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Picasso, Hemingway und der Stier

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Dieses Buch handelt zunächst vom Stierkampf in Spanien, der Corrida, die kein Sport und keine billige Volksbelustigung ist, sondern Fiesta, Nationalfest, an dem das ganze Volk größten Anteil nimmt. Dem Stierkampf liegt alte mythische Substanz zugrunde: der Mythos vom Kampf des Lichtes mit der Finsternis. Der Torero trägt das Lichtgewand, dem die Zeichen der Sonne eingestickt sind; der Stier aber ist der Widersacher des Menschen, er steht für die dunklen Kräfte der Erde. Die Tötung des Stiers ist ein Ritus, ein Opfer, ein heiliger Vorgang; sie darf nur nach bestimmten Regeln erfolgen. Werden diese Regeln verletzt, gilt der Kampf als mißlungen und der Spanier spricht von der „mala tarde“, vom bösen Nachmittag. „Die Kunst des Stierkampfes“, sagte Ernest Hemingway, einer ihrer größten Bewunderer, „ist die einzige, in der der Künstler sich in Lebensgefahr befindet und in der die Güte des Kunstwerks vom Ehrgefühl des Künstlers abhängt.“

Den Hauptteil des Buches bilden Interpretationen der Bilder Picassos, die den Stier zum Gegenstand haben; und das sind nicht wenige. Von hier aus gelingt es dem jungen Spanier Marrero, einen Zugang zum Veiständnis des ganzen Werkes seines bedeutenden Landsmannes zu öffnen. Seit 1901, als er seinen ersten bekannten „course de taureaux“ malt, sind Stierkämpfe, „Stier und Pferd“, Stierköpfe, die „Minotauromaquie“ häufige Themen in Picassos Werk. Ebenso oft spricht er in seinen Gedichten von der Corrida, ihren Trägern und Gesetzen. „Ich las die Zukunft im Auge des Stiers“, sagt er da einmal. Im Stier, diesem „Rätsel mit Hörnern“, erkennt Picasso den Drachen unserer Sagen wieder, der die Welt bedroht. Der Stier ist die Verkörperung der Uebel der Zeit — einer Zeit, die für Picasso ganz im Zeichen des Stiers steht. Denn beinahe überall, wo in seinen Bildern der Stier auftritt, ist der Stier Triumphator. Er besiegt alle anderen Wesen, keines kann ihm widerstehen. Toreros sehen wir nur selten bei ihm; und wenn wir sie sehen, dann sind sie oft, als sinnfälliger Ausdruck ihrer Schwäche, mit weiblichen Merkmalen, mit Brüsten, dargestellt.

Der Stier steht in vielen „courses des taureaux“ allein dem Pferd gegenüber. Das Pferd, edler und unschuldiger als der Mensch, ist eine Verkörperung der Reinheit (Picasso hat es fast immer weiß gemalt). Sehen wir die Toreros zuweilen auf der Flucht, so ist das Pferd immer hilfloses Opfer des Stiers. Unerbittlich und selbstgefällig blickt der Stier in „Guerniqa“, dem vielleicht wahrsten Abbild unserer Zeit, über die verzweifelte Frau, über alle, Leidenden hinweg, indes aus dem Maul des Pferdes, spitz wie ein Dolch, ein verzweifelter Schrei kommt.

Vicente Marrero geht aber nicht nur der Vision des Stiers in den Gemälden, Zeichnungen und Lithos Picassos nach, sondern er entdeckt auch den Schatten des Stiers in vielen seiner „figures“, so beispielsweise in der „Frau mit Hut“ (1942), in deren Kopfbedeckung sich deutlich zwei spitze Stier-hörner nachweisen lassen; in der bekannten „Weinenden Frau“; im „Porträt eines Mannes“ (1938), dessen Mundpartien als Stiermaul erscheinen. Immer wieder bricht in der Darstellung des Menschenbildes seiner Zeit Animalisches durch. „Der Stier beherrscht Picassos Malerei“, sagt Marrero, „und alle seine Bilder erwecken den Eindruck, als ob sie in Gegenwart des Stiers ausgeführt worden wären. Der Stier: das ist die Grausamkeit, die Brutalität und das Böse, die auf der Zeit lasten wie ein düsterer Schatten.“

Das Buch Marreros — darin liegt seine bahnbrechende Bedeutung — ist die erste nur inhaltliche Ausdeutung des Werks Picassos, seiner wiederkehrenden Gestalten und Themen und der Weltsicht, die sie offenbaren. Ueber seinen vielen formalen Neuerungen wurde allzu lange die Aussagekraft seiner Bilder vergessen!

Tod am Nachmittag. Von Ernest Hemingway. Deutsch von Annemarie Horschitz-Horst. Rowohlt-Verlag, Hamburg. 312 Seiten und 81 Abbildungen. Preis 26 DM.

Dies ist eine Monographie des Stierkampfes, wie er heute in Spanien geübt wird. In 20 Kapiteln visiert Hemingway sein Thema an, packt es immer wieder bei den Hörnern und läßt sich immer wieder von ihm fortreißen. Hemingway ist ein wunderbarer Schriftsteller. Dieses Buch gibt eine derartige Anschauung vom Stierkampf, als hätten wir eine ganze Feriasaison mitgemacht. Wie blaß und matt wirken dagegen die Photos am Schluß des Bandes!

Was Hemingway zu geben versucht, ist eine „Naturgeschichte des Stierkampfes“. „Ich sage dies als Naturforscher und nicht, um romantisch zu sein“, betonte er einmal. Und doch ist das Buch sein persönlichstes und voll Romantik. Die Genauigkeit, die er sich zur Pflicht gemacht hat, verlangt auch, daß er sich über seine eigenen Empfindungen während des Stierkampfes Rechenschaft ablegt.

