6825687-1974_10_16.jpg
Digital In Arbeit

Deutschland von innen

Werbung
Werbung
Werbung

Auf den ersten Bilick sind die Erinnerungen eines Deutschen, der in Hitlers Reich keine leitende Stellung eingenommen hat, kaum der Aufmerksamkeit wert. Der Autor hat sich nichts zuschulden kommen lassen? Gut für ihn. Er ist in der Lage, nachzuweisen, daß er sein Manuskript nicht nachträglich verbessert, sondern so herausgegeben hat, wie er es damals für seine Schublade geschrieben hat; und dadurch kann er den Beweis führen, daß er schon ziemlich früh auf den Gedanken gekommen ist, dies würde nicht gut ausgehen? Nun, darin steht er; bei weitem nicht allein. Gibt es also überhaupt Gründe, warum wir dieses Buch lesen und sogar empfehlen sollen? Durchaus; und das wollen wir jetzt erklären.

Es gibt freilich eine reichliche Literatur von Erinnerungen aus den „1000 Jahren“. Da gibt es die Autoren, welche zugeben, mitgemacht zu haben. Das geben sie verschämt oder auch keineswegs zu; dann gibt es die Leute, die sich rühmen, dagegen gewesen zu sein. Und zwar von Anfang an — und das bedeutet dann, daß sie schon immer — zwar nicht gegen den Sozialismus, wohl aber gegen das Nationale, gegen die Aufrüstung, die Machtpolitik, die Abwerfung des Vensailler „Diktats“, gegen die preus-sische Tradition usw. gewesen sind. Aber der Geschichtsfreund muß — und sei es aus Seltenheitsgründen — auch die Erinnerungen von Leuten zu kennen wünschen, die weder dieser noch jener Richtung angehören.

Es gibt also, es gab Deutsche, die vaterländisch gesinnt waren, die ihre eigene monarchische militärische Vergangenheit in Ehren hielten, welche die Schikanen von Versailles abwerfen wollten, welche Volk und Reich mächtig zu sehen wünschten

— und welche den Sieg der Marxisten nicht wollten. Um zu siegen, mußte der Nationalsozialismus gerade solche Leute gewinnen. Und das, was er versprach, mußte sie gewinnen. Diese kräftig anwachsende Partei mußte als das Richtige erscheinen, wenn man ihr nicht bei jedem Wort mißtraute. Wohl gab es Menschen, die sofort jedes Wort für Lüge hielten — solche Menschen waren, anscheinend durch tausendjährige politische Erbmasse zu solchem totalen Mißtrauen befähigt, gerade die Thronerben von Bayern und Österreich —, aber der Durchschnittsmensch ist ja nicht so. „Und der Nationalsozialismus versprach; er versprach immer... Was hat er nicht alles versprochen — wem hat er nicht alles mögliche versprochen?“

— schildert Emmendörfer in einem psychologisch besonders einleuchtenden Absatz (S. 15) die unausbleibliche Wirkung dieser nachgerade genialen Propaganda auf eine Öffentlichkeit von Leuten, denen jenes totale Mißtrauen fehlen mußte.

Der Deutsche, der von rechts kam, ist daher bis zu irc/endeinem Punkt mitgegangen; dafür mag ihn der Kommunist mit Steinen bewerfen, der gar niemals Stalinist gewesen ist... Erheblich ist die Frage, wann der von rechts kommende — wohl gar, wie der gegenwärtige Autor, der bewußt katholische Deutsche eingesehen hat, nicht mehr weiter mitgehen zu können.

Unser Autor hatte nun vor manchem Deutschen die beruflichen Reisen voraus, die es ihm von Anfang an möglich machten zu erkennen, wie andere Völker das ,“,Drftte Reich sahen ...“ Und kurz und gut, diese in einprägsamem Deutsch geschriebene Schilderung der Beobachtungen und Erlebnisse eines konservativen, vielgereisten, gebildeten deutschen Katholiken in jener „hora et potestas tenebrarum“ ist lesenswert — ja, einmal angefangen, ist das Buch fesselnd und aufregend.

Den Geschichtsfreund aber wollen wir besonders darauf aufmerksam machen, daß hier eigens reichliche Angaben zum Nachschlagen bereitgestellt worden sind, die leitenden, also die verantwortlichen — nur in ärztlichen Augen allzuoft unverantwortlichen — Gestalten des Nationalsozialismus betreffend. Unterhaltsam sind die Abschnitte, die wir aus einem damaligen Buch von nationalsozialistischer Seite (!) zitiert bekommen, um neiderfüllt die Lebensweise des Reichsmarschalls besser kennenzulernen ... Interessant sind auch die eigenen Abschnitte über das Verhältnis der übrigen europäischen Völker zu dem allem. Und wir wiederholen es: der Stil ist so lebendig, daß man sozusagen Vergnügen haben kann an einer Darstellung von Zuständen, die eigentlich alle Gefühle, außer dem fröstelnden Grauen, ertöten müßten. In literarischer Hinsicht verdient dieser Band wärmste Empfehlung.

DAS BUCH TROTZDEM. Bilanz aus „1000“ Jahren. Von Heinrich Emmendörfer, Verlag Josef Habbel, Regensburg, 1971. 436 Schilling.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung