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Alphabetisches Musee imaginaire

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Das bisher kühnste und aufwendigste Taschenbuchprojekt ist ein Erfolg geworden - mit den 8000 Exemplaren, die kürzlich nachgedruckt werden mußten, erreicht die dtv-Ausgabe des Kindlerschen Malerei-Lexikons eine Gesamtauflage von bereits 38.000 Exemplaren. Damit wurde jeder, der bisher daran gezweifelt haben mag, daß nicht gerade billige, aber noch erschwingliche Spezial-Nachschlagewerke eine breite Schicht von Menschen interessieren, eines Besseren belehrt.

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Das bisher kühnste und aufwendigste Taschenbuchprojekt ist ein Erfolg geworden - mit den 8000 Exemplaren, die kürzlich nachgedruckt werden mußten, erreicht die dtv-Ausgabe des Kindlerschen Malerei-Lexikons eine Gesamtauflage von bereits 38.000 Exemplaren. Damit wurde jeder, der bisher daran gezweifelt haben mag, daß nicht gerade billige, aber noch erschwingliche Spezial-Nachschlagewerke eine breite Schicht von Menschen interessieren, eines Besseren belehrt.

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Das Blättern in Kindlers Malerei-Lexikon ist wie ein Gang durch ein Musee Imaginaire, in dem jede übliche Kategorisierung aufgehoben ist. Auf den spätmittelalterlichen Hans Multscher folgt Münch, auf Rudolf von Alt Albrecht Altdorfer. Das ist aber nicht nur Folge der lexikalischen alphabetischen Reihung, sondern wird beim Blättern zum schöpferischen, weil alle zu engen Blickwinkel ununterbrochen durchbrechenden Prinzip. Der ganz besondere Reiz dieses Nachschlagewerkes ist die gegenseitige Durchdringung von alter und neuer Malerei, sind die unerwarteten Begegnungen etwa mit Domenico Beccafumi auf der Suche nach Beckmann oder mit den Vasenbildern des um 500 vor Christus in Athen lebenden Onesimos beim Blättern nach einer Information über Isaac Olivier.

Der wesentliche Gebrauchswert liegt natürlich in der handfesten Einzelinformation. So mancher, der sich das Kindlersche Malereilexikon jetzt zulegt (oder zum bevorstehenden Anlaß wünscht), wird es schon in Bibliotheken benützt haben, aber wie das ebenfalls von dtv in einer (25bändigen) Taschenbuchausgabe herausgebrachte Literaturlexikon von Kindler spielt auch dieses erst, wenn man es daheim hat, alle seine Vorteile aus. Kein Wort gegen große Allgemeinlexika - aber wer sich mit Literatur und Malerei beschäftigt, greift zu diesen beiden Spezialwerken nach kurzer Zeit sehr viel öfter..

Auch beim Malereilexikon handelt es sich um einen ungekürzten, völlig unveränderten fotomechanischen Nachdruck der 1964 erschienenen Originalausgabe. Das bedeutet, daß nach 1964 bekanntgewordene Maler nicht aufgenommen, aber auch Einwände gegen das eine oder andere De-taü der großen und auf Grund des Preises nur für Bibliotheken und sehr zahlungskräftige Bibliophile erschwinglichen, sechsbändigen Leinenausgabe nicht verarbeitet werden konnten. (Man darf hoffen, daß einem heutigen Herausgeberteam etwa das Vergessen des Österreichers Carl Moll nicht mehr unterliefe; Moll kommt nur als Porträt-Modell Kokoschkas vor!)

Freilich: Diese Taschenbuchausgabe ist alles andere als ein Beweis dafür, daß die Originalausgabe hätte billiger hergestellt werden können. Im Gegenteil. Der Kindler-Verlag hat damals ein Vermögen in die Vorbereitung seines Malereilexikons investiert. Das 14köpfige Herausgebergremium wurde von rund 140 Mitarbeitern unterstützt, und die Erarbeitung des Text- und Bildmaterials allein, von den Satz- und sonstigen Herstellungskosten ganz zu schweigen, bedingte einen hohen Preis. Durch die Zusammenarbeit zwischen Kindler und Deutschem Taschenbuch-Verlag (dtv) wurde das Ergebnis dieses wissenschaftlichen Monsterunternehmens nun aber demokratisiert, mit anderen Worten: Die Leinenausgabe hat die Investitionen wieder hereingebracht, damit konnte das Werk zur fotomechanischen Taschenbuch-Publikation freigegeben werden. Wenn es auch so noch einiges Geld kostet, ist es in Anbetracht des Gebotenen (und der Druckqualität) doch nur als billig zu bezeichnen.

Es enthält - ebenso wie die Originalausgabe - 3000 schwarzweiße und 1200 farbige Reproduktionen (auf Kunstdruckpapier, weshalb sich die 15 flexiblen Taschenbücher auch einzeln nicht gerade für die Rocktasche eignen). Dazu kommen rund 1000 Malersignaturen. Das eigentliche Lexikon füllt zwölf Bände, dazu kommen ein Registerband und zwei Bände mit Erklärungen kunstgeschichtlicher Begriffe. Das reicht von knappen Erklärungen, etwa (wahllos herausgegriffen) der Silberstiftzeichnung, des Kentaur und seines Vorkommens, des „strengen Stils“, der Gilde, der Genien, bis zu seitenlangen und reich illustrierten Artikeln über Epochen und Stile.

Die Lexikonartikel über die Maler selbst sind knapp formuliert, informieren aber eingehend, enthalten eine Werkauswahl und Literaturhinweise. Die optische Dokumentation ist vorbildlich. Wichtigere Maler sind nicht mit ein oder zwei, sondern fallweise mit einem Dutzend und mehr Werken repräsentiert, wobei - neben jenen Bildern, die einfach nicht fehlen dürfen - Wert auf die Aufnahme weniger bekannter, aber für die Entwicklung des Künstlers oder einer Richtung wichtiger Werke gelegt wurde.

Demnach: Ein Werk, das die Malerei von den griechischen Vasenbildern bis zu Warhol und Roy Lichtenstein umfassend dokumentiert und nicht nur dem fertigen oder (vor allem) dem angehenden Kunsthistoriker dienlich ist, sondern den Kunsthorizont jedes an Malerei interessierten Menschen erweitert. Eine verlegerische Großtat - nämlich die Demokratisierung einer anderen verlegerischen Großtat.

KINDLERS MALEREI-LEXIKON im dtv. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München. 15 Bände, Subskriptionspreis bis öS 2679.60.

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