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„Das sind wir“

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Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Der Adel hat den Schaden. Zuerst hat man ihm öffentliche Pflichten und Rechte genommen; dann hat man ihm, je nach Ländern verschieden, sein Eigentum genommen; dabei hat man viele von uns totgeschlagen. Wir brauchen für den Spott nicht zu sorgen; hier können wir lesen, wie wir auf Festen mit unseren Vorkriegsfräcken ausschauen. Stimmt; meiner ist 39 Jahre alt. Allerdings hätte ich vor einem Kritiker wie Andrew Sinclair nichts gewonnen, wenn ich drei neue hätte und die 200 Seidenhemden, deren sich in seinen Memoiren Hans Habe rühmt. Denn Sinclair urteilt über uns nach der kindlichen Spielregel: Kopf — gewinne ich, Adler — verlierst du. Hat der Adel keinen Grundbesitz und lebt von bürgerlicher Arbeit, ist er lächerlich; hat er Grundbesitz, beutet er das Volk aus. Übrigens braucht der gute Mann ein ganzes Kapitel seines Buchs, um unser Jagdvergnügen zu schmähen. Daß der Übersetzer nicht weiß, wann „Sport“ mit Jagd zu •übersetzen ist und folglich die herzoglich Sutherlandsche Eigenjagd einen Sportplatz nennt — dies nebenbei. Der Autor dagegen bescheinigt dem österreichischen Adel „Arroganz und Borniertheit“.

Es ist ein Glück für den mitbetroffenen Rezensenten, daß er sich nicht auf gereizte Verbalinjurien angewiesen sieht, sondern sachliche Ausstellungen zu des Autors Kenntnissen zu machen hat. Primo loco — seine Schilderung des Jahres 1914, Er spricht vom „alten Wunsch der Österreicher, Serbien zu vernichten“; vom alten Wunsch der Serben, Österreich zu vernichten, sagt ei kein Wort. Das Verschulden des Fürsten Montenuovo — welches sehr wohl behauptet werden kann, man lese den Zeitgenossen Adalberl Sternberg — wird hier ganz falsch aufgefaßt. Daß Leopold Berchtold ungünstig — und falsch — beschrieben wird, versteht sich. Seite 251 zitiert unser Autor den großen Titel des Kaisers, verkennt aber offensichtlich den Unterschied zwischen längst abgekommenen und 1918 noch österreichischen Ländern. Er glaubt bei der Bodenreform nach 1911 hätten wir bedeutende Gelder bekommen. Natürlich zitiert er die Schriftsteller nicht, die ex professc unseren Standpunkt erklärt haben: Münchhausen — von dem meine Überschrift ist — und La Varende, Und so weiter.

Der Papst hat auch was abbekommen. Nach Sinclair „hat sich der Vatikan großteils vom italienischen Adel und dessen unsicherer Zukunfl losgesagt“. Mit Verlaub, wenn Paul VI. dem. römischen Adel seine Erbämter genommen hat, dann doch wohl aus nicht so verächtlichen Gründen. Erstens haben Skandale — die Sinclair natürlich erwähnt — den Papst zu seinem Vorgehen be wogen; zweitens hat es ein Fürst auch heute in der Hand, am Vatikan etwas zu bedeuten. Er braucht sich nur im katholischen Leben eine Stellung zu machen; und das ist ja denn auch seine Pflicht.

Der Autor mag ja Recht haben, wenn er meint, die Aristokratie sei „zum Untergang verurteilt. Mit nichts kann sie mehr Ehre einlegen, als wenn sie es versteht, in vornehmer Schönheit hinzuscheiden“. — Woraufhin ihr, dank seiner Erfindung der Atombombe, der Bürgerstand ins Grab nachfolgen dürfte. — Doch bis dahin haben wir noch Einiges zu tun. Davon, nach Standes Gebühr geschätzter Leser, werden Sie in dem nachfolgend rezensierten Buch etwas erfahren.

„Gott schütze die Länder vor Zeiten, in denen wir nötig sind.“ Dieser Vers ist vom obenerwähnten Münchhausen. Wozu wir in gewissen Zeiten nötig sind, ersehen wir zum Beispiel aus den Erinnerungen des Freiherm Karl Theodor zu Guttenberg. Sein Onkel wurde nach dem 20. Juli umgebracht — und hinterließ eine Tante des endesgefertigten Rezensenten als Witwe; eine unvoreingenommene Rezension ist dies also nicht… Guttenberg ist ein Deutscher, und zwar ein Franke, der bei der Stauffenberg-Konspiration dabei war, als Kriegsgefangener half, Hitlers Wehrmacht zu zersetzen — auch dies mit wenig Erfolg —, nach dem Krieg in der Selbsverwaltung und endlich im Bundestag arbeitete, bis ihn tödliche Krankheit von der Arbeit ausgeschlossen hat. Noch neulich aber hat er mit Nachdruck gegen die heutige Ostpolitik von Brandt und Scheel gesprochen; und das ist alles in seinem Bändchen erzählt. Soll ich die Erheblichkeit dieser „Fußnoten“ damit belegen, daß Friedrich Tor berg sie einleitet? Nein, der ist auch voreingenommen. Denn auch er ist Kalter Krieger; auch er ist — wie es bei Chesterton heißt — nicht gegen diese oder gegen jene Unterdrük- cung, sondern gegen Unterdrückung. *

PS: Wie sehr Andrew Sinclair wegen des Niedergangs des Adels recht bat, aber auch, wen die heutige Gesellschaft an dessen Stelle gesetzt hat, das erfahren wir aus folgender Information. Da wurde kürzlich ein ganz herrlicher Diamant auf den Markt gebracht, um dessen Echtheit es dann Streit gegeben hat. Im 18. Jahrhundert hätte einen solchen Stein irgendein Fürst entweder zum Schmuck eines Kirchengeräts verwendet, oder seiner Frau geschenkt, oder etwa in eine Vliesdekoration einfügen lassen. Heute kam kein Fürst als Käufer in Betracht, sondern: Ein Reeder, ein Fabriksdirek- tor, zwei Kaufhauschefs, eine ehemalige Kaufhauserbin, eine Filmschauspielerin. Dieses also sind die Verdienste, welche die heutige Gesellschaft mit den höchsten Einkünften belohnt.

ARISTOKRATEN IM XX. JAHRHUNDERT. Von Andrew Sinclair. Aus dem Englischen übertragen von Hans Erik Hausner. Originaltitel: The Last of the Best. Paul-Neff-Verlag, Wien. 352 Seiten, 12 Abbildungen.

FUSSNOTEN. Von Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg. See- wald-Verlag, Stuttgart, 1971. 214 Seiten, 1 Bild. DM 18.—.

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