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Bericht und Epilog

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Vom Konzept her sollte der Katholikentag 1974 lediglich eine Art Pflichtübung sein, eine formelle Manifestation zum Abschluß des scheinbar, aber nicht tatsächlich glücklosen „Synodalen Vorgangs” und thematisch eine Ouvertüre für das Heilige Jahr 1975. Mehr nicht. „Niemand” wollte ihn eigentlich, diesen Katholikentag.

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Vom Konzept her sollte der Katholikentag 1974 lediglich eine Art Pflichtübung sein, eine formelle Manifestation zum Abschluß des scheinbar, aber nicht tatsächlich glücklosen „Synodalen Vorgangs” und thematisch eine Ouvertüre für das Heilige Jahr 1975. Mehr nicht. „Niemand” wollte ihn eigentlich, diesen Katholikentag.

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Und nun das große Staunen: Nach der Qualität des Gebotenen sowie der Organisation und — was noch erstaunlicher war — nach der Stimmung bei jenen, die dabei gewesen, war der Katholikentag des Jahres 1974 offenkundig der beste, der je in der Republik Österreich stattgefunden hat. Auch die professionellen kritizistischen Mängelsucher fanden kaum Material für die Bestätigung ihrer Vorurteile.

Merkmale

In der Abfolge der Katholikentage seit 1933 war der Katholikentag 1974 frei von jeder Einseitigkeit, insoweit er weder ein fast exklusives Intellektuellentreffen oder eine Funktio- närsvensammlung, noch eine Nur- Massenveranstaltung war, wohl aber eine wohlabgestimmte Kombination von beiden.

Die Delegierten waren eigentlich nicht „delegiert”, sondern ohne Bindung an einen Auftrag und sprachen in eigener Verantwortung. Auch jene, die sich als Funktionäre eines Verbandes vorstellten. Trotzdem kam es zu keinen rätesyndikalistischen Anarchismen.

Die Massen waren nicht organisiert, nicht kommandiert, sondern spontan beteiligt.

Erfreulich und Zeichen eines definitiven Durchbruches war die in allen Situationen erkennbare parteipolitische Neutralität. Die Hinweise eines in Fragen von Kirche und Katholizismus desinformierten hohen politischen Funktionärs fanden jedenfalls in der Wirklichkeit des Katholikentages keine Bestätigung. Wer den Katholikentag 1974, wie er sich in der und für die Öffentlichkeit darbot, etwa eine „bürgerliche” und parteipolitisch orientierte Kundgebung nennt, verfügt über einen Begriffsapparat, der dringend einer Revision bedarf. Auch das, was man „herrschende Klasse” nennt, war auf diesem Katholikentag schon wegen der weitgehend fehlenden formellen Zugangslegitimation nicht oder kaum vorhanden.

Die Arbeit in den sechs Arbeitskreisen (und etwa 80 Arbeitsgruppen) war trotz der großen Zahl der Delegierten, die einander vorher zum großen Teil nicht gekannt hatten, von einer Intensität, wie sie bisher bei ähnlichen Veranstaltungen unbekannt gewesen war. Vielleicht deswegen, weil keine Resultate gleichsam vorgegeben wurden und völlige Freiheit in der Formulierte Grundsätze für die Plenarversammlung zu liefern.

Soweit extrem scheinende Meinungen, wenn, nicht Mentalitäten, offenkundig wurden, markierten sie lediglich die erstaunliche Breite und die Toleranz, in der sich heute das Katholische darzustellen vermag.

Zur Schlußkundgebung hatten alle demokratischen Großparteiten Spitzenfunktionäre entsandt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Katholi-’ kentage unseres Landes. Neben dem (für mich: selbstverständlich anwesenden) Bundeskanzler waren drei Herren der Regierung, führende Socher Intention wäre um die Jahrhundertwende anders gestaltet worden (lediglich die Papstansprache war nach meinem höchstpersönlichen Dafürhalten zu lang). Die Art der Disziplinierung der Fünfzehntausend für die gottesdienstliche Handlung war weitgehend durch das lokale Milieu der Stadthalle und das vom Fernsehen vorgegebene Zeitbudget bestimmt, Anlaß für wenige zur Kritik und, sich bischöflicher zu geben als die Bischöfe.

Die Administrationsspitze der Stadt Wien dagegen war nicht repräsentiert, vielleicht, weil die Beginnzeit der Schlußveranstaltung zu „früh” angesetzt war.

Habitus

Analysiert man die Teilnehmer an den Massenveranstaltungen und bei der Delegiertentagung nach den Merkmalen von kalendarischem Alter und sozialer Schichtung, konnte man feststellen:

• Es war viel Jugend da, bemerkenswert viel, vor allem angesichts der Tatsache, daß Jugend-Funktionäre höchsten Ranges diesmal kein überproportionales Engagement gezeigt hatten.

• Das so gerne zitierte „arbeitende Volk” war in der Mehrzahl, wenn nicht überrepräsentiert.

