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Die Barbaren vor der Tür

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Hundert Jahre vor der Machtergreifung Adolf Hitlers schrieb Heinrich Heine über das Auftreten eines neuen Typs unter den deutschen Philosophen:

Dieser wird „dadurch furchtbar sein,... daß er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und daß in ihm jene Kampfeslust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft, um zu zerstören, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen.“

Und er fährt fort: „Das Christentum — und das ist sein schönstes Verdienst — hat jene brutale, germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer ... Die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt,... und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome.“

Die 1834 niedergeschriebene Prophezeiung hat sich in einer schrecklichen Form bewahrheitet.

Nun stehen die gotischen Dome wieder, und auf dem Ruinenfeld, das Hitler zurückließ, ist ein demokratisches Gemeinwesen entstanden, das die ethischen Grundwerte der menschlichen Existenz zu verteidigen weiß.

In unseren Tagen zeigt sich allerdings, daß das Ruinenfeld zwar verschwunden ist, aber nicht die Gesinnung jenes von Heine beschriebenen „altgermanischen Pantheismus“ mit seiner fanatischen Kampfeslust gegen die humanen Prinzipien der Ethik.

Es ist Nebensache, ob sich diese Wut auf die Gebote eines menschenwürdigen Zusammenlebens mit braunen, roten, blauen oder grünen Parolen artikuliert, ob sie der Geldgier entspringt oder dem Fanatismus. Sie ist in jeder Kostümierung klar zu erkennen.

Aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit zu urteilen, gehört der bayerische Filmemacher Herbert Achternbusch zur vorerst noch kleinen Schar, die jene von Heine beschriebene Gesinnung in der Öffentlichkeit ziemlich lauthals vertritt. Konsequenterweise attackiert Achternbusch in seinem neuen Film „Das Gespenst“ den Verkündiger eines humanen, auf Nächstenliebe und Opferbereitschaft begründeten Ethos: Jesus Christus.

Uber die Art dieser Attacke kann nichts Schlüssiges gesagt werden. Der Film ist vorerst nicht zu sehen. Er wurde aufgrund einer Anzeige von einem Grazer Gericht beschlagnahmt. Standfo tos und ausführliche Berichte der deutschen Presse geben nicht über die cineastischen Mittel, aber über den Inhalt ein genaues Bild.

Die Beschlagnahme rührt an der Frage der künstlerischen Freiheit, die seit jüngster Zeit lobenswerterweise auch in der österreichischen Verfassung verankert ist:

„Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ Auf diesen Satz berufen sich nun jene, die gegen die Beschlagnahme Sturm laufen.

An diesem Punkt gewinnt die Diskussion prinzipielle Bedeutung. Denn einige an sich richtige Grundsätze des neuen Verfassungsartikels stellen uns vor offene Fragen.

Wer unterscheidet (und nach welchen Kriterien) zwischen „künstlerischem Schaffen“ und Scharlatanerie oder übler Geschäftemacherei? Ist jede Lehre frei, sofern sie durch das Undefinierte, vielleicht undefinierbare Medium Kunst vermittelt wird?

Ist die „Lehre" des Nationalsozialismus frei, sofern sie durch „Kunst“ vermittelt wird?

Oder gibt es irgendwelche Instanzen, die zum Beispiel die Entscheidung treffen: die Verspottung von Negern ist verboten, aber die Verspottung von Christen ist erlaubt?

Die Gerichte sind in dieser Hinsicht offenbar unzuständig, und politische Gruppen und Grüpp- chen verwandeln ihre Auffassungen nur allzugern in ein bedrük- kendes, letztlich mörderisches Diktat.

Daraus folgt, daß auch ein demokratisches Gemeinwesen, soll es Bestand haben, ohne Einhaltung gewisser allgemein anerkannter ethischer Prinzipien nicht auskommt. Manche Prinzipien ändern sich freilich mit der Zeit; ihre Substanz und ihre Wirksamkeit wird von der permanenten freien gesellschaftlichen Diskussion bestimmt.

Einige ethische Grundwerte müssen allerdings außer Diskussion stehen. Zu ihnen gehört das Verbot von Mord und Raub, aber auch das Verbot der auf Mord ausgerichteten Agitation, ob sie nun spöttelnd auftritt oder sich als „Kunst“ präsentiert.

Die Festigkeit solcher ethischer Prinzipien ist eine kulturelle Errungenschaft, ein Ergebnis des Fortschritts. Auf diesem Weg war und blieb die Bergpredigt eine revolutionäre Tat zur Humanisierung der Welt. Auch für nicht gläubige Menschen ist Jesus von Nazareth eine Symbolfigur dieser Wende. Gerade von denjenigen, die sich für progressiv halten, muß seine Ethik verteidigt werden.

Wer ihn verspottet, öffnet den Barbaren die Tür.

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