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Zur Krise des religiösen Gesprächs

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Eines der aus der Not letzter seelischer Entscheidungen geborenen und darum notwendigen Bücher, die, seelsorglich gesehen, in den letzten Jahren erschienen sind. Der Mensch um uns wird von Fragen und Problemen bedrängt, und er hört keine Antwort, weil Frage und Antwort im Schweigen untergehen. „Neben schweigenden Menschen leben zu müssen, muß zur Qual werden." Diese Qual hat der Autor offenkundig erlitten. Darum sucht er einen Ausweg. In acht Gesprächen zwischen typischen Vertretern gegenwärtiger Geisteshaltung wird das Schweigen durchbrochen. Die Dialogführung ist großartig. Die Charakterzeichnung verrät den kundigen Menschenkenner. „Wer sich um das religiöse Gespräch bemühen will, muß in der Charakterkunde gut bewandert sein“ (S. 34). Liener scheut sich nicht, auch Probleme anzuschneiden, die, aus taktischen Gründen oder solchen erzieherischer Rücksicht, im Schweigen ersticken, und die von ihnen bedrängten Seelen mit ihnen. Begreiflich, daß eigene Begegnungen des Autors mit Personen Frage und Antwort stark bestimmen: der ehemalige Regens und der

Spiritual im Priesterseminar, der Pastoralprofessor, Mitschüler, auch Zeitgenossen wie Diego Götz (S. 81 ff.), sprechen mit. Sittliche Probleme, die so wesentlich die Glaubensentscheidung mitreißen, kommen nicht zum Wort. Glaubensfragen — wie soll es anders sein? —, soweit sie der Verfasser oder seine geistigen Nachbarn selbst gestellt haben. Die Klärung wächst in Rede und Antwort von Menschen, die augenscheinlich alle gelebt haben und noch leben: da ist der sich selbst Treue, Zurückhaltende; sein Wesen bestimmt, so scheint es, die Ehrfurcht, die Freiheit, und ist in Wirklichkeit die Entscheidungsscheu. Seine „Religion“ ist wortlose Andacht mit und vor sich selber, vornehmes Schweigen, eine Haltung, die unter Akademikern nicht selten ist. Und vielen ihrer Schüler zum Verhägnis wird. „Ihr vornehmes Schweigen gilt als maßgebendes Urteil, zu dem sie durch ihre Einsicht und Wahrheit gezwungen sind. Aber gerade dadurch werden sie zum Todeszentrum des Volkes, in dessen Mitte sie leben“ (S. 10). Aus dieser Haltung gibt es nur den Weg, den von der Verantwortung für die Mitwelt. — Da ist der Fach mann, dem in seinem wissenschaftlichen Bereich die Religion nicht abgeht. Religion ist ihm ein geschichtliches Phänomen, ein notwendiges. Den Kampf gegen sie lehnt er ab. Aus kulturellen Gründen und solchen der Höflichkeit. Da wieder gibt es ein Schweigen aus Rücksicht auf die Umwelt, hier eines aus Disziplin gegenüber der Partei. Einer erstickt am eigenen Schweigen, ein anderer verzweifelt, weil er das Wort nicht wagt und das Schweigen der anderen ihn erwürgt. Liener, den Psychologen, interessiert immer, wie diese Typen zu ihrer seelischen Gestalt gekommen sind. Da ist ein Advokat, der durch mehrere Kapitel in einer prächtigen Eindeutigkeit vorgestellt wird; er ist der Konservative, der starr Gläubige, ehemaliger Theologe, jetzt Rechtsanwalt und Vater dreier prächtiger Söhne. Nach vierzig Jahren erst trifft er einen Priester, Kollegen von ehedem. Und er befreit ihn aus seiner einseitigen theologischen Starre, die er für notwendig hält und die ihn doch bedrückt. Die Probleme Glaube und Denken, Glaubenssicherheit, Unsicherheit als Existential, Glaube aus Gehorsam und Glaube als ständige Aufgabe und Aneignung. „Der Advokat litt an der Ueberwertung des beharrlichen Seins und der Abneigung gegen die richtige Einschätzung des Werdens" (S. 57). Dieser Mann des Beharrens von seiner ganzen Erziehune her, und der Biologe, dessen Vater „beinahe ein Zvniker war“, finden einander zufälli? als Hörer bei Diego Götz. dem Mann „der ontologischen und psychologischen Gültigkeit des Wortes“. Es kommt zu einer Auseinandersetzung über die logische Nötigungsgewißheit nnd Glaubensgewißheit; über Wortmspiration und Quellentheorie der Bibelenzyklika Pius XII. — Im I. K pitel kommt im Anschluß an eine Gottesdienstübel“ tragung in einem geistlichen Krankenhau dl Glaubenshaltung einfacher Leute zum Wort: Religiosität von Mann und Frau, der Mission und ihrer Methode. „Zum Angriff und zur Eroberung ist da religiöse Gespräch immer verpflichtet, es darf sich nicht auf Abwehr und Verteidigung beschränken“ (S. 116). Im sechsten Gespräch wird der Wandel der Teilnahme am kirchlichen Leben im Dorf (vom Gewohnheitschristentum zur persönlichen Entscheidung) deutlich. Im siebenten die Einflüsse, die von der Philosophie „als ob", dem Pragmatismus, der Wertphilosophie (Religion als Lebenswert), vom Positivismus und Materialismus ausgehen. Schwierigkeiten. die von kirchlichen Zuständen und Gebeten kommen (Begräbnisritus!), bis die Tante den beiden nicht Schweifenden rät: Ueber Religion sollen wir mit Gott reden und sie nicht zur Problematik umfälschen. Das letzte Kapitel bringt in einer Auseinandersetzung zwischen Thomismus (Weg des Verstandes zu Gott) und Augustinismus (Intuition) die alte Weisheit, daß das jeden Frager und jeden schlicht Mitlebenden Ueberzeugendste die Begegnung mit einem Menschen ist, der voll und ganz aus dem Glauben lebt. — Niemand wird das Buch ohne große Bereicherung aus der Hand legen und es mit Vergnügen immer wieder zur Hand nehmen.

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