Die Regie der Großveranstaltung am Sonntag war professional-exakt. In der Stadthalle vollzog sich ein Schau-Spiel in des Wortes bester Bedeutung. Die Aussagen und die Form ihrer Darstellung waren gescheit, gerade deswegen verständlich und hatten trotzdem eine dem Charakter der Feierstunde angemessene Diskretion. Freilich: Eine Feierstunde bei glei-

Die meisten Großkundgebungen sind heute entweder ein Dargebot von attraktivem Primitiwerhalten oder sie reproduzieren einen, unverständlichen Intellektualismus. Obwohl die Mehrzahl der Delegierten des Katholikentages 1974 sogenannte Intellektuelle waren, konnte in keiner Phase der Beratungen von einer Absenz des Hausverstandes oder von Vorherrschen einer intellektuellen Phraseologie gesprochen werden. Trotzdem war man kritisch eingestellt; nicht aber kritizistisch.

Der Habitus des Katholikentages war nicht allein das Ergebnis einer spontanen Integration, sondern auch das Resultat der Arbeit jener Personen, die den Katholikentag 1974 geplant und organisiert hatten, vor allem von Emst Kolb und Eva Petrik, von Karl Strobl und Franz Ivan, Linus Grond, Eduard Plöter und Franz Tischler, die für die vielen genannt werden sollen, welche durch Monate die Vorarbeiten geleistet hatten. Nobel, ohne Aufsehen und mit einer eminenten Wirkung.

Was nun?

In den Katholikentag 1974 ist viel an Enthusiasmus, Geist, Herz und auch Geld investiert worden. Soll die Arbeit von 3000 Delegierten, zu einem großen Teil in Konzepten und Entschließungen etwa der 80 Arbeitsgruppen festgehalten und verdichtet, nun archiviert werden? Wollen sich die Verantwortlichen dem Vorwurf aussetzen, nur sogenannte „Papiere” und eine glänzend angekommene Show produziert zu haben? Wird der aktivierte Enthusiasmus der Tausend wirkungslos sein und durch den Zeitablauf bis auf Lethargie oder Erinnerungswerte abgebaut werden?

Der Katholikentag soll meines Erachtens ein Anfang und nicht das Ende eines ohnedies kaum in Gang gesetzten Prozesses sein.

Daher einige Anregungen:

• Konstitution eines permanenten Katholikentagkomitees, etwa im Rahmen der Katholischen Aktion.

• Nicht aber für einen Katholikentag 1986. Wenn wieder so lange wie diesmal mit der Veranstaltung eines Katholikentages gewartet wird, verringert sich die organisatorische Erfahrung auf einen Nullwert. Außerdem würde dies bedeuten, daß die Katholiken nur je halbe Generation einen Katholikentag erleben. Wenn ein neuer Katholikentag etwa in der bundesdeutschen Periodisierung von zwei Jahren, dann müßte freilich den Beratungen ein zweiter Tag gewidmet werden, auch wenn dadurch die Zahl der Delegierten .etwas geringer würde.

Der Katholikentag 1974 war nach meinem Dafürhalten Aviso einer beginnenden Gestaltwerdung dessen, was man einen neuen österreichi schen Katholizismus nennen könnte, auch ein Anzeiger zurückgestaut gewesener Aktivitäten, an deren Vorhandensein man wegen der innerkatholischen, oft kindlichen Auseinandersetzungen und einzelner publizistisch überrepräsentiert dargestellter Exzesse nicht mehr zu glauben wagte. Keinesfalls bot die Kirche, so wie sie sich darzustellen vermochte, jenes miese Bild, wie es die vom Großbürgertum finanzierte Presse permanent zu zeichnen versucht. Die Ergebnisse der Beratungen des Katholikentages bedürfen freilich einer baldigen Aufarbeitung und einer Konkretisierung in Form praktikabel formulierter Forderungen. Auch nach außen. Wenn die Katholiken unseres Landes eine sogenannte „schweigende” Großgruppe zu sein scheinen, die man in den Massenmedien und in der bürgerlichen Ent- hüllungspresse permanent bloßzustellen sucht, dann nur deswegen, weil man nicht immer den Mut und den Elan hat, die Katholiken zu aktivieren und sie zum Sprechen zu bringen. Stets richten sich aber die Aggressionen — auch der Presse — gegen die Schwachen oder die Schwach-Sch einenden.

Soll es weiter den Anschein haben, daß sich das Katholische in unserem Land nur in Anomalien darzustellen vermag, im Skandal? Und nicht in der beeindruckenden Art wie beim diesjährigen Katholikentag? Die Verbände, derzeit oft nur als Führungsgremien vorhanden, mit wenig Kontakt zur Basis, müßten reaktiviert werden. Ähnlich wie in der Bundesrepublik (Pfarrvolk soll und kann „Verbandsvolk” nicht ersetzen). Vielleicht über ein repräsentatives Zentralkomitee. Es dürfte nicht wieder ein Katholikentag bei weitgehender Absenz der Verbände veranstaltet werden.

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