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Zwei Irrwege zweier Jahrhunderte

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Ganz konkret gesprochen bedeutet das, daß der rechtsorientierte kapitalistische Christ und der linksstehende marxisierende Christ in stets fortschreitendem Maße alle Mittel gutheißen, die der Erhaltung oder Aufrichtung dessen zu dienen scheinen, was er erstrebt: Dieser Prozeß beginnt bei einer kleinen Lüge, Bestechung oder Drohung, schreitet fort zur Verleumdung, der Propaganda und endet beim Attentat und Bürgerkrieg, der sich in der gegenwärtigen Situation zum Weltkrieg auszuweiten droht. Die Brücken zwischen beiden Gruppen werden abgebrochen. Die Grundursache dieser schwerwiegenden Entwicklung ist ein Mangel an Glauben. Glaubt man nicht mehr an die lebendige Gegenwart Gottes im anderen, sieht man in ihm nicht mehr den Menschen, der bekehrt und für das Gute gewonnen werden kann, dann bleibt am Ende konsequent nur der Krieg — und Christus leidet weiter in den Massen der Armen.

Dies ist die große Versuchung, der der aus den vergangenen Jahrhunderten stammende Rechtskatholizismus erlegen ist und der der Linkskatholizismus der Gegenwart verfällt. Beide können auf Grund ihres Gewaltglaubens und Materialismus dem Menschen nicht das geben, was er ersehnt. Der echte christliche Weg ist der unbeirrbare Glaube an die Umgestaltung aus der Macht der Liebe.

Revolution der Liebe

Jeder ernsthafte Christ erkennt die dringende Notwendigkeit einer tiefgreifenden Erneuerung von Christentum und Gesellschaftsordnung in Lateinamerika. Sie ist nicht aufzuhalten, sie ist schon im Gange. Worauf es ankommt, ist, daß wir Christen sie so rasch wie möglich mit christlichen Mitteln durchführen.

In fast jeder der mehreren hundert Diskussionen, die sich an unsere Vorträge anschlössen, wurde die Frage aufgeworfen: Wie können wir diese „Revolution der Liebe“ leben, verwirklichen?

Wir wollen versuchen, an Hand von zwei oder drei Beispielen, die wir selbst im Laufe unserer Reise erlebten zu zeigen, in welcher Richtung und aus welcher Glaubenshaltung wir die Möglichkeit einer echten Überwindung der schwierigen Situation Lateinamerikas sehen:

Zunächst spüren wir, daß unser christliches Wirken auf den Glauben an die absolute, göttliche Liebe aufbauen muß: Diese beinhaltet die Nächsten- und Feindesliebe sowie die Liebe der göttlichen Dreifaltigkeit, wie Christus sie uns geoffenbart und angeboten hat: Liebet einander, wie ich euch geunseres Seins und Lebens zur Uberwindung des Bösen in uns und in unserem Gegner, gleichgültig, wie mächtig das Übel, dem wir gegenüberstehen, auch sein mag. Denn die Liebesmacht Gottes in uns ist unüberwindlich. Sie ist stärker als jede dämonische Macht. Das Opfer ist mit ihr jedoch untrennbar verbunden. In ihr ist uns jeder Mensch, Freund oder Feind, Bruder in ganz konkretem Sinne. Unsere Aufgabe ist es. durch die Macht der Liebe Gottes das Böse im Gewissen unseres Gegners zu überwinden und ihn zur Mitarbeit am Wohle jener, die Unrecht leiden, zu gewinnen.

Durch diese Glaubenshaltung wird die Brücke zwischen Linker und Rechter, zwischen jenen, die einander in Freiheit gegenüberstehen, wiederhergestellt. Denn in dem Augenblick, wo wir an die Möglichkeit der Umkehr, der Bekehrung, glauben, beinhaltet unsere Arbeit für die Umkehr schon das Ziel, die Lösung; nämlich die Überwindung des Bösen im Gegner. Dieser schöpferische Kampf des Christen überwindet Haß, Feindschaft und Krieg und baut eine Grundlage für die Gerechtigkeit. Der wahrhafte Christ steht mit seinem Versöhnungsauftrag zwischen den Fronten der Rechten und Linken. Durch sein Handeln widerlegt er das Argument der Rechtsstehenden: „Es ist unmöglich, mit der Linken zu sprechen, ihre Anhänger sind Verräter“, so wie die Haltung der Linkskatholiken: „Mit der Rechten kann man nicht sprechen, sie wird uns nie verstehen, hier gibt es keine Hoffnung.“

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