Schruns - © Foto: Wolfgang Machreich

Hemingway in Schruns – ein Fest fürs Leben

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Ernest Hemingway verbrachte vor 95 Jahren zwei Winter im Montafon. Bericht einer zum Scheitern verurteilten Spurensuche, die mithilfe eines Zaubers doch noch gelingt.

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Ernest Hemingway verbrachte vor 95 Jahren zwei Winter im Montafon. Bericht einer zum Scheitern verurteilten Spurensuche, die mithilfe eines Zaubers doch noch gelingt.

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Ernest Hemingway kam in den Wintern 1925/26 des Geldes wegen vom nassen und kalten Paris ins verschneite und sonnige Montafon: „Die Pension kostete für uns drei ungefähr zwei Dollar am Tag, und da der österreichische Schilling durch die Inflation fiel, kosteten das Zimmer und Essen immer weniger.“ Außerdem hatte er gegenüber seiner ersten Frau Hadley etwas gutzumachen.

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Den Sommer davor verbrachte er in Pamplona, Stierkampf, Partys, Affären, durchlebte, durchliebte die sprichwörtlich wilden 20er Jahre. Das abgelegene Schruns bot sich da als der ideale Ort an, um runterzukommen – und reinzukommen: Der 25-Jährige hatte seinen Korrespondenten-Job beim Toronto Star gekündigt, wollte Schriftsteller werden, sein spanisches Fest als Stoff, und hatte „das Schwierigste an Umschreiben vor, das ich je gemacht habe, als ich die erste Fassung von Fiesta, die ich in einem Lauf in sechs Wochen geschrieben hatte, zu einem Roman umarbeitete“ (aus „Paris – ein Fest fürs Leben“).

„Paradies ohne Wiederkehr“

Ich kam in diesem Winter ins nicht mehr so tiefverschneite, aber immer noch sonnige Montafon. Wegen Hemingway. Spurensuche. Weniger anstrengend als auf den Spuren Humboldts auf Cotopaxi und Chimborazo, aufregender als mit Zuckmayer in Saas Fee und lustiger als in den Fußstapfen Hesses am Gotthard. Richtig gedacht. Hemingway im Montafon zu suchen, ist leicht, interessant und kann echt lustig werden. Kein Wunder, die Hemingway-Welt in Schruns und Umgebung sind die Gasthäuser und die Berge. Diese Kombination muss man mögen, ich mag sie, es gibt nur ein Problem, das Montafon des Ernest Hemingway ist weg. Das soll auch der Grund dafür gewesen sein, dass Hemingway nie wieder zurückgekommen ist.

Das Montafon des Ernest Hemingway ist weg. Das soll auch der Grund dafür gewesen sein, dass er nie wieder zurückgekommen ist.

„Paradies ohne Wiederkehr“ nannte der Vorarlberger Journalist, Autor und Hemingway- Exeget Günther J. Wolf deswegen sein Standardwerk über Hemingway im Montafon. Wolfs Recherchen ergaben, dass sich Hemingway später durchaus nach dem Montafon erkundigte. Man riet ihm aber ab, erneut hinzufahren. Die in seiner Zeit abgeschiedenen Schutzhütten waren bereits mit Seilbahnen und Straßen erschlossen, präparierte Pisten statt unverspurter Hänge und die Staumauer des Silvrettasees hinter „seinem“ Madlenerhaus, Hemingways Lieblingsquartier, in dem er gerne Karten spielte, und wo er sich mit seiner Geliebten und späteren zweiten Frau Pauline Pfeiffer einschneien ließ … Und wenn er doch gekommen wäre? „Er wäre enttäuscht gewesen“, sagte Wolf einmal der Frankfurter Allgemeinen dazu, „es hätte ihn fürchterlich enttäuscht.“ Ernüchtert und desillusioniert vom Leben und Lieben war Hemingway, als er sein Montafon in seine Literatur hineinschrieb.

Das erste Mal tauchen die Vorarlberger Winter prominent in seinem Schaffen auf, als sich Hemingways Alter Ego, der auf einer Safari sterbende Schriftsteller Harry, den „Schnee auf dem Kilimandscharo“ vor Augen, in den Schnee auf seinen Silvretta-Bergen zurückträumt: „das schnell gleitende Sausen des stäubenden Pulverschnees auf dem Harsch, und wie man ‚Juchhe‘ schrie, wenn man die letzte Strecke bis zum Steilhang hinunterlief, den man Schuß fuhr, und wie man mit drei Schwüngen durch den Obstgarten lief und dann über den Graben hinaus und auf die vereiste Straße hinter dem Gasthaus. Dann machte man die Bindungen los, stieß die Skier ab und lehnte sie gegen die hölzerne Wand des Gasthauses, während das Lampenlicht aus dem Fenster drang und sie drinnen in der rauchigen, nach jungem Wein riechenden Wärme Ziehharmonika spielten.“ Und das zweite Mal erzählt er von seinen Schrunser Wintern in seinem posthum erschienenen Lebensresümee „Paris – ein Fest fürs Leben“, an dem er bis 1961 arbeitete und nach dessen Fertigstellung er sich als Lebensfazit eine Kugel in den Kopf schoss. Typisch Hemingway.

