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Bangemachen
Früher galt Bangemachen nicht in Deutschen Landen, heute, so scheint's, ist Bangemachen erste Bürgerpflicht. Früher galten die Deutschen, die strammen Preußen gar, als aggressiv, heute sind sie eher ängstlich.
Es hat sich ja auch einiges geändert. Zu Zeiten, als die Proletarier aller Länder sich zur revolutionären Machtübernahme vereinigen sollten, hatten auch die meisten Deutschen nichts als ihre Ehre zu verlieren. An der hielten sie unverbrüchlich fest und zogen munter von einem Krieg zum anderen.
Den ersten großen Krieg verloren sie gemeinsam mit uns Österreichern, den zweiten alleine, denn Österreich war ja rechtzeitig beigetreten worden. Ja, und den Kalten Krieg haben die roten Preußen ja auch verloren. Vernünftigerweise gegen die eigenen Landsleute und glücklicherweise fast unblutig.
Heutzutage haben die deutschen Arbeiter natürlich längst keine Ketten mehr, sondern bestenfalls goldene Kettchen zu verlieren, dazu - in der Regel -Wohnung oder Reihenhaus, Urlaubsgeld und Pensionsanspruch, KAT-Auto und Videorecorder.
Und weil sie alles, was sie erworben und geschaffen haben, auch so recht von Herzen mögen, haben sie, wer dürfte es ihnen verdenken, auch Angst, es zu verlieren. Und weil sie zudem, völlig konträr zur publizierten Ansicht öffentlicher Bedenkenträger, ihr Leben lieben, haben sie auch Angst, dasselbe zu verlieren.
All dies hat aus einem Volk, das weltweit als überaus kriegerisch, wenigstens aber als schneidig galt, eine Nation von Friedensfreunden gemacht, die am liebsten auf alle Gewalt in der Welt verzichten wollen. Es sei denn, sie ist gegen die repressive Regierung im eigenen Land gerichtet.
Wie kommt es eigentlich, daß die Menschen zwischen Nordsee und Inn kaum Angst vor dem Koreakrieg verspürten, sie mit Ausnahme der engagierten Linken Vietnam reichlich kalt ließ und auch der Kalte Krieg nicht wirklich berührte, vom achtjährigen Krieg zwischen den neuen Freunden Iran und Irak ganz zu schweigen?
Nunmehr haben die medialen Bangemacher Erfolg auf breiter Front (!). In einem norddeutschen Geschwader kamen Dutzenden von Fliegersoldaten in diesen Tagen Zweifel, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, auch fürderhin in den gesamtdeutschen Luftstreitkräften Dienst zu tun. Sie meldeten sich kurzerhand vom Wehrdient ab. Mit einem Waffengang, wie man ihn jetzt möglicherweise von ihnen verlangen könnte, hatten sie nicht gerechnet.
Wie schön, daß die jungen Deutschen heute so friedfertig sind. Hoffentlich macht ihr Beispiel Schule. Überall.
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