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Um Recht und Unrecht

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Es kann Bücher geben, deren Interesse nicht so sehr in dem Inhalt selbst liegt, als in der ideengeschichtlichen Bedeutung, die dem Standpunkt des Verfassers zukommt. Ein solches Buch ist die Sammlung von Aufsätzen über die englische Geschichte, die ein seinerzeit aus Deutschland emigrierter, geistvoller Autor auf seine alten Tage veröffentlicht. Peter de Mendelssohn ist ein Liberaler, für den die englische Verfassung — wie sie bis vor kurzem dastand — so ziemlich das Meisterwerk des menschlichen Geistes darstellt. Was zu ihr hinführte, das war wohlgetan.

Er weiß genug, um auch zu wissen, daß die Vertreter der katholischen Sache — etwa das Königspaar Marie und Philipp — gewissenhafte Menschen waren. Aber das Gewissen, das er zum Thema seiner Schrift macht, ist doch das puritanische Gewissen Oliver Cromwells. Er weiß sehr wohl, daß man die Führerstaaten Cromwells und Hitlers verglichen hat; er weiß es, und er meldet es mit Entrüstung. Denn wie? War etwa Cromwells Tätigkeit nicht von-nöten, auf daß der Parlamentarismus komme? Und ist es nicht selbstverständlich, daß sich Elisabeth I. gegen die Katholiken wehren durfte, deren Papst sie abgesetzt hatte?

Die gleichen Freisinnigen waren vor unseren Augen befremdet und betrübt, als Pius XII. keine Bulle „Regnans in excelsis“ erließ. Freilich — auch ohne eine Bulle seines Stellvertreters wußte ER — regnans in exelsis — Hitler niederzuwerfen.

DAS GEWISSEN UND DIE MACHT. Ein englisches Zwiegespräch. Von Peter de Mendelssohn. München, Prestel-V erlag, 1971. 368 Seiten, sechs farbige, 20 einfarbige Tafeln.

Nachdem wir über den ersten Band der Erinnerungen berichtet haben, den die Herzogin-Mutter von Braoinschweig herausgegeben hat, wollen wir auch den zweiten besprechen, obwohl er schon längere Zeit vorliegt. Die zwei Bände sind durch die geschilderte Zeit unterschieden. Im ersten Band schreibt die Tochter Wilhelms II. über ihr ganzes Leben, vor und nach dem ersten Weltkrieg und dem Umsturz; im zweiten Band beschränkt sie sich auf die Zeit vor 1914.

Es ist längst gesagt worden, daß, wäre Wilhelm II. gleich nach den Feiern des Viertel Jahrhunderts seit seiner Thronbesteigung gestorben, er in die deutsche Geschichte als einer der glücklichsten Monarchen eingegangen wäre — trotz der großen Krisen um Bismarcks Sturz und um das „Daily-Telegraph“-Interview. Den Frieden, und welch glanzvollen Frieden! hatte er Deutschland durch ein Vierteljahrhundert bewahrt; als er im nächsten Jahr doch in den Krieg geriet und im Jahre 1918 gestürzt wurde, folgte kein Vierteljahrhundert des Friedens ... Sagen wir es offen, in diesem Band wird anschaulich alles gezeigt, was an Wilhelm II. zu loben war. Er tat viel, um die durch Bismarcks Kulturkampf verwundeten deutschen Katholiken zu versöhnen; und obwohl er ja bekanntlich — eben unter Bismarcks Einfluß — zu seinem Vater in betrüblichen Gegensatz kam, tat er doch mehr, als man gemeinhin bemerkt, um den rechtlichen Gesinnungen Friedrichs III. zu folgen.

Der/interessanteste Teil des Buchs ist nämlich wohl die Schilderung, wie gerade die revolutionären Taten Bismarcks auf Ablehnung im eigenen Königshaus stießen. Es war Wilhelm I. seihst, der den treuen Hannoveranern mit ausdrücklichen Worten sagte, er würde sie weniger achten, wenn sie nicht zu König Georg V. hielten; es war sein Sohn, der sich über Bismarcks Ausschaltung des rechtmäßigen Herzogs Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein entrüstete; es war Wilhelm II., der für seinen künftigen Schwiegersohn die Thronfolge wenigstens in Braunschweig gegen manchen Widerstand — auch den des eigenen allzu forschen Sohnes durchsetzte. Der gewissenhafte Geschichtsfreund ist durchaus verpflichtet, den preußischen Königen dieses „Video meliora proboque“ anzurechnen. Dem österreichischen Leser ist es auch dann noch klar, warum es unmöglich war, daß sich Berlin hätte auf die Dauer Kaiserstadt nennen können ...

Es versteht sich, daß auch auf Deutschlands Nachbarländer, nicht zuletzt eben auf Österreich, manch interessanter Ausblick in dem liebenswürdigen Buch geboten wird.

IM GLANZ DER KRONE. Von Herzogin Viktoria Luise. Göttinger Verlagsanstalt. 376 Seiten, 60 Abbildungen.

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