Verschärfte Kinderrechte

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Man kann eine Verschärfung von Strafmaßnahmen für Sexualstraftäter erwägen, aber nur wenn vor allem in umfassende Prävention, die auch Täterarbeit einschließt, investiert wird.

Der Missbrauchs-Fall von Amstetten mache sprachlos, heißt es. All zu viele fanden aber recht schnell ihre Sprache wieder und hätten lieber noch eine Weile innehalten sollen, bevor sie lautstark loslegten. Wie etwa Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, dem der Ruf des Landes zur dringenden Sorge wurde. Oder jene Law-and-Order-Vertreter, angeführt vom BZÖ und der FPÖ, die, fast im Sinne einer Lynchjustiz, eine radikale Verschärfung des Strafrahmens für Sexualstraftäter fordern. Die ÖVP spricht sich ebenso für eine härtere Gangart aus. SP-Justizministerin Maria Berger ist aber Recht zu geben, wenn sie gegenüber dem ORF bekräftigt, dass eine Verschärfung der strafrechtlichen Maßnahmen zwar zu erwägen sei, aber kein "Allheilmittel" darstellen würde. Prävention sei das Gebot der Stunde. Bevor man bestehende Höchststrafen weiter erhöhe, werde geprüft, ob diese bereits ausgeschöpft würden. Tilgungsfristen sollten ebenso verdoppelt werden, Berufsverbote bei bedingter Freilassung ausgesprochen werden, auch im Freizeitbereich. So einige der Eckpunkte, die Berger im Gewaltschutzpaket umsetzen will.

Mit diesen Maßnahmen soll der Opferschutz gestärkt werden. Denn Opferschutz bedeutet auch Täterarbeit, und Hilfe für Opfer Täterprävention. Das bedeutet nicht, dass man irgendein Fünkchen Verständnis für die Tat aufbringt, gewiss nicht, sondern es wird der Grundsatz vorausgesetzt, dass auch ein Täter, so abscheulich seine Tat auch ist, ein Recht auf einen fairen Prozess und auf menschenwürdigen Umgang in einem Rechtsstaat haben muss, der Resozialisierung und Prävention zur Maxime erklärt und nicht von Rachegedanken und Wegsperren getrieben wird. Denn sonst wäre die Antwort des Justizsystems nur jene: Du kennst nur Gewalt, wir antworten mit deinen Mitteln.

Es muss für Täter langfristige Therapieangebote geben. Bei (bedingter) Freilassung muss es ausreichend Kontrolle und Betreuung geben. Für jene Menschen, die mit ihren Aggressionen und sexuellen Phantasien nicht mehr zurecht kommen und dies einsehen, was selten genug sein wird, soll es ebenso Möglichkeiten für Therapie geben. Das kostet und ist unpopulär, aber das muss es uns wert sein. Denn eines sollte uns bewusst sein: Jährlich werden ca. 600 Menschen, großteils Männer, wegen Sexualverbrechen verurteilt. Die Dunkelziffer ist um etliches höher. Härtere Strafen, Sexualstraftäterdateien und vor allem Lynchrhetorik schrecken solche Menschen kaum ab, ihr/ein Kind oder ihre/eine Frau zu misshandeln und zu missbrauchen. Die beschränkte Wirksamkeit der Abschreckungsthese müsste doch auch zu den heimischen Rechtspopulisten vorgedrungen sein. Wer nur auf dieser radikalen Schiene fährt, dreht ungewollt an der Gewaltspirale weiter. Aber genau diese Spirale muss durchbrochen werden, um langfristig Kinder vor ihren Eltern zu schützen, oder Erwachsene, die in Gewaltbeziehungen leben, voreinander. Der Fall Josef F. - und all die anderen ähnlichen Täter, auch im Rest der Welt - macht auf extreme Weise unsere Herrschaftsstrukturen und unseren Umgang mit Kindern und Schwächeren deutlich. Es muss umfassend dahingehend gearbeitet werden, dass Kinder nicht von Geburt an mit freundlichem bis gewalttätigem Drill umgeformt werden, sondern in ihren Bedürfnissen ernst genommen und als vollkommen gleichwertige Menschen anerkannt werden. In diesem Bereich ist schon einiges Positive geschehen, nicht genug. Hier liegt der Schlüssel.

Würde dies gelingen, könnte man zu hoffen wagen, dass immer mehr Kinder und Erwachsene ihre eigenen Grenzen spüren und damit auch jene der anderen; lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, auch ohne psychische Gewalt; Nein-Sagen können, und nicht damit als frech abgetan werden. Erwachsene würden dieses Nein auch hören und respektieren. Ein naiver Wunsch? Der einzige, der langfristig und nachhaltig etwas bringen könnte, wenn wir nicht länger zuschauen wollen, wie da draußen hinter oder vor Vorhängen Kindern eingebläut wird: Gehorche, sei still - oder es gibt was! Genau so eine Sprache verwenden auch jene, die nun nach härteren Strafen rufen, weil Strafen immer schon die scheinbar einzige Antwort war. Davon haben wir alle genug gehört.

regine.bogensberger@furche.at

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