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Der Paragraphenwald an Pisten und Loipen

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Die heutige Bedeutung des Wintersports für Österreich ist durch markante Zahlen belegbar: Die Deviseneingänge Österreichs beliefen sich in der Wintersaison 1978/79 auf über 26 Milliarden Schilling, die Ubernachtungen erreichten in diesem Zeitraum die stolze Zahl von 37 Millionen, an 3400 Aufstiegshilfen sind 17.000 Beschäftigte tätig, die österreichische Skiproduktian erreicht einen Jahreswert von ca. zwei Milliarden Schilling.

Neben diesen positiven Zahlen sind freilich die durch den Wintersport verursachten Schäden unübersehbar: Die Anlegung von Skipisten ist zum ökologischen Problem geworden, die der österreichischen Volkswirtschaft als Folge von Skiunfällen jährlich erwachsenden Kosten erreichen bereits die der Straßenverkehrsunfälle.

Die Bedeutung des Wintersports ist gerade für Tirol eine exorbitante: Von den 37 Millionen Ubernachtungen in österreichischen Touristenbetten in der Wintersaison 1978/79 entfielen allein auf Tirol 15 Millionen, an einem Spitzentag bevölkern hier ca. 230.000 Skijünger die Pisten. Allerdings: Die Gesamtwaldfläche Tirols beträgt 437.434 ha, davon werden zur Zeit 1400 ha als Pistenflächen benützt. 0,32% des Tiroler Waldbestandes wurden also bisher bereits dem Skilauf geopfert.

Einzelne Wintersportarten, wie etwa das Eishockeyspiel oder das Eislaufen, erfordern zu ihrer Ausübung abgegrenzte und vergleichsweise kleine „Sportplätze", die möglicherweise sogar im Eigentum der Wintersportler selbst oder zumindest im Eigentum ihrers Vereines stehen. Die Hauptträger des Wintersports dagegen, der alpine Skilauf und der

Langlauf, erfordern typischerweise großflächige Ausübungsbereiche, so daß allein schon wegen dieses Um-Standes der „Skilauf auf eigenem Grund und Boden" wohl eine seltene Ausnahmeerscheinung bildet.

Dieser Umstand beinhaltet den Keim des immer häufiger zu Tage tretenden Konfliktes zwischen den auf steigende Nächtigungszahlen bedachten Gemeinden, den nach expandierenden Frequenzzahlen strebenden Liftgesellschaften und den Anliegen der Gastronomie einerseits und den Eigentümern der zum Skifahren beanspruchten Grundflächen, die als „Skipisten-Bauern" bereits eine eigene Bezeichnung gefunden haben, anderseits. Die Zunahme der Skilangläufer und damit der vermehrte Bedarf an Langlauf-Loipen wird diesen Konflikt in den nächsten Jahren noch aktualisieren.

Denn: War der Bauer nicht unmittelbar davon betroffen, wenn Skifahrer seine hochgelegenen winterlichen Almböden befuhren, so verläuft die Langlaufioipe am Talboden häufig unmittelbar neben seinem Bauernhaus, quert den Weg zwischen Stallgebäude und Scheune, führt durch den Obstgarten. Diesfalls sieht der Bauer alsbald von seinem Stubenfenster aus im Langläufer einen Schädling namens Tourist, dem er die Durchquerung seines Grundeigentums verbietet!

Das Gewicht des damit aufgeworfenen Fragenbereiches rechtfertigt die Rückstellung zahlreicher anderer. mit der Ausübung des Wintersports verbundener Rechtsfragen, wie etwa die zahlreichen Haftungsprobleme der Wintersportausübung, die Frage

nach Pistenordnungen, oder etwa die Betrachtung der arbeits- und sozialrechtlichen Aspekte bei Wintersportunfällen. Hier soll die Problematik um die Sicherung der zur Ausübung des Wintersports erforderlichen Flächen im Vordergrund stehen.

