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Deutschlands Schicksalsfrage

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DER KAISER IN HOLLAND. Band II: Monarchie und Nationalsozialismus, 1924—1911. Von Slfurd v. Lisemann. Herausgerebon Ton Harald von Koenlgswald. Biederstein- Verlag, München, 1968. 866 Selten, S Tafeln. DM 28.—.

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DER KAISER IN HOLLAND. Band II: Monarchie und Nationalsozialismus, 1924—1911. Von Slfurd v. Lisemann. Herausgerebon Ton Harald von Koenlgswald. Biederstein- Verlag, München, 1968. 866 Selten, S Tafeln. DM 28.—.

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Die Aufzeichnungen des letzten Flügeladjutanten Wilhelms II. mußten für den letzten Lebensabschnitt des Monarchen noch mehr als für den ersten Band auf das Wichtigste beschränkt werden. Das stellt der Herausgeber fest und erklärt, daß er vor allem die politischen Äußerungen Wilhelms und alles, was den Nationalsozialismus betrifft, hier abdruckt. Daran hat er sehr wohl getan und den Eindruck des ersten Bandes irr-wichtigen Dingen ‘richtige gestellt. " In der Schilderung- .der. ersten Exiljahre fühlt man zuweilen allzusehr die ganz verständliche Müdigkeit, Ungeduld, Gereiztheit, die den treuen Adjutanten eines nervösen, unbeherrschten Fürsten übermannten. Man sieht deutlich die Schattenseiten im Charakterbild Wilhelms II. Nun ist der österreichische Leser ohnedies gegen Wilhelm voreingenommen — und wir wollen nicht verbergen, daß Wilhelms hier gebrachte Aussprüche über Kaiser Karl ihn auch nicht sympathischer machen.

Indessen will ja der Geschichtsfreund zu einem treuen und sachlichen Bild kommen, und da ist der gegenwärtige Band von höchstem Wert. Gewiß, auch hier sehen wir an Wilhelm jene Züge, die häßlich oder doch für einen Regenten ungünstig oder auch einfach dem heutigen Durchschnittsmenschen unbegreiflich sind. Wir sehen abermals, wie doch dieser hochbegabte Mensch durch die Erziehung seines Alptraum-Pädagogen Hinzpeter rettungslos verkorkst, durch die ganze unnatürliche Atmosphäre des jungen Bismarcksehen Reichs verbildet, durch Niederlage und Exil überbelastet war; wir sehen einen unvernünftigen, egozentrischen, verstiegenen, zuweilen unerträglichen Herrn vor uns. Und doch geht aus diesem Band hervor, daß Wilhelm in Deutschlands Schicksalfrage richtig eingestellt war. Schon im Augenblick der Machtergreifung und bis über den Tod hinaus — damit meinen wir seine letztwilligen Anordnungen — war Wilhelm II. entschiedener Gegner Hitlers.

Diese Feststellung bedarf allerdings einer sorgsamen Darstellung, um jedem Beteiligten gerecht zu werden. Soviel ist wahr, soviel ist hier deutlich zu sehen: wenn Wilhelms Einstellung ein Verdienst war, dann war sie sein eigenstes Verdienst. Denn angefangen von der eigenen — zweiten — Frau sprachen von allen Seiten Leute auf ihn ein, er müsse mit Hitler gehen: so und nur so könne er wieder die Krone tragen. Vielen, die so redeten, würde man schweres Unrecht tun, wenn man sie bewußten Helfershelfern der späteren Geschehnisse zurechnete. Viele haben den besten Beweis gegeben, daß sie es ehrlich meinten mit Deutschland; angefangen vom Kronprinz, haben sie sich Hitlers Zorn zugezogen. Doch dem sei wie immer; nach einigen anfänglichen Versuchen war Wilhelm endgültig gegen Hitler und alle seine Werke und alle seine Hoffart eingestellt.

Man mag einwenden, daß er dies aus dem unrichtigen Grund tat, nämlich deswegen, weil ihn Hitler nicht auf den Thron bringen wollte was man Hitler kaum übelnehmen kann. In der Tat war Wilhelms Einstellung in der Legitimitätsfrage unbegründet, ja unverzeihlich. Einen unzweideutigen Thronverzicht unterschreiben und dann Offiziersernennungen vornehmen (!) und den Thron, als ein Recht, zurückfordern das geht nicht; hätte Wilhelm sonst nichts gegen Hitler gehabt als daß er Ihn nicht inthronisierte, ‘ danrr’wSre seihe ‘ Gegnerschaft kein sondert!eher: Ruhmestitel.’ Doch erstens war Hitlers Benehmen in der Kaiserfrage eben doch ein übles Symptom seiner gänzlichen Treulosigkeit, denn es ist ja nicht so, daß er Wilhelms Pläne immer und deutlich abgelehnt hätte — ganz im Gegenteil. Einen solchen Lügenbold zu bekämpfen, war also schon an sich in Ordnung. Aber dazu kam ja vieles andere. Nicht zuletzt die Judenverfolgung (Kristallnacht); Wilhelm hatte es ja gerade in der Judenfrage den Völkischen niemals rechtgemacht (daher der Tratsch vom jüdischen Coburgerblut weithin ver-: breitet wurde) und brauchte hier nur i sich selbst treu zu bleiben, i Im übrigen ist Ilsemanns Ge- • nauigkeit der beste Dienst, den er in punkto Hitler seinem Herrn erwei-sen konnte. Denn während sonst allzuoft das praktische Urteil des schlichten Adjutanten sich günstig [ von den Träumereien, ja Enormitä- l ten des hohen Herrn unterscheidet, i war in dieser Angelegenheit die ; historische Phantasie Wilhelms den ; nüchternen Erwägungen des Tage- . buchschreibers deutlich überlegen. . Es sind manchmal erstaunlich tref- . fende Urteile, ja prophetische Aussagen, die Ilsamann, gar nicht im ! Tone völligen Einverständnisses, in . seine Niederschrift eingetragen hat.

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