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Ihr alle aber seid Brüder!

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Der erste österreichische Katholikentag fand vom 30. April bis 3. Mai 1877 statt. Vorher waren diese Veranstaltungen eine Zusammenkunft der Katholiken jener Länder, die dem „Deutschen Bund“ angehörten. Wie 1877, fand auch 1889 der Katholikentag in Wien statt, dann folgten Linz und Salzburg, 1905 und 1907 hieß der Tagungsort wieder Wien. Damals fanden sich hier freilich die Katholiken aus allen Teilen der Monarchie zusammen. Erst knapp vor dem Krieg gab es den ersten Katholikentag der deutschsprachigen Gläubigen. In der Erinnerung tragen wir 1927, dann 1933. Die Katholikentage hatten inzwischen den Charakter geändert, sie legten das Hauptgewicht auf Massenveranstaltungen gemäß den schweren weltanschaulichen Auseinandersetzungen jener Jahre. Dann kam der zweite Weltkrieg. 1949 hieß die Devise des. diözesanen Katholikentages „Gebt Gott, was Gottes ist“; 1952 traten die Besucher in Wien unter der aktuellen Parole „Freiheit und Würde des Menschen“ zusammen. Der Katholikentag 1958, ,in den Tagen zwischen dem 8. und dem 15. Juni, will die soziale Funktion der menschlichen Natur, die Verantwortung des Gläubigen in der Gesellschaft und, daraus entwickelnd, seine Verantwortung im sozialen Leben deutlich aufzeigen.

Den Anstoß dazu gab der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe vom Herbst 1956. Als Schwerpunkt der sozialen Frage zeigt sich die Reform der Gesinnung. Es ist mit Recht betont werden, daß von Gesetzen und Verordnungen, von Kammern und wirtschaftlichen Institutionen eine soziale Ordnung, wie wir sie heute dringend nötig haben, allein nicht erwartet werden kann. „Das Abendland muß Werte besitzen“, sagt der Hirtenbrief von 1956, „für die das Volk mit Leib und Seele eintritt.“ Der Katholikentag 1958 ist daher ein Anruf an das Gewissen der Gläubigen. Diese „Tage der Besinnung“, wie Erzbischof Dr. König bei der Pressekonferenz im Erzbischöflichen Palais die zweite Juniwoche bezeichnete, leuchten daher mit jedem Tag in unser Hera und die Worte des Evangelisten Matthäus „Ihr alle seid BrüdeT“ über dem Katholikentag 1958 sind ein Appell an unsere Seele. Solidarität, Verbundenheit, Ach tung des Nächsten, Verantwortung füreinander!

Die Hauptveranstaltung des Katholikentages ist die große Pontifikalmesse des Erzbischofs im Stadion am 15. Juni. Der Volksgesang wird in der Betsingmesse besonders feierlich sein. Für das Proprium sind die Gesänge zu den Psalmen, die vom Domchor und vom Volk abwechselnd gesungen werden, von Prof. Hans Bauernfeind komponiert worden. Erzbischof Dr. J a c h y m wird die Predigt halten. Um 11 Uhr beginnt dann die Kundgebung, deren Schlußansprache Erzbischof Dr. Franz König übernahm. Die „Arbeitswoche“ beginnt am Sonntag, den 8. Juni, mit einem Festakt im großen Musikvereinssaal. Nach Erzbischof Dr. König werden Universitätsprofessor Dr. Schmitz und P. R i e n e r SJ. in zwei Referaten die Thematik der in der folgenden Woche abgehaltenen Beratungen umreißen. Die „Apostolische Bewegung“ wird ebenso zu Wort kommen wie die „Pax-Christi-Bewe-gung“. Die katholischen Esperantisten, die Marianischen Kongregationen, die christlichen Hausgehilfinnen, der Katholische Familienverband, die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, die Diözesan-Jugendschaften werden tagen.

Ein überaus beachtliches kulturelles Programm liegt vor. Vier Ausstellungen werden zu sehen sein: Kirchliche Kunst aus der Erzdiözese; eine Missionsausstellung; eine Sonderschau „Das soziale Wirken von Kirche und Staat in Mittelalter und Neuzeit“ (Staatsarchiv); eine Ausstellung des Katholischen Instituts für kirchliche Sozialforschung; und eine Exposition der Wiener Ordensspitäler. Ferner findet eine Autorenlesung der Schriftstellervereinigung „Winfried“, eine Filmaufführung „Monsieur Vincent“, Vorträge der Wiener Katholischen Akademie und eine literarisch-musikalische Akademie im Konzerthaus statt, bei der prominente Wiener Sänger und Schauspieler zu hören sein werden.

„Das gemeinsame Werk des Katholikentages sei“, so betont Erzbischof Dr. König, „die Errichtung des zweiten Knabenseminars bei Kirchberg am Wechsel.“ Es ist ein Blick in eine verantwortungsschwere Zukunft, der damit eröffnet wird.

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