6676980-1961_27_04.jpg
Digital In Arbeit

ERNEST HEMINGWAY EIN LEBEN. VOM TODE UMFANGEN

Werbung
Werbung
Werbung

„Der Hemingway-Held, der gro/le, sake Naturbursche, ist gleichzeitig Verwundeter ... Der Mann wird vor seinent Tod noch tausend Tode sterben, aber von seinen Wunden wird er sich nieutals vollstandig er- holen, solange Hemingway lebt und von seinen Abenteuern berichtet.” So schrieb 1952 Philip Young, Professor fur englische Literatur an der Universitat New York, in seinem Buch „Hemingway”. Sein letztes Abenteuer hat Hemingway nicht mehr beschreiben kbnnen: am 2. Juli 1961 traf ihn eine Kugel tddlich — beim Gewehrreinigen. Hat der grofle, alte Jager, dem sein Vater, als er eben zehn Jahre alt geworden war, ein Jagdgewehr schenkte, sich bewuflt selbst getrof- fen? „Er konnte noch nicht iiber ihn schreiben; er wurde es spater einmal tun.” Mit diesen Worten hat der junge Hemingway in der

Gestalt seines Nick Adams sich zum erstenmal von dem furchtbaren Erlebnis zu distanzieren versucht: Der Vater, der Arzt, Jager und Fischer Dr. Clarence Edmonds Hemingway, hatte sich ganz plbtzlich, 1928, erschossen.

Von tausend Toden, von tausend Hunden gejagt: das ist der Mensch. Leben? Was ist das Leben des Menschen? Leben ist ein Sich-Aufbdu- men zwischen zwei Siegen, zwischen zwei Niederlagen. Denn die Welt ist im Kriege, sie ist Krieg. Erbar- mungslos fdllt sie den Schwachen an, wirft ihn nieder. Erbarmungslos fdllt sie den Starken an, friftt ihn auf, wie die Haifische den wunder- sam groflen Fisch Marlin, den der alte Mann gefangen hat. Der alte Joe DiMaggio in Santiago de Cuba hat seit 84 Tagen keinen Fisch mehr gefangen. Am 85. Tag fahrt er hinaus, und fangt sein Gltick, den Riesenmarlin, von dem er den ganzen Winter fiber leben konnte. Mit einem Skelett kehrt er heim, todmiide: das haben ihm die Haie gelassen. Am ndchsten Morgen wird er wieder zum Fischen ausfahren. „Der alte Mann und das Meer”, ist in aller Welt gelesen warden, in den USA ebenso sehr wie in der UdSSR, in Japan, Siidamerika, Afrika, wie in Deutschland. Menschen aus alien Winden und Wet- tern unserer Zeit haben in dieser Story eine Chiffre fiir die Grope des Menschen heute gesehen.

Hemingway fuhr in alle Welt hinaus, um zu jagen, zu fischen, zu kampfen. Legenden haben den Boxer /Hemingway umwoben. Ame- rikanische Generate bestatigen, daft er sich bei den letzten bitteren Schlachten des zweiten Weltkrieges mit seinem kleinen Trupp teilweise einhundert Kilometer vor der ame- rikanischen Front befand. In der Schlacht im Hurtgenwald stand er im schwersten Feuer, so wie 1936 in Spanien, im gropen Biirgerkrieg. Die schwerste Wunde und den un- ausloschlichsten Eindruck hat der grope wunde Mann Ernest Miller Hemingway, der am 21. Juli 1899 in einem Vorort von Chikago ge- boren wurde, jedoch in der Nacht zum 8. Juli 1918 erhalten. Bei Fossalta di Piave, dort, wo jetzt in diesen heipen Julitagen tdglich viele tausende Wagen voll mit urlaub- suchenden Osterreichern, Deut- schen, Schweizern und anderen Europdern vorbeiflitzen, wurde er am Flupufer von einem osterreichi- schen MinenwerfergeschoP oder ,,Ascheimer” getroffen. „Ich starb damals”; Dieses sein Bekenntnis ist sehr genau zu verstehen. Die drei Italiener, die mit ihm waren, star- ben schnell. Hemingway — als man ihn untersuchte, entfernte man 247 Splitter allein aus seinem rech- ten Bein — begann jenes lebens- lange Sterben, dem er als Produkt sein literarisches Werk abgewann. Verbissen arbeitend, immer wieder von vorn beginnend. Eine Arbeit, die recht lange weit mehr Mip- erfolg als Erfolg war (trotz der „Fiesta”), Eine Arbeit, die ihn trotz des Welterfolges nie in die groPe Ruhe entliep. Seine tlberzeugung war: „Wenn Menschen soviet Mut auf die Welt mitbringen, mup die Welt sie toten, um sie zu brechen, und darum totet sie sie natiirlich. Die Welt zerbricht jeden, und nach- her sind viel an den zerbrochenen Stellen stark. Aber die, die nicht zerbrechen wollen, die totet sie.

Sie totet die sehr Guten und die sehr Feinen und die sehr Mutigen; ohne Unterschied. Wenn du nicht zu diesen gehbrst, kannst du sicher sein, daP sie dich auch toten wird, aber sie wird keine besondere File haben.” Der Mensch hat auf dieser wunderschbnen Erde keine Heimat mehr: „Damit geht’s zu Ende ... llnsere Vorfahren gingen nach Amerika, weil das damals der Ort war, zu dem man ging. Es war ein gutes Land. Und wir haben es nun restlos versaut. .. Ich wurde jetzt irgendwo anders hingehen.”

Hemingway ging nach Europa, wo er besonders Paris und Venedig liebte. Er flog und zog nach Afrika, das ihm besonders ans Herz wuchs. Von den vielen Gestalten und Ge- schichten, in denen er seinen eige- nen Tod, seine eigenen Verwundun- gen als Tos! und Versehrung des Menschen in unserer Zeit beschrieb, sei nur eine hier bezogen: im „Schnee auf dem Kilimandscharo” liegt dicht unter dem westlichen Gipfel, dem „Haus Gottes”, das ausgedorrte und gefrorene Gerippe eines Leoparden. Niemand hat er- kldrt, was der Leopard in jener Hohe suchte. Hemingway erklart es: der Leopard suchte das Haus Gottes, die Unsterblichkeit. Bei diesem rdtselhaften Versuch kam er um.

Hemingways Irrationalismus hat bei seinen Lebzeiten viel Kritik auf den Plan geworfen. Jetzt, nach seinem Tode, wird es Zeit, dieses von Stiirmen des Schmerzes und der Lust durchtobte Leben und Werk behutsam zu wiirdigen. Kein Zeit- genosse seiner Zeit und ihrer ersten Tochter, unserer Zeit, sollte ihm diese Ehre versagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung