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Hunger

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Ein Spanier, Priester-Soziologe, hat errechnet, daß je Jahr an die dreißig bis vierzig Millionen Menschen lediglich als Folge von Hunger oder Unterernährung sterben. Von 1000 Kindern unter einem Lebensjahr sterben in Schweden 20, in Saigon aber sind es 3 53.

Die reichsten Völker der Erde essen siebenmal mehr als die ärmsten. In Afrika gibt es Gebiete, in denen die Menschen nur einmal in zwei Tagen zu essen haben. Der Verbrauch der Völker in den unterentwickelten und in den hochentwickelten Ländern steht in einem Verhältnis von 1:40. Man kann auch nicht hoffen, daß die Versorgungsverhältnisse besser werden, obwohl wir allenthalben auf den Weltmärkten in sinkenden Preisen eine Art „Überproduktion“ registriert sehen müssen. Perfektion der Technik und der Sozialgesetzgebung können nicht verhindern, daß das Elend wächst. In vielen Teilen der Welt ist man nicht in der Lage, die Bevölkerung im Maße ihres Anstieges zu versorgen. Gegen Ende unseres Jahrhunderts wird der Unterschied zwischen den Versorgungsmöglichkeiten der Armen und der Reichen in der Welt eins zu hundert sein, mt eine Flugschrift der bundesdeutschen Pax-Chrisfi-Bewegung mitteilt. Etwa 18 Prozent der Menschen verfügen heute über, 67 Prozent der Weltproduktion. Die relative Zahl der mehr als ausreichend Versorgten sinkt weiterhin ab, und die Zahl der Hungernden wächst, wächst, weil man ihnen eher ärztliche Hilfe und die Chance des Längerlebens zu bieten vermag als Brot. So sind nun immer mehr und mehr Menschen in der Welt so weit medizinisch versorgt, daß sie nicht mehr verhungern müssen, aber nicht so ausreichend, daß sie sich sattessen können.

Angesichts des Elends, das in Zahlen von erschütternder Deutlichkeit bloßgelegt wird, aber auch angesichts der Tatsache, daß in vielen Bereichen der Welt die soziale Frage Ausweis von Überfluß ist und Verbrechen mehr und mehr Anzeiger von unbewältigter Wohlfahrt sind, ist nun die Christenheit aufgerufen: nicht symbolisch zu helfen, sondern wirksam an den Reparaturen der gestörten Verteilungsordnung in der Welt mitzuwirken.

Die deutschen Katholiken haben in der Fastenzeit 1959 nicht weniger als 200 Millionen Schilling gesammelt, die zur Hilfeleistung für die unterentwickelten Gebiete bestimmt sind. Nun ist aber der Skandal des Elends in der Welt nicht allein eine Sache falscher Verteilung, sondern auch einer unzureichenden Produktionskraft. Die von den deutschen Katholiken gesammelten Beträge werden daher nicht ausschließlich zur unmittelbaren Hilfeleistung verwendet, sondern auch zu Produktionshilfen. Da nur verteilt werden kann, was vorher geschaffen wurde, ist die Frage der Versorgung in den unterentwickelten Ländern zuvorderst eine Sache der Kapitalausstattung und der Berufserziehung.

So kehrt nun die Kirche in der Art, wie sie den Menschen auch in seinen leiblichen Nöten beisteht, zu den Methoden des Ursprungs Zurücks zur Caritas und zum „Roden“ für andere, zur Produktionshilfe.

Ob in einer Welt von morgen Chaos und die Neigung zum Aufstand sein wird, das zu entscheiden ist nicht ausschließlich, aber zu einem guten Teil auch den Christen aufgegeben. Nichstun ist auch Zeugnis. Aber ein negatives. Die „christliche Welt“ ist heute fast identisch mit der Welt der „Reichen“, denen von Jahr zu Jahr mehr verfügbar ist als sie verbrauchen müssen, ja als sie verbrauchen können.

Mit guten Worten, einem noch so wohlmeinenden „Harret aus“ allein wird weder bei den Massen in Asien und Afrika der Hunger gestillt noch die Annahme verstärkt, daß das Christentum mehr ist als die Religion der Herrenrasse von gestern.

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