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Die Preisträger von Weitnau

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In dem weltabgelegenen Dörfchen Weitnau im Allgäu, an der Strecke zwischen Kempten und Isny, trafen ungefähr sechsundzwanzig junge Schriftsteller und Dichter zu einer Arbeitstagung zusammen, die unter dem Vorsitz des deutschen Publizisten und Rundfunkautors J. M. Hönscheid, Stuttgart, und Franz Peter Künzel, Weitnau, stand. Der Zweck dieser Tagung war die Fühlungnahme der einzelnen Vertreter der drei Länder Deutschland, Österreich und Schweiz, die leider nur durch einen einzigen Abgesandten, den Lyriker und Erzähler Siegfried Einstein, repräsentiert wurde, um ihre technischen Erfahrungen auszutauschen und gleichzeitig von ihrem Schaffen Zeugnis zu geben. Erfahrungsaustausch und gegenseitige kritische Beurteilung sind ja das Hauptanliegen dieser „gruppe junger autorėm“, die sich im Jahre 1950 gebildet hat. Im Gegensatz zu der „Gruppe 47“, die heute schon zu einer Gemeinschaft der „Arrivierten“ geworden ist, handelt es sich bei dieser Arbeitsgemeinschaft tatsächlich um junge, noch werdende Dichter und Schriftsteller. Stand über dem geistigen Programm der „Gruppe 47" vielleicht allzusehr das Diktat der mitleidlosen Auseinandersetzung mit den dunklen Mächten dieser Zeit, neigten ihre Vertreter mehr dazu, ihr Schaffen etwa nach den Leitlinien Gottfried Benns oder Elans Werner Richters auszurichten, so darf man von dieser jungen Autorengruppe schon heute sagen, daß sie aus ihrem Schaffenskreis bei aller Kenntnisnahme des Übels dieser Welt doch nicht das Licht der Hoffnung verbannt habe.

Die Gruppe fühlte sich in diesem Jahre bei ihrer vierten Arbeitstagung schon so stark, daß sie es wagte, einen Lyrik- und Erzählerpreis auszuschreiben. Den Lyrikpreis stifteten die Österreicher, der Erzählerpreis wurde aus Mitteln der Gruppe aufgebracht. In .diesem geistigen Wettkampf, der nun auf der Weitnauer Tagung anhob, lernte man starke individuelle Begabungen kennen, die zu der Hoffnung berechtigen, daß das deutsche Schrifttum in den drei Ländern einer neuen Blüte entgegengeht. Den Lyrikpreis erhielt der Mainzer Wolfgang Lohmeyer für die Proben aus seinem Epos in Gedichten „Zweibein und die Elemente". Sein Epos zeigte überraschenderweise in der Grundkonzeption der Auseinandersetzung mit den furchtbaren Mächten der Vergangenheit frappante Ähnlichkeiten mit dem „Turm der Welt" von Rudolf Henz. Das Feuer eines leidenschaftlichen Intellekts, das in diesem Dichter lodert, wird von ihm in die harte Zucht der Form genommen, und bei aller Schärfe der Aussagen spürt man auch das lebendig schlagende, liebende Herz.

So kam es, daß ihm mit Recht vor dem Österreicher Hans Friedrich Kühn eit der Lyrikpreis von Weitnau zuerkannt wurde, obwohl vielleicht die Verse des Dramatikers Kühnelt den Anforderungen des „reinen" Gedichtes mehr entsprochen hätten. Die an die Preisverteilung anschließende Diskussion um das Wesen einer modernen Lyrik zeigte sehr aufschlußreich die geistige Situation, in der sich der Schriftsteller heute befindet. Das reine, gnadenhaft geschenkte Gedicht scheint der jungen Generation noch nicht geschenkt zu sein, weil sie zunächst einmal versuchen muß, sich und die Welt neu zu begreifen.

Eine weitaus größere Anzahl, ja man kann sagen eine Fülle von reifen Leistungen brachte der Prosawettbewerb, so daß die Zuerkennung des Preises außerordentlich schwierig war. Die künstlerisch reifste Leistung bot der Oberbayer Hans H e r 1 i n, trotzdem waren in der Spitzenguppe die Österreicher Othmar Franz Lang und Marlen Haushofer weitaus führend, so daß schließlich der Preis der Erzählung „Wo sind die Brücken?" von Othmar Franz Lang zuerkannt wurde. Es mag wohl der schlichte Herzenston, der für die österreichischen Delegierten kennzeichnend war, gewesen sein, der dieses Urteil bewirkte. Lang ist durch viele Dunkelheiten und Beschwernisse hindurchgegangen. Das Dunkle in seinem Leben scheint aber die Helle in seinem Herzen um so mehr entfacht haben. Von einer unbestechlichen Ehrlichkeit gegenüber den Realitäten, von einer Schlichtheit der Aussage zeugt jede Zeile seiner Skizzen und Erzählungen, zeugt nicht zuletzt der Anruf seines preisgekrönten Katholikentagshörspiels „Ich klopfe auch an deine Tür". Als echter Österreicher sucht Lang den menschlichen Menschen und klopft in schlichter Demut an die Türen unserer verhärteten Herzen. Das war auch in Weitnau zu verspüren.

Trotzdem muß gesagt werden, daß auch die Leistungen etwa des Österreichers Jan Tau- sc h i n s k i, des Schweizers Siegfried Einstein, der Deutschen Otto Heinrich K ü hj ner, Josef Reding, Eugen Stotz und wiederum Wolfgang Lohmeyers eine Auszeichnung verdient hätten.

Mit einer schönen Geste hat der Österreicher Lang auf die Annahme des Preises zugunsten der kulturellen Aufgaben der Gruppe verzichtet. Als die Tagung zu Ende war, waren neue geistige Bande geknüpft worden; vielleicht auch die Keime zu echten Freundschaften in die Herzen gesenkt, und über allen strahlte der Stern, der über dieser „gruppe junger autoren“ waltet: Hoffnung.

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