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Der kleine Gott der Welt

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Bis 50 lebt der Mensch in der Illusion eines Lebens, das 100 Jahre währt, nicht ahnend, daß es mit 60 zu Ende ist. Zwar der Geist lebt weiter, aber der Geist ist schwach.

Aus den Trümmern unserer gescheiterten Lebensschiffe rufen wir uns durch die brüllende Brandung zu: Ahoi! Und verrichten in der schiefstehende Kabine weiter unsere Arbeit, messen die Sterne, werfen das Lot, als führen wir noch immer mit vollen Segeln auf dem sicher tragenden Meer.

Die Sehnsucht nach Totalität ist uns eingeboren und der wahre Grund unseres nie erlahmenden Stolzes: Auch ohne moralische Absicht glauben wir handelnd der ganzen Welt Maximen vorzugeben. Ich kann mich nicht hinter die Allgemeinheit zu- rüokziehen, die für mich nur ein Gedanke ist, während ich allein lebe. Wie soll ich bescheiden sein, da ich, ich allein, bin.

Die künstlerische Produktion ist eine Art Bluten des verletzten Geistes. Wie Pflanzen bei Verletzung bluten, als produzierten sie abwehrend den Saft

Auch mit 70 kann einer noch nicht sagen, er sei nun aus dem Ärgsten heraus.

Das Unangenehmste an früheren Verhältnissen ist nicht, wie Nestroy meint, daß sie später aufkommen tun, sondern daß sie sich dabei als klein erweisen. Daß sie nicht in Ordnung waren, macht nichts, so- feme sie sich nur in große verwandelt haben.

Immer wird, was lange Wirklichkeit gewesen, einst nur noch Idee sein, wie der Ur, wie die Gaslateme, wie die „Ägyptische”, die mein Vater rauchte, und die es nicht mehr gibt. Im Reiche der Ideen, in der Erinnerung, leben die Dinge weiter. Doch nur der Glaube macht ihr Gewesensein gewiß.

Wo es eine Frage gibt, da gibt es auch keine Antwort. Beantwortbare Fragen sind nur rhetorisch.

Manchmal will es scheinen, als hätte das Leben nur ein Problem: den Tod. Näher besehn aber, ist auch dieses von der Eitelkeit überdeckt. Nobel gehen wir alle zugrund.

Erleben wir es nicht alle wie Kleists Prinz von Homburg: Daß wir uns heute über den Tod entsetzen und morgen getrost mit ihm leben?

Am Nachthimmel ein Nadelstich Licht: Ein großer Stern. Unwahrscheinlich, was man da weiß und sieht. Unwahrscheinlich, daß man das zurückläßt für immer.

Das wirkliche Dasein ist über alle geistige Einbildung unendlich erhaben.

Wie sollte die Welt, so praktisch, so natürlich eingerichtet, etwas so Wichtiges nicht besitzen, wie einen Sinn, ein Ziel, einen Gott?

Gibt es einen Gott? So kann man gar nicht fragen. Es kann ihn ja nicht so geben, wie es andere Dinge gibt, die er geschaffen hat. — Wir sind in der Welt und spielen darin keine so unbedeutende Rolle; aber wir wissen nicht, ob diese Rolle, unbeschadet ihrer Bedeutung für die Welt, auch außerdem von Bedeutung ist. Brauchen wir denn zwei Bedeutungen? Wir müssen krank sein: Nur das kranke Herz hört man schlagen.

Was ist das Leben ohne die Arbeit, die uns am Herzen liegt?

Welchen ökonomischen Stellenwert hat Schreiben im Haushalt der Natur? Wenn Goethes Sohreibspuren nicht in Äonen untergehen, ist es die Natur selbst, die sie bewahrt? Wie kommt es, daß wir vor die Wahl gestellt sind: Denkend der Natur verlustig zu gehen, oder gedankenlos als bloße Natur unerfüllt zu leben?

Die Natur, heißt es im „Faust”, duldet kein Weißes. Sie duldet auch nichts Weises, nichts von allem Leben Entfärbtes. Aus dem Leben vertrieben, schwebt Weisheit wirkungslos, farblos, leblos darüber.

„Weltgeist zu Pferd” nannte Hegel seinen Zeitgenossen Napoleon; er hätte etwas so Anerkennendes von keinem geistig Ringenden gesagt Erst wo eine Weisheit endete, vor der Tat, hatte er Repekt. Weisheit erschien ihm zweitrangig.

Man ist nie weise, spricht nur so.

Weise sein heißt: ahnen, was der andere denkt.

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