Das häufigst anzutreffende Instrument zur Sicherung von Lifttras-sen und Skiabfahrtsflächen bildet die vertragliche Einigung zwischen Gemeinden, Liftgesellschaften und Fremdenverkehrsverbänden einerseits und den Grundeigentümern anderseits, seien es Dienstbarkeitsverträge, seien es Bestandsverträge. Nach oft zähen Vertragsverhandlungen abgeschlossen, beschäftigen sie die Gerichte in der Folge nur selten.

In den letzten zwei Jahrzehnten behaupteten jedoch gerade Gemeinden oder Liftgesellschaften häufig, eine vertragsweise Einräumung von Skiabfahrtsrechten durch den Grundeigentümer gar nicht zu benötigen, da sie die Dienstbarkeit (Servitut) der Skiabfahrt zugunsten des Wintersportpublikums bereits ersessen hätten.

Zahlreiche solche Rechtsstreitigkeiten haben den Obersten Gerichtshof bereits beschäftigt, der zunächst jahrelang die Rechtsmeinung vertrat, eine solche Skiservitut auch im heute benötigten Ausmaß sei immer schon dann ersessen, wenn auf der in Anspruch genommenen Grundfläche in den vergangenen 30 Jahren überhaupt skigefahren worden ist; die zwischenzeitlich eingetretenen Mehrbelastungen, die gestiegene Anzahl der Skifahrer, z. B. nach der Errichtung einer Liftanlage, blieben unberücksichtigt! In der Fachliteratur wurde in den vergangenen Jahren wiederholt darauf hingewiesen, daß darin eine rechtswidrige Benachteiligung der Grundeigentümer hegt.

In Würdigung der ökologischen Erkenntnisse über die Auswirkungen des Skifahrens auf die Grundfläche und wiederholt geäußerter rechtlicher Bedenken hat der Oberste Gerichtshof im Jahre 1978 eine entscheidende Änderung seiner Rechtsprechung vorgenommen: Nunmehr gilt auch ein intensiveres Befahren der Skiabfahrtsfläche durch eine erhebliche Zunahme der Skifahrer als eine unzulässige Erweiterung der Servitut der Skiabfahrt!

Für eine solche Mehrbelastung gegenüber der bisherigen Benützerzahl beginnt die 30jährige Ersitzungszeit

jeweils erst mit dem Beginn dieser Mehrbelastung zu laufen. Dies aber hat zur Folge: Skipisten in dem für den heutigen Massenskilauf benötigten Ausmaß sind fast nirgends ersessen. Die Ersitzung als Mittel zur unentgeltlichen Beschaffung von Skipisten, als die sie Jahre hindurch galt, hat damit die ihr oft beigemessene Bedeutung nahezu gänzlich verloren.

Gerade aber in jüngster Zeit klopfte ein neues Rechtsproblem an

die Türen der Juristen: Die Frage nach der Berechtigung zum mechanischen Pistenpräparieren. Eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes liegt hiezu bereits vor: Hat ein Grundeigentümer einer Liftgesellschaft etwa im Zusammenhang mit der Errichtung einer Seilbahn vertraglich, die Dienstbarkeit der Skiabfahrt eingeräumt, so ist die Liftgesellschaft auch zum Einsatz von modernen, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Pisten-präparierungsgeräten auf der Skiab-fahrtsfläche berechtigt, soweit dadurch dem Grundeigentümer kein unzumutbarer Schaden zugefügt wird.

Ist die Dienstbarkeit der Skiabfahrt dagegen ersessen worden, so stellt die mechanische Präparierung der Piste eine unzulässige Mehrbelastung der Grundfläche dar und ist daher verboten.

Der Skisport beweist neuerlich die Gültigkeit einer ewigen Regel: Ein Segler erforderte noch keine Binnenseen-Verkehrsordnung, ein Autofahrer noch keine Straßen-Verkehrsordnung, auch der einzelne Skifahrer der Jahrhundertwende im unver-spurten Tiefschnee beschäftigte die Juristenwelt noch kaum. Die Entwicklung .des Skisports zur sozialen Massenerscheinung aber wird sowohl den Gesetzgeber als auch die Rechtspraxis künftig nicht mehr zur Ruhe kommen lassen!

(Der Autor ist Vorstand des Instituts für zivilgerichtliches Verfahren an der Universität Innsbruck.)

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