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Geist der Türkenromane

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Als um die Jahrhundertwende Enrica von Handel-Mazzettis erste Werke erschienen, war es vor allem eines, das selbst die rasch gewonnenen treuesten Freunde erschreckte: der harte Realismus, das Grausige und Grausame, das wie ein Blitz aus den aufgestörten Menschen und Ereignissen ihrer Romane-fuhr. Aber es wäre aus dieser Art nicht viel mehr erwachsen als eine höchste Beherrschung des effektsicheren episch-dramatischen Instruments, wenn nicht frühzeitig auch noch ein anderes den Inhalt und die Form dieser durchaus neuartigen Kunst der Erzählung mitgeprägt hätte: die Liebe inmitten aller religiösen und politischen Gegnerschaften, das menschliche Verstehen und Empfinden zwischen den Getrennten — das letzte Band, das in Zeiten des Zwistes und der Spaltung die Welt zusammenhält. Und das war das andere, was das zwar vom brodelnden Hasse vergangener Jahrhunderte weit entfernte, dafür aber in althergebrachten feindlichen Geistesfronten förmlich behaglich erstarrte Fin de Sicle nicht fassen konnte. Es hat zwei Kriege und halbes Jahrhundert gebraucht, bis wir Heutigen das Werk der Handel-Mazzetti gerade in diesen seinen Zügen und Vorzügen voll verstehen gelernt haben — als seherischen Ausdruck von Umwälzungen und Aufgaben, die erst unsere Zeit auf Tod und Leben zu bestehen hat.

Die Türkenzedt, in welche die letzten beiden Romanwerke der Autorin führen, ist kaum weniger als das wild bewegte Zeitalter der Gegenreformation als Prüfstein dieses „Unfaßlichen“ geeignet. Im furchtbaren Zusammenstoß des osmani-schen Machtanspruches mit dem christlichabendländischen Behauptungswillen war hüben und drüben der Grausamkeit jede,

der Menschlichkeit keine Chance gegeben. Hart, einem unerbittlichen Gesetz und Befehl verschworen, waren die Männer um den Starhemberger in Wien von 1683: er selber, Ernest Rüdiger, sein Neffe Guido, der württembergische Herzog, der niederländische Hauptmann. Und drüben die glühend hassenden, mordenden und sengenden Muselmanen und ihre Trabanten. Wenn ihre Schlachtrufe aufeinanderstoßen — „Vivat Leopoldus!“ und „Allah, Allah, hu!“ — erzittert ein Erdteil, eine halbe Welt in ihren Fugen — vor diesem Abgrund, diesem Vernichtungswillen. Und mitten in dieser haßbrodelnden Welt geht ein reiner, sauberer, unberührter Mensch durch die rauchenden, lärmenden, stöhnenden Straßen von Wien, Aloysia Silbereyssin, die Waxenbergerin *, die junge Laienschwester der Ehrwürdigen Ursulinen, ein Landkind wie das Mädchen von Orleans und wie dieses zu Bitterstem und Höchstem bestimmt: den Starhemberger mit dem Schwert vor dem rumelischen Attentäter Prinz Ghika zu schützen und von dem eigenhändig zu Tode verwundeten Prinz-Spion mit einem Kuß in seiner Sterbestunde die Bestattung der gemetzelten christlichen Soldaten und Milch für die Kinder der belagerten Stadt zu erkaufen. Ein hoher, nicht zu hoher Preis: mit den Worten „Jesus und Maria“ auf den Lippen stirbt der abtrünnige Christ und Freund der Muselmanen Ghika, wohl nur vom Schimmer des stolzen, wehrhaften Mädchens berührt und nicht eigentlich zur Kirche heimgekehrt,

aber Gott allein weiß, was der allerletzte Gedanke des Sterbenden gewesen ist und was sein letztes Wort wiegt „Die Waxenbergerin“ erschien erstmals vor 16 Jahren. In die Welt der gnadenlos-gnadenvollen Türkenzeit nun einmal versenkt, spann die betagte Dichterin den roten Faden weiter und arbeitete in ungebrochener Schaffenskraft die folgenden sieben Jahre lang an der großen Reich-ard-Trilogie, von der erst jetzt, durch Zeitumstände verschuldet, der dritte und letzte Teil des imposanten Romanwerkes als in sich abgeschlossener Band ** vorliegt.