Er lebte, was er schrieb, den Krieg, die Fiesta, das Meer und den Schnee: „Am Weihnachtstag in Schruns war der Schnee so weiß, daß es den Augen weh tat, wenn man aus der Weinstube hinausblickte und die Leute aus der Kirche nach Haus kommen sah. Es war dort, wo sie die von Schlitten geglättete, von Urin gegelbte Straße hinaufgegangen waren, am Fluß entlang mit den steil abfallenden Tannenhängen, die Skier schwer auf der Schulter, und wo sie auf dem Gletscher oberhalb des Madlenerhauses die große Abfahrt machten, wo der Schnee so glatt aussah wie Zuckerguß und so trocken war wie Pulver, und er erinnerte sich an das lautlose Sausen, das die Geschwindigkeit machte, wenn man wie ein Vogel hinunterschoß“ (aus: „Schnee auf dem Kilimandscharo“).

Am Stammtisch der „Taube“

Die Weinstube vis-à-vis der Kirche ist die Gaststube des „Hotel Taube“, Hemingways Bleibe in Schruns. „Nein, ein Hemingway- Bild haben wir nicht in jedem Zimmer, nur in Nr. 21, das war seines, Sie haben Glück“, antwortet die Frau an der Rezeption auf meine Frage. Pech im Glück: 1949, als die französischen Besatzungssoldaten auszogen, wurde die Taube renoviert, gingen die Originalzimmer der Hemingways verloren. Glück im Pech: Nach dieser Saison wird das Haus zum Viersterne- Hotel aufgerüstet, alles neu, auch Zimmer Nr. 21, nur die Gaststube wird aus- und nach dem Umbau wieder originalgetreu eingebaut. Mitsamt dem Stammtisch, einem runden Holztisch mit der für das Montafon typischen Schieferplatte in der Mitte, auf der seinerzeit mit Kreide der Spielstand angeschrieben wurde.

Hemingway saß oft und lange an diesem Tisch. „Damals wurde dauernd gespielt. Wenn es keinen Schnee gab, wurde gespielt, und wenn es zuviel gab, wurde gespielt“ (aus: „Schnee auf dem Kilimandscharo“). Spielglück im Schneeglück: „7 Flaschen, 158.000 Kronen gewonnen. Macht etwa 2,35 Dollar“, schrieb er an seinen Schriftstellerkollegen F. Scott Fitzgerald. An der Wand hinter dem Stammtisch hängen Fotografien: Die alte „Taube“ im Schnee, der junge Hemingway auf Skiern und der alte im Porträt. Zwei Urkunden bescheinigen den früheren Wirtsleuten, das Hemingway-Erbe vorbildlich zu hüten. Ein Foto schenkte Hemingways Sohn Jack („Goddy“) dem Hotel, nachdem er in den 1970er Jahren auf den Spuren seines Vaters und seiner eigenen Kindheit nach Schruns gekommen war. Das Bild zeigt Hemingway senior & junior nach einem Speerfisch-Fang. „Goddy kann gehen, beim Gehen wenden, montafonerisch sprechen, sitzt prächtig auf dem Topf, macht nicht mehr ins Bett, ist ganz heiter, hat ein schönes Kindermädchen namens Mathilda, fährt auf einem Schlitten aus, isst Kohl, schreit nach Bier und wird sehr mitteleuropäisch“, berichtete Hemingway in einem Brief vom 20. Jänner 1925 an seine Freundin und Förderin Gertrude Stein in Paris. Trautes „Taube“-Heim, Familienglück mit Frau und Kind allein.

Im Winter darauf wird alles anders. Zu Weihnachten 1925 kam Pauline Pfeiffer und in „Paris – ein Fest fürs Leben“ hadert Hemingway mit dem, was in ihrem Gefolge kommt: „Der Ehemann hat zwei anziehende weibliche Wesen um sich, wenn er mit seiner Arbeit fertig ist. Eine ist neu und fremd, und wenn er Pech hat, liebt er plötzlich beide. Nun sind es statt der zwei und ihrem Kind drei. Zuerst ist es anregend und macht Spaß, und es geht eine Weile gut. Alles wirklich Böse beginnt in Unschuld. So lebt man Tag für Tag und genießt, was man hat und macht sich keine Gedanken. Man lügt und haßt es, und es zerstört einen, und von Tag zu Tag wird es gefährlicher, aber man lebt von einem Tag zum andern wie im Krieg.“

Ganz in seinem Element

Da versteht man, wenn der hinund hergerissene Hemingway die Seehundfelle an die Skier schnallte, um hinein ins Gauertal oder hinauf zur Bielerhöhe zu steigen, um vom Beziehungskrieg in den Bergfrieden zu fliehen. Hohes Rad, Schwarze Wand, Großes Seehorn, Totenfeldscharte – die Gipfel sind auch nach bald 100 Jahren noch immer gleich. Da hat er hinaufgeschaut und sich gefreut an der Wildheit, an der Freiheit. Da ist er hinuntergesaust und war bei sich, in seinem Element, wie im Schützengraben, wie beim Stierkampf, wie beim Hochseefischen. Und da gelingt es den Bergen und dem Schnee, sie doch noch herzuzaubern, die verschüttet geglaubten Hemingway-Spuren im Montafon. Beim Raufsteigen und Runtergleiten „glatt und gerade, endlos gerade, wenn unsere Beine es durchhalten konnten; die Knöchel aneinandergedrückt, liefen wir ganz tief geduckt, überließen uns der Geschwindigkeit und glitten endlos, endlos im stillen Zischen des körnigen Pulverschnees. Es war schöner als jedes Fliegen oder sonst irgend etwas“ (aus: „Paris – ein Fest fürs Leben“).

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