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Sterbende Hippieromantik?

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Verzichte auf Distanz und lies, dieses auch für andere Hervorbringungen immer zu empfehlende Motto stellt Rolf Ulrich Kaiser seiner Pop-Doku-mcntation voran, man tut es also, ohne aber verhindern zu können, daß man bei der Reise durcji der Welt aufregendste Pop-Zentren von Amsterdam bjs San Franzisco von jenem Gefühl ergriffen wird, das man Staunen nennt. Underground, nein, Pop? noch viel weniger, das Zauberwort heißt Gegenkultur.

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Verzichte auf Distanz und lies, dieses auch für andere Hervorbringungen immer zu empfehlende Motto stellt Rolf Ulrich Kaiser seiner Pop-Doku-mcntation voran, man tut es also, ohne aber verhindern zu können, daß man bei der Reise durcji der Welt aufregendste Pop-Zentren von Amsterdam bjs San Franzisco von jenem Gefühl ergriffen wird, das man Staunen nennt. Underground, nein, Pop? noch viel weniger, das Zauberwort heißt Gegenkultur.

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Ohne Kultur also geht es nicht so ganz, der Begriff scheint noch brauchbar, noch nicht genug zerfetzt. Wie soll man jetzt noch herausfinden, wer tatsächlich Kultur hat, repräsentiert, besitzt, verteilt, wie soll man ihre Entlarvung genug aussichtsreich betreiben, wenn wie der Revolution die Diktatur der Kultur die Gegenkultur auf dem Fuß folgt? Vielleicht wäre es besser, diesen Begriff nicht zu sehr zu strapazieren, auch nicht als Gegenbegriff, es wurde schon zu sehr Schindluder damit getrieben. Ist Kultur eine Frage des Bartes, langer Haare und einer Trommel, ist Kultur eine Frage von Institutionen, Apparaten? Fürchterlich wenn man entdecken könnte: weder, noch. Nun, Rudolf Ulrich Kaiser liefert mit diesem Buch keinerlei Tendenz, er will informieren über das Leben der, hinzugefügt sei „sogenannten“, Gegenkultur, er vermittelt Fakten, Daten, Interviews unter anderem auch mit Österreichs preisdoktoriertem trommelnden Hippie-Star Schwend-ter (DDDr.), ein beachtlicher Beitrag der Alpenrepublik an die große Sache.

Mit Spannung jedenfalls verfolgt man die Internationalität und Gleichzeitigkeit einer Bewegung, deren Motive und Wurzeln, selbst dort wo dreifache Doktoren an einem Provo-Latein basteln, einer Formulierung beharrlich widerstehen. Es hat sich ja gezeigt, daß selbst die gescheitesten Leute, die dieses Jahrhundert hervorgebracht hat, nämlich die Soziologen und Psychologen, kaum genügend erklären können, was hier vorgeht, und die Möglichkeit, zu verstehen, wäre ja eine Voraussetzungen zur Beseitigung der wohl bittersten Seite aller Hippieromantik: des LSD. Was hier alles zusammentrifft, Liebe, Eskapismus, Ferner Osten, Meditation, Rausch, Musik, Sex steht in krassem Gegensatz zur Forderung der Institutionalisierung, dem neuen Schlachtruf, mit dem man die Hippieromantik auslöschen oder kanalisieren will. Trotzdem könnte die Politisierung dieser Bewegung eine interessante Aufgabe für radikale Gruppen wie etwa den deutschen SDS werden. Holländische Flugschriften „Bakunin is back in town“ zeigen, daß auf diesem Gebiet gearbeitet wird. Wenn man auch in Amsterdam gelernt hat, radikale Gruppierungen in staatlich geförderten Hippiezentren wie „Fantasio“. kultiviert, wird man auch hier den Verdacht nicht los, daß der Traum von einer neuen Gesellschaft, den die Ghost Writer sehr zielbewußt träumen, sich niemals auf die Clubräume des Fantasio bezogen hat. Wer an Zahlen und Daten interes-

siert ist, wird überrascht sein angesichts der Zahl und Auflagenstärke der Underground-Zeitungen. Ein besonderes Lob gebührt der graphischen Gestaltung dieses Buches. Diese und der informative Wert machen es zu einer der interessantesten Neuerscheinungen.

UNDERGROUND? POP? NEIN! GEGENKULTUR! von Rolf Ulrich Kaiser Layout Reinhard Hippen Verlag Kiepenheuer & W. lisch, 324 Seiten .DM 13,50

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