Die Zeit ist um acht Jahre nach der Befreiung Wiens aus der Belagerungsnot vorgerückt, doch die ersehnte Beruhigung der aufgewühlten Welt ist ausgeblieben. Das Buch beginnt mit der Werbung Graf Reichards, des Sohnes Ernest Rüdiger von Starhembergs, für die christliche Streitmacht unter Ludwig von Baden und endet mit dem denkwürdigen Sieg über dieOsma-nen bei Szalankamen am 29. August 1691. Von dem historischen Hintergrund heben sich drei Gegenspiele ab: des erprobten, bedachten, ergrauten Vaters und des blonden, stürmenden, drängenden, vom Volk vergötterten Sohnes; der heilige Zorn des jungen Grafen gegen den vom Vater so geachteten Osmanenfeldherrn Achmed Köprülü; und schließlich das tragisch-romanzenhafte Rand-Spiel Graf Reichard — Cornelia de Vry, die kaum 15jährige liebende und hassende Hugenottentochter und Kalvintsch-Abtrünnige — ein Gegenspiel, das erst nach dem Tode des ihr auf seltsame Weise verlobten Reichard eine versöhnliche Lösung findet. Mit unerbittlicher Wucht geraten die vom Schicksal vorwärtsgestoßenen, aber auch persönlich mit Schuld und Irrtum be-ladenen Gegner aufeinander, keines der drei Dramen löst sich nach außen hin früher als mit dem Tode wenigstens eines der Akteure — und doch führen von hüben nach drüben heimliche Brücken ritterlicher Achtung, geistig-menschlichen Verstehens, väterlich-mütterlichen Verzeihens und schicksalhafter Geschlechterliebe, heilige, unergründliche Bande zwischen den Getrenntesten und Entfremdetsten. Den ergreifendsten Ausdruck — vielleicht im ganzen Lebenswerk der Dichterin — findet dieses Bekenntnis zur Feindesliebe in der nahezu unirdischen Begegnung des alten Grafen Starhemberg mit der Mutter des gefallenen Köprülü an der Bahre ihrer beider einzigen Söhne auf dem Türkenschiff am Eisernen Tor.

„Sie legte den Finger auf den verhüllten Mund, deutete mit dem elfenbeinweißen Finger auf den jungen Toten und hin, wo ihr Sohn lag, und sprach kein Wort. Und der Feldherr neigte sich abermals vor ihr wie vor der durchlauchtigsten Frau des Hauses Habsburg. Sie aber kniete nieder und begann zu beten.“

Damit krönt die Autorin der „Waxenbergerin“ und des „Graf Reichard“ ein dichterisches Lebenswerk von einzigartiger Kraft und Fülle. Beide Romane bewegen sich gestaltlich und formal auf voller Höhe früherer Handel-Mazzettischer Meisterwerke, und nur die letzthin vollendete, tief beruhigte Synthese der geistigen' Gegensätze und Spannungen lassen das milde, weise Alter der Verfasserin erkennen. In der Wucht der Visionen (des Wien der Türkennot in der „Waxenbergerin“ wie der großartig abrollenden, vom Kampfruf der Kaiserlichen „Jesus, Maria, Patria!“ erfüllten Bilder der Schlacht von Szalankamen im „Graf Reichard“) und in der reich instrumentierten Sprache (in welcher französische Eleganz mit dem herzhaften Humor der oberösterreichischen Mundart reizvoll zur makellosen Eigensprache der Erzählerin kontrastieren) erreichen die letzten beiden Werke der Jubilarin eine staunen- und achtunggebietende Höhe.

Ihre Botschaft: der mahnende Untergang der Hassenden und der Sieg der reinen Herzen, der Auftrag der Achtzigjährigen an das Geschlecht von heute und morgen: den „anderen“ zu gewinnen, nicht zu vernichten, den Gegner nicht zu bekämpfen, ohne ihn zugleich zu achten, zu verstehen, ja zu lieben, kann nicht un-gehört bleiben, wenn diese Welt bestehen soll.

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