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Was blieb vom Doppeladler?

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DAS BLIEB VOM DOPPELADLER. Auf den Spuren der versunkenen Donaumonarchie. Von Ernst Trost. Verlag Fritz Molden, Wien-München.

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DAS BLIEB VOM DOPPELADLER. Auf den Spuren der versunkenen Donaumonarchie. Von Ernst Trost. Verlag Fritz Molden, Wien-München.

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„Gone away a sentimental journey ..Wer erinnert sich noch an den Schlager des Faschings 1946? Wir, die Heimkehrer aus dem zweiten Weltkrieg, übten nach seiner einschmeichelnden Melodie den Wechsel von Marschtritt in den Slowfox. Der heute 33 Jahre alte Verfasser des vorliegenden Buches wird sich kaum mehr dieses Tanzes erinnern. Ernst Trost ist schon ein Vertreter der „Nachkriegsgeneration“. Um so überraschender und erfreulicher ist es, daß für ihn die österreichische Geschichte nicht 1945, oder wenn’s gut geht, 1918 beginnt, sondern sein Interesse, ja man könnte sogar sagen seine Neugier, größere geographische und geschichtliche Dimensionen zum Gegenstand hat. Da brauchte es nur mehr eines unternehmungslustigen Verlegers, und „a sentimental journey“, eine Reise mit Gefühl — die Übersetzung hinkt — konnte ihren Anfang nehmen...

Sie führte den Verfasser überall dorthin, wo einst der Doppeladler seine breit ausholenden Schwingen gebreitet hatte: Von dem Elbegebirge im Norden Böhmens bis in den Karst, von Sarajewo bis nach Czer- nowitz. Der Autor fuhr die Donau hinunter bis Orsowa, er durchquerte die Karpaten, er saß mit jungen tschechischen Studenten zusammen und trank ein Glas Slibowitz mit ehemaligen k. u. k. Offizieren an der alten Militärgrenze. Historischen Schlachtfeldern galt sein Besuch genau so, wie jenen Lokalen, wo die heutige Jugend Ungarns ihren Twist tanzt. Aber überall stellte er sich eine Frage: „Was blieb...“ Welche Spuren hat die 1918 versunkene Donaumonarchie in den Ländern, aber auch in den Herzen der Menschen, die einmal selbst oder deren Vorfahren ihre Bürger waren, zurückgelassen?

Das Ergebnis dieser Großrecherche 1st in dem vorliegenden Buch, das mit Recht in kurzer Zeit zu einem österreichischen Bestseller geworden ist, festgehalten. Man hat dem Verfasser den Vorwurf nicht erspart, daß er sein Herz zu sehr an

Äußerlichkeiten gehängt, seine Aufmerksamkeit zu stark auf vordergründige Symptome konzentriert habe, statt tiefer zu schürfen und die kulturhistorischen Querverbindungen bloßzulegen. Dieser Vorwurf hat sicher etwas für sich. Er trifft jedoch nicht den Reporter, der ja nichts mehr, aber auch nichts weniger als eine Großreportage zu schreiben sich zur Aufgabe gemacht hat. Und ihr hat sich Emst Trost mit hohem Verständnis und großer Einfühlungsgabe unterzogen. Ohne Zweifel: eine journalistische Talentprobe ersten Ranges.

Aber etwas anderes fällt dem Rezensenten ein: Blieb nicht ein Land von Ernst Trosts Entdeckungsreise nach den Spuren des Doppeladlers völlig ausgespart? Nun, eben das Kernland, Österreich. Was ist heute noch unter uns lebendig von der großen Vergangenheit dieses Staates, von der Völkergemeinschaft der versunkenen Donaumonarchie? Die Planierraupe der Konsumgesellschaft war nämlich mitunter radikaler und gnadenloser in der „Erledigung“ der Vergangenheit als der Wille kommunistischer Funktionäre. Um nur eine Äußerlichkeit zu erwähnen: Wer heute ein typisches Alt-Wiener Kaffeehaus besuchen will, muß den Zug nach Krakau nehmen...

Das ausdrücklich als „sentimental“ bezeichnete Vorwort, welches Friedrich Torberg diesem Buch geschrieben hat und in dem er einige Seiten seiner Jugend aufblättert, läßt den Wunsch nach etwas Autobiographischem von F. T. wach werden.

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