wieder deutlich gemacht zu haben. Auch der vorliegende Band enthält Dichtungen, welche die charakteristischen Züge der Novelle aufweisen. Ein ungewöhnliches Ereignis, eine „unerhörte Begebenheit“, wie Goethe sagte, als Mittelpunkt der Handlung, objektiver Erzählungsstil von geschlossenem Aufbau und knappe, verdichtete Sprachgestaltung sind die widitigsten, an eine Novelle zu stellenden Anforderungen, die hier erfüllt werden. Wir finden hier auch den unerwarteten, entscheidenden Wendepunkt im Schicksal der handelnden Personen, den besonders die Romantiker von der Novelle verlang*, haben. Bergengruen gibt seinen Novellen zumeist einer geschichtlichen oder legendären Hintergrund, doch die immer tief erfaßten ethischen Probleme sind nicht zeitgebunden, sondern überzeitlich. Jedem, der zu lesen versteht werden in Gleichnissen wesentliche Lebensweisheiten erschlossen, und hinter dem irdischen, flüchtigen Ereignis erscheint das große Unwandelbare. Den stärksten Eindruck hinterlassen die Prosastücke „Die Krone“, „Der goldene Tiechfuß“, die „Legende von den zwei Worten“ (der gleiche Stoff wie in Hebbels Ballade „Die heilige Drei“), „Der Kaiser im Elend“ und „Die Ostergnade“. Den Abschluß bildet die reizvolle, von echter Frömmigkeit erfüllte Erzählung „Die leichte Erde“. Bergengruens prägnante Erzählkunst wird in diesem Bande besonders deutlich.

Georg Letham. Arzt und Mörder. Roman von Ernst Weiß. Verlag Paul Zsolnay, Wien 1951. 555 Seiten, S. 58.80.

Dieses Buch ist eine Ungeheuerlichkeit Dabei fällt ein Stoff wie dieser nur alle Jahrhunderte einmal einem Dichter in die Hände. Georg Letham ist eine frei erfundene Gestalt hinter der die historische Tatsache der bakteriologischen Erforschung des Gelben Fiebers in den zwanziger Jahren steht. Georg Letham ist Arzt, Kind eines einflußreichen, ehrgeizigen, frömmelnden Vaters, der durch brutale seelische Abhärtungsmethoden die Entwicklung des Kindes in unnatürliche Bahnen lenkt Durch kostspielige wissenschaftliche Experimente in geldliche Bedrängnis gebracht, heiratet der aller religiösen und gesellschaftlichen Bindungen entfesselte, nur seinen persönlichen Trieben bedenkenlos ergebene junge Arzt eine reizlose, ältere, begüterte Frau, die er schließlich nach wenigen Jahren einer von unnatürlichen Leidenschaften erfüllten Ehe kalt beredinend ermordet Zu lebenslänglicher Deportation in eine Tropenkolonie mitten im Seuchenherd des Gelben Fiebers verurteilt, reißt der teuflisch Geniale die geistige Führung in einer wissenschaftlichen Untersuchungskommi ssion an sich) ihm gelingt nach unsäglich schwierigen Arbeiten, Leiden und gefahrbringenden Experimenten an sich selber die epochemachende Entdeckung, daß eine Stechmücke, die Stegomyia fasciatat die Uberträgerin des Gelben Fiebers ist, womit auch der Therapie der unheimlichen Seuche die Bahn eröffnet wird. — In einem schlechtweg unerträglichen ersten Teil, dessen Zynismus nichts, aber auch schon gar nichts an Gotteslästerlichkeit Menschenverachtung und Perver6ion schuldig bleibt, exponiert der Verfasser die verbogene Psyche seines „Helden“, um sich dann schließlich in der besessenen Hingabe Georg Lethams an seine ärztliche Aufgabe (auch hier noch unruhiges Schwanken zwischen Höchstem und Niederstem), einer atembeklemmenden dichterischen Höhe zu nähern. Diesem Buch war es gegeben. Höchstes zu erreichen. Es ist tief zu bedauern, daß es nur ein Pamphlet mit krankhaft-genialen Zügen geworden ist.

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