6756930-1967_50_11.jpg
Digital In Arbeit

Wer war Hemingway?

Werbung
Werbung
Werbung

ERNEST HEMINGWAY. Der Schriftsteller and sein Werk. Ton Carlos Baker. Rowohlt-Verlar, Hamburg. 1967. 374 Seiten. DM SSM.

Wer war Hemingway? Diese Frage hat auch heute, sechs Jahre nach dem Tode des Dichters, noch ihre Berechtigung. Was für ein Mensch verbarg sich hinter dem vielfältigen Antlitz dieses Sonderlings, Kämpfers und Poseurs, dem ruhelosen Reporter gewaltigen Weltgeschehens, dem stoischen Chronisten einer Ära der Heimatlosigkeit und des Zweifels, dem rauhen Abenteurer und beglückten Künder ferner leuchtender Zonen, dem klarblickenden Erzähler, der sich vor der Welt verschloß, unter Jägern, Stierkämpfern und Fischern seine Freunde fand und seine Sprache zum zuchtvollen, präzisen Mittel einer gültigen, doch persönlichen Aussage formte, jenem Ernest Hemingway, den seine Zeit zur Legende erhob, weil er sich in keines ihrer Schemas fügen wollte?

Carlos Baker hat es unternommen, den Dichter Hemingway aus seinem Schaffen zu erschließen, und kommt dieser Aufgabe durch eine cnronologisch fortschreitende Analyse der Einzelwerke nach, die sich bewußt innerhalb eines Rahmens weitläufiger literarischer Zusammenhänge bewegt. So beginnt seine Darstellung mit den Erstlingsarbeiten der Pariser Lehrjahre, als der junge Weltkriegsteilnehmer und Zeitungskorrespondent noch dem Zirkel um Gertrude Stein angehörte, einer Phase des Reifens und der emsigen Selbstschulung, zu der die Hektik der Jazzära nur wie von ungefähr den Hintergrund abgab. Mit der Literatursatire „Die Sturmfluten des Frühlings“ von 1926 trennt sich der Dichter radikal von seinen alten Meistern und erbringt den Beweis der Selbständigkeit. Der Schlüsselroman „Fiesta“ bedeutet dann die Abrechnung mit der „verlorenen Generation“ der zwanziger Jahre, doch verleiht Hemingway dieser Tragikomödie menschlicher Nichtigkeit durch die Einschaltung strenger ethischer Werte unveränderliche Züge. Den darauffolgenden, reiferen Romain „In einem anderen Land“ betrachtet der Verfasser als eine echte Tragödie, in der Hemingway sein Weltkriegserleben künstlerisch zu bewältigen vermag.

Sehr eingehend gestaltet sich hier die Erörterung des Stilproblems. Für Baker ist Hemingways karge Darstellungsweise, welche stets unmittelbar berührt, ohne in Trugeffekte abzugleiten, in seinem Streben nach einer äußerst genauen,

kristallreinen Wiedergabe von Wirklichkeit und Wahrheit verankert, die im künstlerisch gestalteten Werk von höherer Bedeutung erhellt wird.

Ein weiterer Abschnitt gehört den Kurzgeschichten, die Baker als naturalistische Schilderungen mit symbolischem Unterbau bestimmt. Die knappe Reproduktion wirklichkeitsechten Geschehens erfährt jeweils aus der unendlich vielfältigen Thematik menschlicher Beziehungen ihre Sinngebung. Auch die Stier-kämpferflbel „Tod am Nachmittag“ und das Reisebuch „Die grünen Hügel Afrikas“ gelten dem Verfasser als Kunstwerke, da Hemingway seine Eindrücke in Gestalt einer festen Formstruktur zu übermitteln trachte. Größere Intensität und Gefühlswerte schreibt er allerdings zwei Erzählungen, dem Jagddrama „Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber“ und der Sterbeszene „Schnee auf dem Kilimandscharo“ zu, in denen das Afrikaerlebnis nicht nur dichterisch erfaßt, sondern auch verarbeitet wird.

Den Roman „Haben und Nicht-haben“, der die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre reflektiert, hält auch Baker für weitgehend mißlungen. Doch beweist ihm das Werk die echt dichterische Haltung des Autors, Zeitfragen nicht einseitig zu projizieren, sondern ihre kunstgemäße Formung anzustreben. In ähnlicher Weise ist sein bedeutendster Roman „Wem die Stunde schlägt“ wohl dem Grunderlebnis des spanischen Bürgerkrieges entwachsen, an dem Hemingway aktiv teilnahm, wirkt indes als eine allein vom künstlerischen Standpunkt aus orientierte Dichtung zeitlos und eigenständig. Der Freiheitskämpfer Robert Jordan, der an der Seite republikanischer Partisanen sein Leben opfert, handelt in einem höheren Sinne, der die politische Aktualität seines Einsatzes nahezu vergessen läßt. Baker zögert nicht, das Werk als tragisches Epos an die Seite der Klassiker der Weltliteratur zu stellen; seine Gestaltungstiefe, die den engumgrenzten Handlungskern eines Kriegsereignisses zum Schnittpunkt letzter menschlicher Anliegen werden läßt, geht über alle früheren Schöpfungen Hemingways hinaus. Den Nachkriegsroman „Uber den Fluß und in die Wälde-“ hat die Kritik nahezu einhellig verworfen. Baker lenkt uns aiuf die technischen Vorzüge des Werks hin, dem er die

eingeschränkte Bedeutung einer geringeren Kunstgattung zuerkennen will, eines elegischen Prosägedichtes etwa, das gleichwohl die gereifte Kunst des Meisters erkennen lasse.

Einen letzten Aufstieg bedeutet endlich die Seegeschichte „Der alte Mann und das Meer“, in der Tragik und Größe des Menschenschicksals ihre gleichnisartige Gestaltung erfahren. Nachdem Baker die Eigenart von Hemingsways Schaffen in letzter Analyse auf die Formel gebracht hat, daß er im Gewand einer naturalistischen Darbietung als Dichter Letzter Dinge zum Leser spreche, hält er rückblickend auch nicht mehr davor zurück, diese dichterische Aussage als positiven Wert zu bejahen: „Das Wissen um Gott ist in seinen Büchern.“

Kein Zweifel, Carlos Baker weist in dieser reichlich belegten Studie

einen Weg zu Hemingway, der wesentlich zum Verständnis seiner Werke beitragen kann. Wohl bedarf es noch eines Interpreten, der auch die offenkundigen Schwächen des Autors — Baker registriert sie, gleichsam als Abweichungen, nur am Rande — in seine Wertung einbezieht, doch mag dies einer Epoche vorbehalten bleiben, die sich Hemingway völlig zu eigen gemacht hat und einer Deutung seines Schaffens nicht mehr bedarf. Es ist ein anerkennenswerter Verdienst des Rowohlt-Verlages, diesen maßgeblichen Vertreter der Hemingway-Forschung in der sehr brauchbaren Übersetzung von Helmut Hirsch zugänglich gemacht zu haben. Die Übertragung benützt die zweite Auflage der Originalausgabe vom Jahre 1956, die hier noch um ein Schlußkapitel erweitert wird, das die letzten Jahre und den Tod des Dichters in die Betrachtung einbezieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung