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Bilder und Gestalten

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Am 12. September 1973 feiert Hans Fronius seinen 70. Geburtstag. Dies mag der innere Anlaß für die Entstehung der Graphikfolge „Bilder und Gestalten“ gewesen sein, die den wesentlichsten Teil des von Leopold Rethi vorbildlich betreuten Gesamtverzeichnisses der Fronius-schen Druckgraphik ausmacht. Der Zyklus, der bereits in der großen Albertina-Ausstellung im Spätherbst des Jahres 1972 der Öffentlichkeit präsentiert worden war, besteht aus 20 Originalradierungen. 18 von diesen 20 Blättern wurden zu einer ebenfalls bei der Edition Tusch erschienenen Mappe zusammengefaßt, die übrigen zwei liegen einer Vorzugsausgabe des Buches bei.

Trotz ihrer handschriftlich-stilistischen Geschlossenheit sind die „Bilder und Gestalten“ alles andere als eine Illustrationsfolge im herkömmlichen Sinn. Sie stellen vielmehr eine Zusammenfassung der wesentlichsten Bildgehalte der Froniusschen Anschauungswelt dar, die „Summa“ eines in seiner Gesamtheit beinahe unübersehbar gewordenen Lebenswerkes, das sich freilich durch besonders ausgeprägte Homogenität auszeichnet, eine Homogenität, die immer mit jenem eigentümlichen Dunkel in Zusammenhang gebracht wird, das — nach Reinhold Schneider — allerdings als ein Dunkel des „Nicht-Lichts“ begriffen werden muß, also als ein Dunkel, das sich im letzten vom Licht her versteht.

Die Schlüsselfiguren dieser Helldunkel-Welt sind von Anfang an dieselben geblieben, ihr Kreis hat sich nur erweitert. Einem „Einzug Christi“ in das Judenviertel von Amsterdam — dem Thema einer der allerersten Radierungen — stehen daher auch Szenen aus dem Leben der „Theodora“ und aus der griechischen Mythologie gegenüber, die erst vor wenigen Jahren in die Bildwelt des Meisters Eingang gefunden hat. Um einen „Crucifixus“, der sich den Blicken der Menschen immer mehr zu entziehen scheint, und eine neue Abwandlung des Themas „Hiob“

gruppieren sich die kafkaeske Szene „Das Gericht“, die düstere Pariser Hinterhofvision „Der gestürzte Engel“, die eine unbestimmte Erinnerung an Hertha Kräftner wachruft (und das Motiv des ersten, zufällig in ihrem Todesjahr entstandenen Albertina-Plakats aufgreift), ein meisterhaftes Bildnis des Schauspielers Werner Krauss als Philipp II. und das Porträt der Mutter, dem sich das ebenfalls aus jüngster Zeit stammende Selbstbildnis in eigentümlicher Weise angenähert hat. Das Blatt „Der Schlächter“, das an die Thematik der Albertina-Zeichnung

„Rußland 1943“ und der Radierung „Das letzte Pferd“ anknüpft, führt mit einer vorher vielleicht nirgends festzustellenden Deutlichkeit in die Nähe des langjährigen verehrten Freundes Alfred Kubin, jenes außerordentlichen Menschen, dem der Anblick einer „Pferdeschlächterei“ eine sowohl absolute Beherrschung der Mittel als auch „existentielle Panik“ verratende Leistung abrang.

Die wenigen — freilich keinen absolut vollwertigen Ersatz für die unzähligen großformatigen Kreidezeichnungen und Lithographien darstellenden — Landschaften, die eine geheimnisvoll verschlüsselte Botschaft zu übermitteln scheinen, rühren an das eigentliche Zentrum der Kunst. (Die „neue Welt“ entsteht nicht jenseits der alten, sondern unmittelbar aus ihr. Der Vergleich mit Franz Schubert, der als einziger für „Verheißung“ und „Klage“ ein und dieselbe Wendung zu gebrauchen vermochte, liegt nahe.) Unter den Städtebildern, die mit den Porträts der Lieblingsstädte Prag und Toledo vertreten sind, besticht vor allem die auf einem Erinnerungsbild aus den frühen zwanziger Jahren basierende und alle Möglichkeiten der Aqua-tintatechnik voll ausschöpfende Studie „Amsterdam“ (Fischmarkt in Amsterdam), der mit rein zeichnerischen und malerischen Mitteln die Suggestion jener beinahe greifbaren Körperhaftigkeit gelingt, die zumindest einen Teil der einmaligen Faszination der Rem-brandtschen Radierungen ausmacht.

HANS FRONIUS — BILDER UND GESTALTEN. Von Walter Ko-s chatzky. Mit einem Werkkatalog sämtlicher Holzschnitte, Lithographien und Radierungen 1922 bis 1972 von Leopold Rethi. Edition Tusch, Wien 1972. 386 Abbildungen. — (Limitierte Ausgabe von 1200 numerierten Exemplaren, davon 200 als Vorzugsausgabe mit zwei signierten Originalradierungen,

S 480— bzw. S 800.—.)

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