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Bildungshäuser sind Anwälte der Zukunft

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Ein Bildungsheim steht immer in der Spannung zwischen Zielvorstellung, dem Realisierbaren und dem tatsächlich Realisierten. Auftrag für die Verantwortlichen ist es, den Abstand möglichst zu verkleinern.

In Niederösterreich existieren nur Bildungsheime in kirchlicher Trägerschaft: St. Bernhard (Wr. Neustadt), Groß-Rußbach, St Hippolyt (St. Pölten), Stift Zwettl. Sie sind eingebunden in den allgemeinen Auftrag der Erwachsenenbildung, den Menschen zu helfen und sie zu befähigen, ihre Person, ihr Menschsein, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entfalten, damit sie ihr persönliches und gesellschaftliches Leben möglichst gut und wertvoll gestalten können. Was heißt aber „Menschsein“ in unserer von Prestige, Macht und Verwirklichung des Machbaren (ohne Rücksicht auf soziale und ethi-

sehe Werte) geprägten Welt; in den Abhängigkeiten von Großorganisationen, in der scheinbaren politischen Ohnmacht der Bevölkerung; in der Welt des Leistungsdrucks, des Habenwollens, der Passivität so vieler? Bildungshäuser wollen und müssen hier versuchen, gegenzusteuern, neue Möglichkeiten menschlicher Selbstverwirklichung anzubieten.

Die Leitung eines Bildungsheimes muß stets ein Ideal- und ein Realbild des Menschen und der Gesellschaft in sich tragen, das allen Bildungsplanungen und -Vorgängen zugrunde liegt. Darauf baut das Angebot eines Hauses auf. Dabei wollen und dürfen die Bildungshäuser aber nicht die Menschen zwingen, Vorgegebenes anzunehmen oder abzulehnen.

Die Freiheit des Menschen ist ein Prinzip, das allen Bildungsvorhaben inhärent sein muß. In einem Bildungshaus - und vorab in einem katholischen - muß jeder seine Meinung und Uberzeugung ausdrücken können - ob Teilnehmer oder Referent. Ein Bildungshaus hat die Aufgabe, Treffpunkt verschiedener Uberzeugungen, Haltungen, politischer Richtungen, innerkirchlich

pluraler Anschauungen zu sein. Es hat dadurch beizutragen zum geistigen Austausch, zur Klärung der Standpunkte, zur Annäherung an die Wahrheit, zur Erreichung eines Kompromisses, zur Bewährung der Toleranz.

In einem Bildungshaus ist Besinnung und Reflexion möglich, kann der Mensch nachdenken über sein Leben, seine Gegenwart und Zukunft, vermag er auch Traditionen, Liebgewordenes, aber auch oft unkritisch übernommene Schlagworte kritisch durchdenken und wertend beurteilen.

Das „Katholische“ eines Bildungshauses sollte immer Angebot sein, nicht Zwang; es sollte als Qualität

hinter allem stehen und nicht Aushängeschild, Firmenzeichen sein. Theologie und theologisch-religiöse Bildung werden primär nicht um der Erkenntnis-willen angeboten. Es geht dabei viel mehr um den Menschen, um seine Verbindung zu Gott. Es geht darum, Wege zu Gott zu ermöglichen, zu erleichtern. Ein Bildungshaus sollte von Hoffnung geprägt sein und vom selbstverständlichen Glauben an die Gegenwart Gottes.

Im Bildungshaus sollten die Menschen die Liebe als Wirklichkeit und Lebenselement erkennen lernen; die Liebe Gottes und die Liebe der Menschen, etwa Liebe als Lebenssubstrat der Eheleute, der Eltern und Kinder, aus dem heraus alles Leben bewältigbar wird. Diese Liebe sollte überall als Grundlage sozialen, gesellschaftlichen und politischen Handelns spürbar werden.

Bildungshäuser sollten Anwälte der Zukunft sein. In ihnen sollte die Gegenwart mit ihren positiven Lebenswerten, aber auch mit all ihren Verirrungen Grundlage für Vorausdenken sein, für die Befähigung zur positiven Bewältigung der Zukunft. Daraus ergibt sich die Behandlung

der Umweltproblematik und die Suche nach Wegen in eine menschlich lebenswerte Zukunft, in der die Menschen und nicht die Maschine und der Profit im Mittelpunkt stehen. Das Bildungshaus muß wachrütteln, Wege zeigen, informieren und motivieren für den eigenen Einsatz des Menschen für seine Zukunft und die seiner Nachkommen.

Das Bildungshaus hat die große Aufgabe, die Kreativität zu wecken und auszugestalten, die emotionellen Seinswerte des Menschen erfahrbar zu machen, zu entfalten gegen alle Leistungszwänge, gegen überstarke Rationalität in Gesellschaft und Kirche. So hat das Bildungshaus Möglichkeit und Verpflichtung zu einer

innerlich bewegenden und stärkenden Feier der Liturgie, bei der die gemütshaften und zwischenmenschlichen Werte genauso betont werden, wie die Begegnung mit Gott.

Ein Bildungshaus hat den Vorteil, daß die Menschen nicht nur auf zwei

Stunden, ermüdet von der Tageshast, kommen, sondern zu ein- bis mehrtägigen Seminaren. So kann sich in Arbeit und Freizeit im Haus Gemeinschaft bilden und entfalten, die sonst für so viele so wenig erfahrbar wird. Der einzelne kann sich geborgen fühlen in der Atmosphäre eines Hauses, im Angenommensein durch die anderen, im Gespräch und indem er sich selbst einbringen kann in die Gemeinschaft.

Die Menschen kommen gerne und zahlreich. Daß bei mehr Angebot noch viel mehr kommen würden, ist allen Heimleitungen bewußt. Daß die Möglichkeiten der Heime noch lange nicht ausgeschöpft sind, den Menschen, der Gesellschaft und der Kirche lebensgestaltenden und zu-kunftsprägenden Dienst zu erweisen, motiviert die Verantwortlichen zu immer neuen Anstrengungen, zur Ausweitung der personellen, räumlichen und organisatorischen Kapazitäten.

Die Kirche besitzt in den Bil-dungshäuserh eine der Möglichkeiten, ihren Dienst an den Menschen zu erfüllen; auch an vielen, deren Bindung an die Kirche nur noch lose oder gar nicht mehr vorhanden ist; einen Dienst, der alle Bereiche des menschlichen Lebens umfaßt.

(Der Autor ist Leiter des Bildungshauses St. Hippolyt in St. Pölten)

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