6862631-1977_43_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Krieg geht weiter

Werbung
Werbung
Werbung

Helmut Schmidt hat die „Schlacht von Mogadischu” gewonnen; der Krieg geht weiter. Die letzte Botschaft der Schleyer-Mörder „Der Kampf fängt erst an” war die erste offene Kriegserklärung - zum mindesten die erste, die die Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen hat. Hier bekämpfen einander nicht mehr Armeekorps von Großmächten und ihrer Hilfsvölker, hier hat ein weltweit verzweigtes Verbrechertum der Demokratie den Kampf angesagt. Das Kriegsziel, die gegenseitige Vernichtung, ist gleich gebheben.

Wie der Zweite Weltkrieg mit seinen Wurzeln bis zum Ende des Ersten reichte, wie seine Vorzeichen in Spanien und China zu sehen waren, so reichen auch die Wurzeln dieses neuen Krieges weit in die Vergangenheit. Sie reichen bis zu Hitlers Kommissarserlaß und Stalins Befehl, den deutschen Kriegsgefangenen ihre Schutzrechte abzuerkennen, bis zur Behandlung von Heckenschützen als Helden und von Soldaten als Verbrecher, bis zu den Morden an Millionen Menschen, die - auf beiden Seiten - dem jeweiligen Regime im Wege standen.

Andere seiner Wurzeln reichen bis zu jenen Politikern, die glaubten, ihre Zielvorstellungen von einer neuen Gesellschaft durch eine systematische Auflösung der Familie erreichen zu können, statt die durch die Kriegsformen doppelt belastete Keimzelle der Gesellschaft besonders zu fördern. Sie entzogen der nachwachsenden Generation die Basis, auf der sie sich in einer immer schneller sich wandelnden Umwelt hätte zurechtfinden sollen. Die Wurzeln dieses Kriegs reichen bis zu jenen Philosophen, die das Ende aller geltenden Werte propagierten - jener Werte, ohne die es ein gedeihliches Zusammenleben unter Menschen nicht geben kann. Sie reichen bis zu jenen Politologen, die aufriefen, die Gesellschaft zu zerschlagen, ohne zu wissen, was nachkommen sollte.

Die Scharmützel dieses Kriegs setzten ein, als die ersten jener enttäuschten Jungen gegen Ende der Sechzigerjahre ins Verbrechertum umkippten, als sie dachten, mit „normalen” revolutionären Methoden - auf der Basis jener wertentfremdeten Ideologien - ihre Ziele nicht erreichen zu können. Banküberfälle und Kaufhausbrände, die die Namen Baader und Meinhof bekannt machten, waren das „Guemi- ca” dieses Kriegs, der mit den Morden an Drenkmann, Ponto und Buback seinen „Polenfeldzug” erreicht hat.

Die Terroristen der deutschen Szene fanden sich mit anderen, deren Enttäuschung über die Unmöglichkeit, „ihr” Palästina zu „befreien”, zum selben Resultat geführt hatte. Japaner, Südamerikaner verstärkten ihre Kommandos, nunmehr vereint im Willen, selbst unter Einsatz des eigenen Lebens, mit Terror der Anarchie Bahn zu brechen, was immer an abstrusen Ideen und Parolen sie zur Begründung vorbrachten.

Es ist Krieg - und das führt zu Lagen, die unter normalen Verhältnissen nicht eingetreten wären. Wenn Franz Josef Strauß im Auftrag des politischen Gegners Schmidt mit den Arabern verhandelt, statt die Krise in Bonn parteitaktisch auszuschlachten; wenn die deutsche Bundesregierung ausdrücklich die Unterstützung der Sowjets und der DDR hervorhebt - dann zeigt dies, daß die Angegriffenen die Herausforderung erkannt haben, daß sie Burgfrieden schließen, solange der „äußere” Feind droht, ja selbst, daß auch die autoritären Regime im Osten im Terrorismus, in der Anarchie die größere Gefahr wittern und bereit zu sein scheinen, ihren eigenen Kampf gegen die westliche Demokratie zurückzustellen.

Es ist Krieg - Erfolge der Abwehr werden von der Gegenseite nicht nur mit gezielten neuen Terroranschlägen beantwortet werden - auch das Fußvolk tritt zum Kampf an und zeigt, wie weit sich die Divisionen der Anarchie schon ausgebreitet haben. Und wie immer finden sich im Troß der kämpfenden Heere Marodeure, die ihren Krieg auf eigene Faust fuhren. Es finden sich aber auch Spione und Saboteure im eigenen Lager, die zu verblendet sind, um zu erkennen, wohin der Wagen läuft.

Es ist Krieg - wen wunderts, wenn die Menschen angesichts der Ungewißheit, wo der Feind beim nächsten Mal zuschlagen wird, nach dem Henker, nach dem Standgericht rufen? Wen wunderts, wenn die Abwehrmaßnahmen nicht nur die positive Mithilfe der Bevölkerung fände, sondern in ihrem Schatten auch so manche Privatfehde ausgetragen würde?

Es ist Krieg - mit völlig neuen Strategien. Erkann nur gewonnen werden, wenn sich alle Demokraten, alle demokratischen Staaten dieser Kriegserklärung bewußt sind und sie zur Kenntnis nehmen. Denn sie ist allen zugleich zugedacht Er wird nicht gewonnen werden können, indem man den Henker reaktiviert, indem notwendige Fahndungen zu einer allgemeinen Hexenjagd ausarten, sondern indem man Truppen einsetzt, die den unbekannten Feind mit gleichen Mitteln, mit entsprechenden Methoden, vor allem mit der gleichen Härte zu bekämpfen imstande sind.

Dieser Krieg geht auch Österreich an - gegen Terroristen gibt es keine Neutralität. Auch Marchegg, auch der Wiener Schottenring stehen bereits auf der Liste der Scharmützel. Es ist keine Zeit mehr, einander mit dummen Verbalinjurien zu beflegeln. Das gilt für beide Seiten. Die Sanierung der Wirtschaft, die Erhaltung der Arbeitsplätze, aber auch eine effektive Hilfe für die Dritte Welt gehören heute zu den Verteidigungsmaßnahmen in diesem Krieg. Und die Anerkennung der Tatsache, daß man über Grundwerte , wie das Recht auf Leben, nicht mit 51 Prozent einfach hinweggehen kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung