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VON NEUEN BÜCHERN

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Verehrter lieber Freund! Ich finde es an der Zeit, daß zu Ihrem 80. Geburtstag endlich ihr großes Verdienst um die deutsche Thomas-Bewegung der Öffentlichkeit kundgetan wird. Niemand weiß, daß Sie jener sprachgewaltige Ubersetzer der Thomas-Epitome in der Kröner-Sammlung sind, für die unser gemeinsamer Freund Joseph Bernhart die Auswahl getroffen hat und für die er zeichnete, weil Sie selber durch die schwere Behinderung durch den Nazismus nicht für ihr großes Werk als Ubersetzer zeichnen konnten. Aber jetzt darf man es wohl sagen, und ich rechne bestimmt mit Ihrem Einverständnis, wenn ich nunmehr Ihre Anonymität preisgebe.

Ich bin ja auch in diese Sache verwickelt. Wissen Sie noch, wie wir in Stuttgart zusammensaßen, Sie, Paul Simon und ich, um wieder einmal mit Hilfe eines ahnungslosen Verlegers, diesmal Filsers, den unerläßlichen Plan einer Sammlung der Klassiker der christlichen Philosophie zu beraten? Bei mir war es schon das drittemal vergeblich. Aber ich werde doch noch einen vierten Versuch machen und sicher nochmals scheitern. Aber Sie haben gehandelt. Ich sagte Ihnen bloß, daß nun ausgerechnet in Stuttgart jene mittelhochdeutsche Übersetzung von Thomas-Quästionen liege, die nun Josef Koch ziemlich sicher als eine ursprüngliche Übersetzung Meister Eckharts selbst erkannt hat. Natürlich hatte ich längst wegen der großen Bedeutung für die deutsche Thomas-Ubersetzung einen lateinisch und deutschen Glossar dieser Handschrift anfertigen lassen, von dem leider die offiziellen deutschen Thomas-Übersetzer des deutschen Akademikerverbandes keinen Gebrauch gemacht haben. Ich bin dann dafür in Rom von dem flämischen Thomas-Ubersetzer beschimpft worden, weil ich es nicht verhindert hätte, daß man ein so großes Werk ohne die vorherige Einigung über die Terminologie unternehme. Sie aber haben gehandelt. Durch Ihre riesige Arbeitslast zugunsten des Volksvereins für das katholische Deutschland an Kummer gewöhnt, haben Sie an Hand der mittelhochdeutschen Thomas-Übersetzung einen deutschen Thomas geschaffen, der aus dem ursprünglichen Spradiempfinden heraus die ganze klassische philosophische Terminologie der Griechen, und Römer auf die anschauliche Grundlage der Sprache zurückgeführt hat. Genau das hatte ja Eckhart vorbildlich für Sie getan. Und er wenigstens gilt als der Schöpfer der deutschen philosophischen Kunstsprache. Hier in Wien ist daran zu erinnern, daß Karl Eugen Neurhann in der Kenntnis dieser Sachverhalte seine großartige Buddha-Übersetzung geschaffen hat. Als Ihr Thomas herauskam, begann sofort der Streit der Philologen, ob man in • unmittelbarem Sprachempfinden so hochabstrakte Dinge wie „Substanz“ mit „Selbsltrage“ oder „Selbststand“ übersetzen dürfe, was sie doch eben hießen Ich muß gestehen, auch mir wurde bei manchen Übersetzungen schwül. Warum haben Sie nicht „Zufall“ statt „Beischaft“ für „accidens“, was es doch wirklich heißt, gesagt? Aber ich behielt nie in unserem Streit mit Ihnen recht, denn Sie hatten unvergleichlich richtige Prägungen, über die sich verschleifende Logik der Sprache selbst hinaus. „Einsichtig“ ist natürlich die Ubersetzung von

„intellektiv“. aber „einsichtlich“ ist das „in-tellegibile“ nach allen grammatischen Regeln der Suffixe. Ich bin überzeugt, daß niemand sich das logisch richtig klargemacht hat, aber Ihr „einsichtlich“, über das sich die Leute so aufgeregt haben, setzt sich doch nach dem natürlichen Sprachempfinden durch. Lassen wir diese Scherze. Es gibt Ihren deutschen Thomas, den jedermann lesen kann, der sich die Mühe nimmt, langsam Satz für Satz einem Gedankengang zu folgen, der vollkommen korrekt den hohen klassischen Gedankenflug des Aquinaten wiedergibt, ohne daß er vorher ein ganzes philosophisches Jahr hindurch die Unterschiede von potenlia und actus, von erster und zweiter Substanz und noch einiger fünfzig anderer Termini gelernt hat

Der Streit der Philologen um Ihre Übersetzung und die schlechte Presse, die Sie gerade auch auf katholischer Seite dafür gehabt haben, hat nicht verhindert, daß Ihr Thomas gerade in der Zeit des aufsteigenden Nazismus — 1934 ist er erschienen, als Eckhart noch Mode war — im außerkathoHsdien Kreise eine Unzahl von Lesern gefunden hat, die damit gefeit waren gegen dsn Nordismusschwindel eines pantheistischen Eckhart. Hier in Wien möchte ich bloß einen Ihrer Leser nennen: den einstigen österreichischen Finanzmmister und schließlich großen amerikanischen Nationalökonomen Josef Schum-peter, der vor seinem Tode Ihren Thomas auf dem Nachttisch liegen hatte.

Aber sehen wir von der Wirkung ab. Sie haben Ihre Freude gehabt daran, daß Sie in zwar unendlich mühseliger Arbeit alle diese großen Sätze der klassischen katholischen Philosophie und Theologie In exakter Urh-prägung aus unmittelbarem Sprachempfinden und geradezu sinnlicher Anschauung dei geistigen Bezüge umgeprägt haben. Wer wirklich übersetzen kann, weiß, was das für eine Freude ist, wenn man so in allerbester Gesellschalt mitreden darf mit den ganz Großen. Schwere Prüfungen Ihres Lebens sind durch diese Freude überhöht und verklärt worden. Und das Werk bleibt.

Wenn erst einmal, vielleicht in einem Jahrzehnt, dei ganze lateinische Eckhart deutsch vorliegt, dann werden auch wieder weitere Bildungski eise den Zugang zu dieser Welt des hohen Geistes finden und von der Eckhart-Lektüre auch zum wirklich eindringlichen Lesen Ihre* Thomas getrieben werden, und dann auch nach Ihnen die große Freude erleben, im schlichten Nachvollzug der Einsicht in hohe Wahrheiten, die nach Aristoteles eigentlich menschliche Freude, die Freude der Wahrheitserkenntnis.

Lieber Hohn, Jetzt sind Sie achtzig Jahre. Mit Huer unverwüstlichen Gesundheit werden Sie bestimmt dieses Jahrzehnt noch überleben und vielleicht noch ganz spät die Breitenwirkung Ihres großen Werkes erfahren. Recht frohe Wünsche Ihr

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