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Der, die, das Moderne

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„Modern“ ist heute der am meisten mißverstandene Begriff. Der Moderne, d i e Moderne, d as Moderne — wir können jeden der drei Artikel verwenden, und schon diese Geschlechtslosigkeit ist irgendwie disqualifizierend; denn eine sprachliche Unklarheit deutet meistens auch auf eine Verwirrung der Begriffe hin.

Im gegenwärtigen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung „modern“ keine Begriffsbestimmung, sondern eine schlechte Gewohnheit. Im etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache aus dem Jahre 1899 findet sich der Ausdruck überhaupt noch nicht. Im Duden steht neben „modern“: modisch, der Mode entsprechend; neu-(zeitlich), im neuesten Geschmack gehalten. Diese Ableitung vom Begriff „Mode“ ist es aber gerade, die wir auf viele mit dem Ausdruck „modern“ bezeichnete Erscheinungen nicht angewendet wissen wollen.

Auf dem Gebiet der Architektur oder Formgebung von „modern“ zu sprechen, muß uns besonders „verdächtig“ erscheinen. Ein Bauwerk, ein Gerät, das mehreren Generationen dienen soll, muß nicht „modern“ gebaut sein, sondern es muß seinem Zweck entsprechen. Damit wird es ganz von selbst den Anforderungen der Zeit gerecht, aber darüber hinaus auch schön sein.

Das nur „Moderne“ wird in Kürze unbrauchbar und häßlich. Wir finden dies bei vielen alten Bauten bestätigt. Architekturwerte bedeuten immer große Geldinvestitionen, also Anlagewerte, die natürlich nicht in kurzer Zeit außer Kurs gesetzt werden können. Man verlange also nicht, daß man „modern“ — im Sinne von „modisch“ — baue, und man hüte sich davor, unüberlegt ein Bauwerk als' „modern“ zu bezeichnen, weil es der Mode entspricht. Halten wir uns nur vor Augen, daß eine Architektur, die man vor etwa 30 Jahren als „modern“ bezeichnete, es heute nicht mehr ist. Ueber ihren Wert ist damit allein noch nichts ausgesagt. War sie modern im Sinne des damaligen Zeitgeschmackes, und sonst nichts, wird sie heute bestenfalls nur noch historischen Wert haben. War sie aber zeitnahe und brachte damit etwas Neues — nehmen wir das Loos-Haus in Wien als Beispiel —, werden sich die in diesem Werk ausgedrückten überzeitlichen Werte auch heute noch bewähren.

Häufig ist ein gewisse/ Abstand von der unmittelbaren Aktualität, also von dem, was man zu einer gewissen Zeit „modern“ nannte, sogar notwendig, um diese überzeitlichen Werte hervortreten zu lassen, wenn auch das Produkt einer gewissen Epoche niemals ganz von dieser und ihren Gesetzen losgelöst betrachtet werden kann. Die Mentalität, die die großen Barockpaläste hervorbrachte, ist eine andere als die, der wir die Gemeindewohnbauten verdanken; rückschauend wird es aber leicht, bei beiden das Wesentliche, nämlich die Entsprechung zum jeweiligen Zweck, herauszusehen.

Wahrscheinlich war es der übertriebene und in früheren Zeiten völlig unbekannte Histori-zismus um die Jahrhundertwende, der als — an sich durchaus verständliche — Reaktion die Betonung des „Modernen“ hervorgerufen hat. Zur Zeit des Barocks fand man gotische Bauwerke allgemein scheußlich und lehnte sie einfach ab. In dieser Zeit fiel die herrschende Mode allerdings aher auch mit den starken stilbildenden Kräften der Gegenwart zusammen, die ein Gegengewicht für Vergangenes bildeten. Erst die tiefe innere LInsicherheit des 19. Jahrhunderts brachte eine intensive Beschäftigung und als Folge eine undifferenzierte Wertschätzung aller Stilarten der Vergangenheit. Als man das satt hatte, wollte man um jeden Preis den der Zeit entsprechenden Stil finden, man wollte „modern“ sein, und man vergaß darüber oft den Zweck. Vollkommen ist diese Einstellung bis heute noch nicht überwunden, aber man hat sie immerhin objektiv zu betrachten gelernt.

Hatte in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts der unglücklich gewählte Ausdruck „modern“ noch die Bedeutung einer Kampfansage gegen Unzeitgemäßes, kann man auf dieser Einstellung doch nicht für immer bestehen. Will heute ein Künstler bewußt etwas „Modernes“ schaffen, rennt er nicht nur offene Türen ein, sondern er spricht damit über sein eigenes Werk das Urteil. In wenigen Jahren wird anderes als 'modern gelten und seine Absicht wird nur ein gequältes, extrem sein wollendes Ergebnis bringen.

Dazu kommt, daß die Bezeichnung „modern“ auch immer mehr im kommerziellen Sinn als Anreiz zum Erwerb mit der Spekulation auf die

Freude am Neuen angewendet wird; zugleich ist mit diesem Standpunkt aber — ebenfalls aus kommerziellen Gründen — schon die Kurzlebigkeit angedeutet. Soll eine Produktion auf gleicher Höhe gehalten werden, muß immer wieder etwas Modernes gebracht werden, und in je kürzeren Abständen, desto besser. Darin liegt ja auch der Reiz und die Vergänglichkeit der Mode in der Kleidung. Gewiß kann man aus der Mode früherer Zeiten noch allgemeine kulturpolitische Zusammenhänge sehen, aber die, objektiven ästhetischen Werte sind nicht mehr diskutabel. Heute arbeiten — besonders in Amerika, wo das Produktions- wie auch das

Konsumationstempo gegenüber dem- unseren viel schneller ist — ganze Industrien bewußt mit dieser Kurzlebigkeit des Modernen. Es muß einfach alle paar Jahre ein neues „feature“, eine neue charakteristische Eigenschaft für ein bestimmtes Produkt, also etwa für ein Auto, gefunden werden, und da diese features meist willkürlich gewählt werden, weil einfach keine

Notwendigkeit dafür besteht, hat man. auch nicht viel Mühe, das Produkt bald als „obsolete“ zu bezeichnen, das heißt als veraltet — denn das ist es dann ganz von selbst gegen das neue Modell.

Es steht außer Zweifel, daß es in den verschiedenen Bereichen verschiedene Maßstäbe für den Begriff „modern“ gibt. Eine wertvolle Antiquität muß „aus der Zeit“ sein, ein nettes Möbelmodell modern. Außerdem gibt es gewisse Aenderungen, besonders auf Grund des raschen technischen Fortschrittes, die nach einiger Zeit den praktischen Wert eines Gegenstandes herabsetzen. Das sind aber Dinge, die mit „modern“ oder „unmodern“ nichts zu tun haben.

Verzichten wir also darauf, von moderner Kunst, Architektur oder Form zu sprechen. Lassen wir es ruhig darauf ankommen, bis die Zeit für oder gegen,ein Werk entscheidet. Schränken wir den Begriff „modern“ auf das Gebiet ein, wo er hingehört — auf die Mode —, und erleichtern wir der Oeffentlichkeit das Verständnis für zeitgemäßes Schaffen, „aus der Zeit“, dar durch, daß wir auf die bleibenden und ihm immanenten Werte hinweisen und diese für sich sprechen lassen. Und hüten wir uns vor allem, in unserer Arbeit auf die Bewertung „modern“ zu spekulieren, sondern nützen und ermutigen wir die schöpferischen Kräfte unserer Zeit, um Erlebtes zum Bleibenden für die zukünftige Vergangenheit zu gestalten.

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