„Für mich ist der Stierkampf etwas sehr Moralisches, weil ich mich sehr wohl fühle, während er stattfindet, und ich ein Gefühl von Leben und Tod und Sterblichkeit und Unsterblichkeit habe, und nachdem er vorbei ist, fühle ich mich sehr traurig, aber auch sehr wohl.“

Hemingway sieht noch nicht den Mythos, aus dem der Stierkampf kommt, den von den Spaniern vor allem Garcia Lorca in einer Klarheit erkannt hat, die ihm jeden Vorgang in der Arena ganz transparent machte. Aber Mr. Hemingway kommt dem Kern der Sache sehr nahe. Er sieht im Stierkampf eine Kunst, die dem Mann die Möglichkeit gibt, sich einzusetzen, Gefahr auf sich zu nehmen und zu bestehen, Tapferkeit und Ehrgefühl zu entwickeln. Einerseits ist „der Stierkampf eine Tragödie: ,Der Tod des Stieres', die von dem Stier und dem beteiligten Mann mehr oder minder gut gespielt wird und die für den Mann Gefahr enthält, für das Tier jedoch den sicheren Tod.“ (Der Stier wird, wenn nicht in der Arena, dann anschließend in den corrals getötet.) Anderseits bringt er, nach Hemingway, etwas wie Skulptur hervor: „Ich kenne keine moderne Plastik, außer der von Brancusi, die in irgendeiner Beziehung der Plastik des modernen Stierkampfes gleichzusetzen wäre. Ab* sie ist eine vergängliche Kunst, wie Singen und Tanzen. Wenn sie Dauer besäße, könnte sie eine der großen Künste sein, aber sie ist es nicht, und so vergeht sie mit dem, der sie ausübt...“

Aber Mr. Hemingway sieht nicht den Mythos, auch wenn er einmal sagt, „ohne die Sonne ist der beste Stierkampf einfach nicht da“, und vom Ritual des Stierkampfes spricht. Und darum betont Hemingway in seinem großartigen Kapitel über das Töten etwas zu sehr die ästhetische Seite, und dagegen sind wir heute, nach einem furchtbaren Weltkrieg, skeptisch. Hemingway ist im Grunde, das kann er nicht leugnen, ein Moralist und kein Aesthet. Aesthet zu sein im Angesicht des Todes, stilvoll zu töten und dabei das eigene Leben einzusetzen: das ist für ihn eine Frage des Anstands, der Ehre, der Moral. Stil ist ihm immer Lebensstil und bedeutet: Haltung, Disziplin, Befolgung eines Sittenkodex.

Wie nahe die Welt der Kunst, in der Mr. Hemingway denkt, dem Mythos ist, zeigen viele Stellen des Buches, besonders der Schluß: „Wenn ich aus diesem Buche wirklich genu hätte machen können, %-äre alles darin. Der Prado, der wie irgendein großes amerikanisches Universitätsgebäude aussieht, mit Rasensprengern, die früh am hellen Madrider Sommermorgen das Gras anfeuchten; die kahlen, weißen Leänihtigel. die i.ach Carabanchel hinüberblicken; der Geruch von Getreide und die steinernen Windmühlen ...“ Denn der Stierkampf ist kein begrenzter Vorgang: er ist, sehen wir ihn richtig, ein Abbild der Welt.

Ein stolzes und männliches Buch, von einer heißen Liebe zur Welt und von echter Bewunderung für alles Große erfüllt. Genaue Beschreibungen wechseln mit Stellen, die von höchster Emotion beseelt sind. Jeder wird dieses Buch lieben, dem Haltung und Tapferkeit im Leben, wie immer dieses Leben für den einzelnen aussieht, noch etwas bedeuten.

Die Bilder von Picasso auf dem Umschlag und auf dem Vorsatzpapier fassen noch einmal den tieferen, mythischen Sinn des blutigen Kampfes mit dem Stier zusammen, der in seinen höchsten Augenblicken ein Tanz mit dem Stier ist, der Sieg der gestaltenden Kräfte des Menschen über das Schwere und Tragische seines Schicksals. Das sagt Picasso und das sagt auch Hemingway, wenn wir sie recht verstehen.

Vom Stierkampf und dem Mut der Stierkämpfer handeln auch einige — nicht die schlechtesten! — von Hemingways berühmt gewordenen „49 Stories“. 43 dieser knappen, männlichen Geschichten legt der Rowohlt-Taschenbuch-Verlag nun in drei Einzel-bändchen vor, in der Anordnung den Originalpublikationen folgend: „In unserer Zeit“ („In Our Time“) erschien zuerst 1925 (15 Stories, rororo Nr. 278), „Männer ohne Frauen“ („Man Without Women“) 1927 (14 Stories, rororo Nr. 279) und „Der Sieger geht leer aus“ („Winner Take Nothing“) 1933 (14 Stories, rororo Nr. 280).

Hemingways Stories sind — trotz seines Nobelpreiswerkes „Der alte Mann und das Meer“ — das konzentrierteste und härteste, was er je geschrieben hat. Von den Kurzgeschichten wieder liebe ich die 16 kleinen Prosaeinschübe in dem ersten Bändchen „In unserer Zeit“ am meisten, von denen keiner länger als eine Seite ist. Die meisten sind nicht einmal halb so lang. Aber sie enthalten in nuce den ganzen Stilisten. In „Männer ohne Frauen“ steht die klassische Stierkampfgeschichte „Der Unbesiegte“, in „Der Sieger geht leer aus“ das Prosastück „Eine Naturgeschichte der Toten“, die Hemingway zuerst, mit Kommentaren versehen, in sein Buch „Tod am Nachmittag“ aufgenommen hatte.

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